„Global Conflicts: Palestine“ versetzt einen in die Rolle eines Journalisten im Konflikt zwischen Israel und Palästina. Ein „ernstes Spiel“ als Lernmedium?
Eine Schlange von Palästinensern steht sich an einem Checkpoint die Beine in den Bauch. Hannah Weismann, gerade zurück aus den USA, versucht von einem der israelischen Soldaten zu erfahren, warum der Kontrollpunkt geschlossen ist. Da bricht eine der wartenden Frauen zusammen. Seit Stunden wird sie von den Soldaten nicht zu ihrem Arzt auf der israelischen Seite durchgelassen, erfährt die Journalistin Weismann. Die Soldaten erklären, ein Verwandter der Frau sei in einen Anschlag in Israel verwickelt gewesen.
So sieht eines der Szenarien aus, in dem sich der Spieler des jüngst erschienen Computerspiels „Global Conflicts: Palestine“ wiederfindet. Wahlweise schlüpft man in die Rolle einer jungen Journalistin mit israelisch-jüdischen Wurzeln oder eines Journalisten palästinensischen Ursprungs. Gerade eben ist man aus den USA nach Nahost zurückgekehrt und versucht sich nun als Berichterstatter über den komplizierten Konflikt.
„Sie müssen es sich als virtuelle Exkursion vorstellen. Die 3-D-Umgebung des Spiels hilft einem, sich mit der Erfahrung wesentlich anders auseinanderzusetzen als mit einem Buch“, erklärt Simon Egenfeldt-Nielsen. Er leitet das junge dänische Softwarehaus Serious Games Interactive. Der Psychologe beschäftigt sich seit längerem mit dem Einsatz von Spielen für Bildungszwecke. Vor eineinhalb Jahre begann er mit rund zehn Mitarbeitern „Global Conflicts: Palestine“ zu entwickeln. Verschiedenste Informationsquellen sind in das Spiel eingeflossen: Bücher, Zeitungsartikel, Dokumentarfilme, Websites, die enge Zusammenarbeit mit der Universität in Kopenhagen und die Hinweise von zahlreichen Experten des Konflikts.
Das merkt man dem Spiel auch an, das in englischer, dänischer und deutscher Sprache vorliegt. Die einzelnen Missionen behandeln Themen wie die Siedler, den Stellenwert der „Märtyrer“ oder die Rolle der Medien. Man bewegt seine Spielfigur durch ein Stadtszenario mit Verkehr und Passanten. Auf den Wegen zwischen dem israelischen und palästinensischen Stadtteil begegnet man vielleicht einem Friedensaktivisten oder kann auf Bitten eines Soldaten dessen Militärkommandanten eine Nachricht überbringen. Die Gelegenheit lässt sich nutzen, gleich ein Interview mit ihm zu führen, das leicht anbiedernd oder aber auch kritisch, wenn nicht sogar aggressiv verlaufen kann.
Je nachdem, ob man sich entschieden hat, für eine palästinensische, israelische oder europäische Zeitung zu schreiben, sammelt man in seinem virtuellen Notizbuch entsprechende Zitate. Doch darf man nur eine bestimmte Anzahl speichern, manche müssen wieder aussortiert und zum Abschluss der jeweiligen Spielrunde zu einem Artikel zusammengesetzt werden. Die Software schätzt die Qualität des Beitrags hinsichtlich seiner Resonanz bei der Leserschaft ein.
Mit einer extra Website mit Hintergrundinformationen und Lehrmaterial versucht man, das Spiel für den Einsatz an Schulen schmackhaft zu machen. Was nicht so einfach ist, denn dort wird sich der Stellenwert von Computerspielen erst richtig ändern, wenn durch den anstehenden Generationenwechsel Lehrer an die Lernorte kommen, die selber am Rechner oder der Konsole spielen, schätzt Egenfeldt-Nielsen die Lage ein. Bislang haben er und sein Team in etwa 30 Schulklassen das Spiel getestet. Das Feedback, so der Däne, war meist positiv. Ein guter Teil der Schüler, im Alter zwischen 15 und 18 Jahren meinte, durch das Spiel mehr erfahren zu haben als durch klassische Lernmedien. „Wir erreichen mit dem Spiel vielleicht 80 bis 90 Prozent der Schüler. Die wir nicht erreichen, sind die Hardcore-Gamer. Die finden die Grafik des Spiels zu schlecht, es ist ihnen zu einfach“, berichtet der Spielentwickler.
Dabei ist „Global Conflicts: Palestine“ eines der ersten „ernsten Spiele“, das technisch halbwegs mit kommerziellen Unterhaltungsspielen mithalten kann. Während viele Lernspiele schlichte 2-D-Grafik und wenig komplexe Handlungen anbieten, orientiert sich dieses neue Spiel über Israel und Palästina an den Gewohnheiten der „Egoshooter“-Generation. Um die 400.000 Euro hat die Entwicklung des Spiels gekostet. Und schon sind die ersten Gelder für das nächste Spiel in der Reihe eingeworben: „Global Conflicts: Latin America“.
(Beitrag auf taz.de hier)