Das Kreuzberger Spreeufer soll Teil eines prosperierenden Wirtschaftsraums werden – soziale Verdrängung und erheblich mehr Durchgangsverkehr könnten die Folge sein
Im letzten Sommer eröffneten die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer und der damalige Baustadtrat Franz Schulz in einem symbolischen Akt den Dampferanleger am Fuß der Oberbaumbrücke. Schon bald soll die Kreuzberger Spreeseite mit einer Uferpromenade ausgestattet, der Park am Gröbenufer neu gestaltet und die dort aufgestellten Skulpturen von Graffiti befreit sein. Die Uferverschönerungsmaßnahmen bilden den Auftakt des Programms „Stadtumbau West“ im Bereich des Kreuzberger Spreeufers.
Das Gebiet südlich der Spree zwischen Schillingbrücke und Flutgraben wurde vom Senat 2005 als eines von fünf Stadtumbaugebieten im Westteil der Stadt festgeschrieben. Es folgte eine Voruntersuchung des Gebiets durch das Planungsbüro Herwarth + Holz. Die Voruntersuchung wurde im vergangenen Frühjahr veröffentlicht, der Stadtumbauprozess ist insgesamt auf fünf Jahre angelegt.
„Kreuzberger Mischung“ neu definiert
Es geht aber nicht einfach nur darum, den Spreeraum für Spaziergänger/innen zu erschließen. Nur ein kleiner Bonus für die Öffentlichkeit ist der schmale begehbare Uferstreifen, ein weiterer ist ein neu gestalteter Spielplatz an der Pücklerstraße. Vielmehr soll das Kreuzberger Spreeufer zum „Entree der Innenstadt“, das Friedrichshainer und das Kreuzberger Spreeufer zu einem „prosperierenden Wirtschaftsraum“ vernetzt und eine „neue kreative Kreuzberger Mischung etabliert“ werden, wie es in dem Voruntersuchungsbericht heißt. Das Konzept passt perfekt zu den Planungen der Interessenvertretung „Mediaspree“, einem Zusammenschluss von Investoren, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Immobilien im Spreeraum als neues Medienquartier zu vermarkten. Mediaspree ist aber kein rein privatwirtschaftliches Vergnügen: Zu 80% finanziert sich der Interessenverband aus dem Bund-Länder-Gemeinschaftsprogramm „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Neben den unmittelbar an die Spree angrenzenden Grundstücken geht es bei der Planung allerdings auch um die nähere Umgebung in Kreuzberg. Die Planer sehen hier die „Chance, sozial benachteiligten Stadtquartieren im ‚Hinterland‘ Raum für nachhaltige, aufwertende Neuentwicklungen zu geben“. In besagtem „Hinterland“ gelten die lokale Einkaufsstraße Wrangelstraße und die Markthalle zwischen Pückler- und Eisenbahnstraße als zentral zu entwickelnde Punkte.
Zu Mauerzeiten war der nordöstliche Teil von Kreuzberg, der nach dem früheren Postzustellbereich als SO 36 bekannt ist, eine verschlafene Insel, die in den Ostteil der Stadt hineinragte. Im Norden grenzte diese Insel an die Spree und auf der gegenüberliegenden Seite gab es nichts zu sehen als die graue Mauer. Folglich waren die Grundstücke an der Spree Randlagen und wurden von größeren Gewerbebetrieben wie etwa Speditionen genutzt. Am südlichen Ende der Oberbaumbrücke endete die Welt. Rechts und links des damals toten Hochbahnendes lag ein Stück Grünfläche.
Ausgehmeilen am Schlesischen Tor
Heute ist die Oberbaumbrücke Teil des Innenstadtrings und täglich verstopft vom Autoverkehr. Die Grünanlage vor dem Schlesischen Tor ist nicht viel mehr als eine ungemütliche Verkehrsinsel, durch die ab und an ein Hund Gassi geführt wird. Das Ufer nördlich der Köpenicker Straße ist in weiten Teilen noch immer unzugänglich. Gleichzeitig drängen neue Akteure in den Kiez: Die Schlesische Straße und die Falckensteinstraße haben sich zu beliebten Ausgehmeilen entwickelt und in der Köpenicker Straße entstehen immer mehr Büros von Medienschaffenden. Ob dies auf das Marketingkonzept von „Mediaspree“ zurückzuführen ist, bleibt dahingestellt. Bisher sind nämlich vor allem die Altbauten beliebt. Bei den Büroneubauten hingegen scheint das Konzept bislang nicht aufzugehen. Vom Trias mit seinen drei Türmen an der Michaelbrücke über die Oberbaum City bis hin zu den Treptowers an der Elsenbrücke künden „Zu vermieten“-Schilder vom Leerstand. Auf dem virtuellen Stadtplan von Mediaspree ragen jedoch weitere geplante Bürotürme in die Höhe, etwa auf dem Postareal am Ostbahnhof, auf der Freifläche an der Cuvrystraße und neben dem ver.di-Gebäude.
Ein bisschen Mitte in SO 36
Wer die Warschauer Brücke passiert, blickt derzeit auf eine Großbaustelle. Seit vergangenem Herbst wird hier die „O2-World“ gebaut, die in anderthalb Jahren eröffnen soll. Die Arena der Anschutz-Entertainment-Gruppe soll bis zu 17.000 Zuschauer fassen und fast jeden zweiten Tag im Jahr bespielt werden. Bedenkt man, dass der Innenstadtring den täglichen Berufsverkehr schon jetzt kaum noch verkraftet, fragt man sich, wie sich der Zuschauerstrom wohl auf die Verkehrsentwicklung in Friedrichshain und Kreuzberg auswirken wird. Eine Antwort dafür könnte im Programm des „Stadtumbau West“ für das Kreuzberger Spreeufer liegen. Deutlich bemängelt werden in dem Gutachten des Planungsbüros Herwarth + Holz nämlich fehlende Brückenverbindungen zwischen den beiden Bezirksteilen. Gewöhnlich betrage der Brückenabstand in der Innenstadt 250 bis 600 Meter, zwischen Schilling- und Oberbaumbrücke lägen jedoch 1,3 Kilometer. Angedacht ist daher, die historische Brommybrücke wieder aufzubauen sowie eine weitere Verbindung in Verlängerung der Manteuffelstraße zu schaffen. Derzeit läuft eine verkehrsplanerische Untersuchung durch die Technische Universität Berlin, in der acht verschiedene Varianten durchgespielt werden, von keiner neuen Brücke bis hin zu zwei Verbindungen für den Individualverkehr. Eine mögliche Variante wären auch zwei Stege, die nur für Radfahrer und Fußgänger geöffnet wären. „Wir wollen keine attraktive Parallelverbindung zum Innenstadtring“, betont Carl Herwarth von Bittenfeld, Gesellschafter des Planungsbüros Herwarth + Holz. Zu welcher Empfehlung die Studie kommt, möchte er nicht verraten, bevor diese der Öffentlichkeit vorgestellt wird.
Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist die Umsiedlung von Gewerbebetrieben, die zurzeit noch große Teile des Ufers versperren, darunter eine Spedition und ein Baustoffhandel. Laut Herwarth finden Gespräche mit Betriebs- und Grundstückseigentümern statt. Ausweichflächen für die Betriebe könnten im Bereich des Wriezener Bahnhofs neben dem Ostbahnhof, im Rudolfkiez oder am Treptower Hafen liegen. Statt der reinen Gewerbenutzung wird eine Mischnutzung entsprechend der klassischen „Kreuzberger Mischung“ angestrebt, das heißt eine kleinteilige Mischung von Wohnen, Arbeiten, Kultur, Freizeit und Handel. Gewerbliche Nutzungen sollten dabei eher zur Köpenicker Straße hin, Wohnnutzung eher zur Spreeseite stattfinden. Wie sich diese Entwicklung auf die jetzige Bevölkerungsstruktur auswirken könnte, ist zu ahnen. Schließlich wird der „hohe Anteil sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen“ ausdrücklich als Problemlage des Gebiets benannt. Zudem sollen „Nischen im Altbaubestand für Zuzüge aus der kreativen Szene“ gesichert werden. Der Stadtumbau West setzt damit bei dem an, was schon längst stattfindet, einem langsamen Verdrängungsprozess, in diesem Programm „Aufwertung“ genannt. Luxuswohnungen können nur in Neubauten an der Spree entstehen, denn Luxussanierungen sind nach der Milieuschutzverordnung von 1995 ausgeschlossen. Eine stetige Aufwärtsentwicklung der Mieten im gesamten Gebiet und den daran angrenzenden Quartieren kann auf diesem Weg aber nicht verhindert werden.