Kicken ohne Sexismus (ND 2011)

Keine Nationalflaggen, keine sexistischen, homophoben und transphoben Sprüche“, ist an den Eingangstüren des „Südblock“ am Kottbusser Tor plakatiert. Während die deutschen und kanadischen Spielerinnen auf der Leinwand die Nationalhymnen singen, ertönt im Südblock noch laute Discomusik. Den VeranstalterInnen geht es schließlich nur um Fußball, nicht um Patriotismus. Im Inneren des Pavillons ist kein Stehplatz mehr frei, als das Eröffnungsspiel der Frauen-Fußball-WM angepfiffen wird, die Mehrheit der Gäste sind Frauen. Allerdings fiebern – entgegen der erklärten Neutralität des Südblock – deutlich mehr ZuschauerInnen mit dem deutschen Team mit.

 

Die Spielübertragung im Südblock könnte für das Netzwerk Frauen im Fußball „F_in“ unter die Kategorie fallen: „Wie schön, es geht doch!“ Auf seiner Internetseite berichtet F_in immer wieder über Ärgerliches und Kurioses sowie über Erfreuliches aus der Welt des Fußballs. Nachwuchsspielerinnen glauben, ihre weibliche „Normalität“ durch Fotos im Playboy unter Beweis stellen zu müssen und WM-Spielerinnen werben für Lippenstifte. Dann gibt es sexistische Fanblocks, die im Stadion im Umkreis von zehn Metern kein „schwanzloses Gesindel“ haben wollen – für F_in gibt es jede Menge Ärgerliches aus der Welt des Fußballs zu berichten. Aber inzwischen ist auch Erfreuliches dazu gekommen, etwa Stadionordnungen, die sexistische Parolen oder Transparente verbieten oder Fanprojekte, die Diskussionsveranstaltungen zu Genderrollen veranstalten. Über beides informieren die Netzwerkerinnen aus verschiedenen deutschen und österreichischen Städten regelmäßig auf ihrer Internetseite. „Abwesenheit von Sexismus ist manchmal auch schon ein Erfolg“, meint F_in Mitbegründerin Antje Hagel, die in Offenbach in einem sozialpädagogischen Fanprojekt arbeitet. Doch nicht nur die Stimmung unter den männlichen Fans hat sich in einigen Stadien verändert, sondern auch das Auftreten der Frauen. Zum Fußball gegangen seien Frauen schon immer, aber nun haben sich weibliche Fanclubs oder Sektionen innerhalb von Ultrasgruppen gebildet. Oder Frauen kommen in einer Gruppe von Freundinnen und nicht etwa zusammen mit dem fußballbegeisterten Partner.

 

Der in der Welt des Fußballs erlebte Sexismus war sicher einer der Beweggründe, warum Frauen aus Fanprojekten, Fans, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen 2004 das Netzwerk „F_in“ ins Leben riefen. Doch für Antje Hagel war es auch die Begeisterung für die Arbeit der Anderen: „Ich fand das Buch von Nicole Selmer so spannend, dass ich dachte, wir müssen unbedingt zusammen etwas auf die Beine stellen.“ Selmer ist Autorin des Buches „Watching the Boys Play. Frauen als Fußballfans“. Zusammen mit Almut Sülzle, Steffie Wetzel und Annika Hoffmann bereiteten sie die Tagung „Abseitsfalle – Fußballfans, weiblich“ vor, aus der sich dann das Netzwerk gründete. Seither hat F_in fünf weitere Workshops an verschiedenen Orten in Deutschland und Österreich organisiert. Das sind die Momente, in denen die Frauen im Netzwerk konkret aufeinander treffen. Sonst tauschen sie sich über eine Mailingliste und über die Homepage aus. Bei den Workshops wird nicht nur diskutiert, und es steht auch viel mehr als der Umgang mit Sexismus auf der Tagesordnung. So ging es beim letzten Treffen in Wien auch um die sichere Handbhabung von Pyrotechnik, und die Frauen nahmen gemeinsam an einem Boxtraining teil. „Das Boxen war ein Sinnbild dafür, wie stark und mutig wir sind“, findet Antje Hagel. Sie freut sich darüber, dass es trotz der Verschiedenheit der Frauen im Netzwerk ein sehr vertrauensvolles Miteinander gibt. So gelingt es, sich gegeneinander in der männlich dominierten Welt des Fußballs zu stärken.

Eigentlich ist es immer so, dass im Stadion sexistische Sprüche auftauchen“, erzählt die Berliner Netzwerkerin Tülin Duman, die sich selbst als Fan bezeichnet, aber sich keinem bestimmten Verein verbunden fühlt. Hinzu kommen oft Rassismus, rechtsextreme Symbolik und die Diskriminierung all jener, die irgendwie anders sind. „Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn eine Trans-Person ins Stadion ginge“, meint Duman. Sie hat ihr Fan-Dasein zum Beruf gemacht, indem sie 2005 den Fußballladen „GOAL“ am Heinrichplatz eröffnete. Sie verkauft etwas andere, liebevoll gestaltete Fußballaccessoires aber vor allem kleine Spielereien rund um den Fußball, vom Frühstücksbrettchen bis zum Tipp-Kick-Spiel. Zum Netzwerk F_in kam Duman, weil sie eine Autorin für die Lange Buchnacht auf der Oranienstraße suchte. Vor kurzem ist sie mit ihrem Laden in ein geräumiges Souterrain in der Ritterstraße umgezogen, das noch etwas kahl wirkt, aber viel Platz für Veranstaltungen bietet, den sie nun auch intensiv nutzt.

Im März holte sie daher die Ausstellung „Tatort Stadion“ in den neuen Laden. Das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) dokumentiert darin Fälle von Diskriminierung von den 80er Jahren bis heute, aber auch die Versuche von Vereinen und Fans, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus in den eigenen Reihen zu bekämpfen. 2001 ging die erste Version auf Tour, seit 2010 gibt es eine aktualisierte Ausstellung, die momentan in Nürnberg zu sehen ist.

Zur Frauenfußball-WM organisiert Duman zusammen mit dem Südblock die Übertragung aller Spiele auf Großbildleinwand. Das ganze steht unter dem Motto „Kick it queer“, wie auch schon die gelegentliche Übertragung von Bundesligaspielen in dem vor einem halben Jahr eröffneten Pavillon am Kottbusser Tor. „Da kommen auch Leute, die nichts mit queer zu tun haben, aber der Ort ist schon so geprägt“, sagt Duman.

Feministisch wie humoristisch soll es dann bei einem Hoffest zum Viertelfinale zugehen, das Duman zusammen mit dem Missy Magazin vor ihrem Laden organisiert. Dort soll unter anderem der erste feministische Fußballfanclub der Welt gegründet werden.

 

Darüber hinaus ist die antisexistische und queere Perspektive auf die Frauen-WM angesichts der Präsentation in Medien und Werbung nicht gerade einfach. In den aktuellen Werbekampagnen,sieht Duman eine Tendenz zur Verniedlichung, Fußball werde auf einmal als Familiensport deklariert. Der DFB tue alles, um die Gleichsetzung von Fußballerinnen mit lesbischen Mannweibern zu vermeiden. „Dabei ist das gar nicht mehr das Durchschnittsdenken“, findet Duman. Dass nun gerade die Nationalspielerinnen in traditionelle Rollenbilder verfallen, indem sie für Kosmetika werben, oder sich im Playboy ablichten lassen, mag einfach an der willkommenen Gelegenheit liegen, Geld zu verdienen, schließlich ist ihre Bezahlung in den Vereinen nach wie vor alles andere als üppig.

Die jungen Frauen wissen nicht, wofür wir gekämpft haben und was ihnen weggenommen werden könnte“, findet Antje Hagel. Da die Spielerinnen seit jungen Jahren die meiste Zeit mit Fußballspielen verbrächten, bliebe auch wenig Zeit sich theoretisch mit dem eigenen Rollenbild auseinander zu setzen.

 

Nach der WM wird sich die Kategorie „Kurios und Ärgerlich“ bei F_in bestimmt mit neuen Inhalten füllen, die Netzwerkerinnen haben sich bereits zu einer Auswertung der Medien verabredet. Aber vielleicht ist ja auch etwas Erfreuliches dabei.