»Besser 1000 FreundInnen im Rücken, als eine Bank im Nacken«, lautet das Motto des Mietshäusersyndikats aus Freiburg. Es ermöglicht Menschen und Gruppen mit wenig Geld einen Hauskauf. Die Immobilie ist dann allerdings kein gewöhnliches Eigentum: Sie kann nicht mehr verkauft werden.
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Es ist kalt draußen. Der Wind pfeift im Schornsteinschacht und der Novemberregen tropft ans Fenster. Schon wieder ist die Heizung ausgefallen. Du wählst die Nummer der Hausverwaltung – so wie auch schon gestern und vorgestern. Seit einer Woche hängst du denen bereits in den Ohren, aber es passiert einfach nichts. Gar nichts! Kein Handwerker ruft zurück, um einen Termin für eine Reparatur zu vereinbaren. Natürlich, bei anderen Sachen reagiert die Hausverwaltung immer prompt. Vor drei Wochen deine Geburtstagsparty: Keine drei Tage später lag die Abmahnung im Kasten. Und vor vier Monaten die Mieterhöhung, da haben die auch nichts anbrennen lassen. Fast die Hälfte dessen, was du erwirtschaftest, steckst du bereits in den Rachen des Eigentümers und der Hausverwaltung.
So – oder so ähnlich – ging es auch Julian Benz, der vor einigen Jahren nach Berlin kam. Schon in Freiburg hatte er Kontakt mit dem Mietshäusersyndikat, das in der Stadt im Breisgau gegründet wurde und dort seine ersten Hauskauf-Projekte startete, aber erst in Berlin merkte er, wie mühsam das Leben mit einer Hausverwaltung sein kann.
Wann ist ein Hauskauf fortschrittlich?
Mittlerweile ist Julian in der Regionalkoordination des Mietshäusersyndikats und berät Gruppen, die planen, eine Immobilie zu kaufen. Er hat kurz rasierte Haare und einen Wollpulli an. Vor dem Café in der Weserstraße weht der Novemberwind. Julian weiß, wie man Häuser kauft – ohne eigenes Geld.
»Ist Miete zahlen etwa fortschrittlich?« Vor einigen Jahren stand dieser Satz in den Schaufenstern der Berliner Sparkasse. Es war die Werbung für einen Bausparvertrag, den man in der jeweiligen Filiale abschließen sollte. Es ist ein Satz, über den man durchaus trefflich nachdenken kann. Denn: So einfach die Antwort ist, so schwierig ist die Suche nach Alternativen. Wenn die Miete regelmäßig steigt, der Stress mit der Hausverwaltung die Nerven raubt, dann sehnt sich so mancher nach Eigentum. Einmal tun und lassen in den eigenen vier Wänden, was man will. Mauern einreißen oder Rigipswände bauen, die hässlichen hellbeige-melierten Fliesen im Bad gegen lilafarbene austauschen, Untermietverträge abschließen mit wem man will, im Keller eine Sauna und auf dem Dach einen Garten einrichten, in eine nachhaltige Energieversorgung investieren. Und es gibt keine Mieterhöhung mehr. Ja, viele Gründe sprechen für Eigentum, aber fortschrittlich? Nein, wirklich fortschrittlich ist auch Eigentum nicht. Der Hauptgrund ist: Eigentum schafft Freiheit nur für den Habenden bzw. die Habende, der Habenichts und die Habenixe gehen leer aus.
»Zuerst fragten wir Freunde, Bekannte und Verwandte, ob sie uns Direktkredite für einen Hauskauf geben wollen. Darauf bekamen wir sehr unterschiedliche Reaktionen, Geld ist oft eine heikle Angelegenheit. Später haben auch andere Projekte Direktkredite gegeben.« Das sagt Martin Hagemeier, der 2010 zusammen mit MitstreiterInnen und dem Mietshäusersyndikat ein Grundstück im Berliner Wedding kaufen konnte. »Pinke Panke« ist ein Ensemble von drei Gebäuden, die teilweise denkmalgeschützt sind. Darunter auch das älteste Haus im Wedding, 1760 erbaut. Sie hatten Glück und konnten das Grundstück für 50 000 Euro erwerben. Zusammen mit den nötigen Baumaßnahmen kommen sie auf eine Gesamtinvestitionssumme von rund 600 000 Euro. Nennenswertes Vermögen hatte keiner der sieben Erwachsenen, die diesen Herbst dort eingezogen sind.
Direkte Kredite – ohne Umweg über Banken – sind das Geheimnis der kollektiven Immobilienfinanzierung. Höhe, Laufzeit und Zinssatz sind variabel. Zusätzlich erlaubt die Bochumer GLS-Bank auch Bürgschaften zur Absicherung eines Hauserwerbs. Rund ein Drittel der Gesamtinvestitionssumme müssen Direktkredite sein. Sie bilden den Grundstock an Eigenkapital. Doch nicht jede Bank spielt bei so einer Art der Finanzierung mit. Gute Erfahrungen hat das Syndikat mit der GLS-Bank, der Umweltbank, einigen Sparkassen und neuerdings der DKB-Bank gemacht.
Mit der Miete die Kredite abbezahlen
Julian Benz jedoch stößt aber bei Bankvertretern oft auf Unverständnis, wenn er versucht, sie zu einer Kooperation zu bewegen und ihnen das Mietshäusersyndikats-Modell erklärt. Letztens telefonierte er zwei Stunden mit einem Sparkassenvertreter, bis dieser anfing zu verstehen, was das Konzept Mietshäusersyndikat so besonders macht. Der Grund: Er war einfach zu verhaftet in herkömmlichen Hauskaufstrategien. Julian Benz: »Ihm wollte nicht in den Kopf, warum wir als Mietshäusersyndikat das überhaupt machen, wo wir doch keine Gewinnerzielungsabsicht haben.«
Ist das nötige Geld zusammen, gründen Mietshäusersyndikat und Hausgemeinschaft eine gemeinsame GmbH und kaufen das Haus. Dabei achtet das Syndikat auf bezahlbare Mieten. Über die Mieten nämlich werden die gezahlten Kredite im Lauf der Jahre abgelöst und das Geld an die Kreditgeber zurückgegeben. So sind die Mieten der jeweilige Anteil an den Tilgungszahlungen. Aber es gibt eine Besonderheit. Die Mieten werden auch nach Tilgung des Kredits weitergezahlt. So entsteht nach und nach ein Solidarfonds für bestehende und künftige Hausprojekte.
Und es gibt noch weitere Besonderheiten. Die Hauskaufgruppe erwirbt nur eingeschränktes Eigentum an dem Haus. Sie kann in Projektautonomie wichtige Entscheidungen treffen, aber verkaufen darf sie es nicht. Die Häuser sind dem Immobilienmarkt und der Spekulation entzogen.
Bis vor zwei Jahren konnte potenziellen Unterstützerinnen und Unterstützern gesagt werden, dass bisher noch kein Mietshäusersyndikatsprojekt gescheitert sei und ihre Direktkredite daher relativ sicher angelegt seien. 2010 ging jedoch das Projekt Eilandshof in Neustadt an der Weinstraße in die Insolvenz. Bereits jetzt ist absehbar, dass die Zwangsversteigerung des Objekts nicht den Gesamtbetrag der Direktkredite abdecken wird und viele gegebene Kredite verloren sein werden. Eventuell wird die Bank sogar an Personen, die Bürgschaften gegeben haben, herantreten. Das Scheitern hat viele wach gerüttelt. Bald wurde jedoch klar, dass die Gründe vielfältig waren: komplizierte Denkmalschutzvorgaben, schwierige Gruppenprozesse und der Tod einer maßgeblichen Person. Dennoch, ein paar Konsequenzen habe das Syndikat aus dem Scheitern dieses Projekts bereits gezogen. »Wir sind vorsichtiger geworden. Vielleicht müssen wir auch mehr zu Gruppenprozessen beraten. Denn in der Regel scheitern Projekte nicht ausschließlich wegen der Finanzierung, sondern eher wegen Gruppenstreitigkeiten«, erklärt der Berliner.
Mittlerweile sind bereits über 80 Häuser und Projekte Teil des Mietshäusersyndikat-Netzwerks. Wenn man alle Häuser des Syndikats zusammennimmt, beträgt die Gesamtinvestitionssumme rund 50 Millionen Euro. Dabei finanziert das Syndikat nur zu einem kleinen Teil den Hauskauf mit, der überwiegende Teil wird von den Kaufwütigen selbst getragen oder organisiert. »Das Interesse, mit uns Kontakt aufzunehmen, nimmt zu«, bemerkt Julian Benz unter anderem bei den zweiwöchigen Beratungstreffen des Syndikats. Andererseits folge nach dem ersten Beratungsgespräch bei vielen Gruppen eine Phase der Ernüchterung. »Viele Gruppen kommen mit schönen Ideen und wir müssen dann immer gemeinsam schauen, wie wir das durch das Nadelöhr der Finanzierung bekommen. Denn am Ende sollen bezahlbare Mieten stehen.« Einen festen Betrag, was bezahlbare Mieten sind, gibt es aber nicht. Gerade würden oft Mieten zwischen 280 und 300 Euro pro Person gezahlt. Das sei für eine Einzelperson machbar, werde aber mit Kind schon schwer finanzierbar.
Auf Dauer bezahlbares Wohnen
Von der Grundlage bezahlbarer Mieten ausgehend sei die Kalkulation im Prinzip eine einfache Sache. Kaufpreis, Sanierungssumme, Quadratmeterzahl und Zinssätze sind die Variablen, sagt Julian, der gerade eine Umschulung zum Immobilienkaufmann absolviert. 80 bis 90 Prozent der InteressentInnen würden nach der Erstberatung jedoch nicht mehr wiederkommen, ist seine Erfahrung.
Trotzdem gibt es mittlerweile Anfragen aus Frankreich, Österreich oder Australien. Eine Herausforderung, weil sich in anderen Ländern das Rechtssystem oft sehr unterscheidet. Doch auch in Deutschland steigt die Zahl der Neubeteiligungen. In den vergangenen vier Monaten sind zehn neue Projekte dazugekommen. Darum überlegen seit geraumer Zeit die Syndikats-Mitglieder auf den Mitgliederversammlungen, wie man dem Ansturm der Kaufwilligen Herr werden kann. »Wir müssen unsere Struktur dem Wachsen anpassen, das ist unstrittig«, sagt Julian. Die Frage sei nur: wie? Ist mehr Regionalisierung der Weg oder muss beispielsweise noch eine bezahlte Stelle geschaffen werden? Bis zu dem selbst gesetzten Ziel des Mietshäusersyndikats, »Wohnraum für alle« zu schaffen, ist es in jedem Fall noch ein weiter Weg. Aber der Anfang ist gemacht.