Rumäniens wichtigste Abnehmer sind Deutschland und Italien. Rumänien ist der größte europäische Exporteur von Bekleidung nach Deutschland und überholte im letzten Jahr Polen. Die Arbeitsbedingungen in der Branche sind im Gegensatz dazu jedoch unmenschlich. Produziert wird ganz überwiegend in passiver Lohnveredlung in den großen, früher staatseigenen Firmen und immer mehr auch in den Tausenden kleinen Firmen, die nach der ‚Wende’ wie Pilze aus dem Boden schossen. Der Anteil und das Volumen der Lohnveredlung stiegen während der späten neunziger Jahre schnell und stabilisierte sich in den letzten Jahren.
Dirk Rützer, Leiter der Deutsch-Rumänischen Handelskammer in Bukarest prognostiziert, dass die Verlagerung der Bekleidungsproduktion nach Rumänien zum Halten kommt: „Die Textil- und Bekleidungsindustrie hat ihren Scheitel erreicht. Die Handelsketten und die kapitalintensiven Investitionen im Gegensatz zu den arbeitsintensiven sind dagegen gerade erst ankommen und wachsen”2. Lohnveredlung heißt hier, dass ein großer Teil der 7500 registrierten Bekleidungs- und Textilfirmen stets am Rande des Bankrotts arbeitet – von der Hand in den Mund, was die Lage der ArbeiterInnen noch weiter verschlimmert. Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass es den Arbeitgebern in diesem Sektor immer schwerer fällt, Personal zu rekrutieren – ein Zeichen dafür, dass Frauen zu so schlechten Bedingungen nicht mehr arbeiten wollen. Es werden Beschäftigte aus dem Ausland angeworben, zuletzt sogar aus China.
NäherInnen überleben dank Subsistenz-Landwirtschaft
Die rumänische Arbeitsgesetzgebung entspricht den meisten IAO-Konventionen und geht teilweise sogar darüber hinaus. Nur: sie wird kaum beachtet. Fragt man ArbeiterInnen, welches für sie das größte Problem ist, verweisen sie meist auf ihre Löhne. Das kann nicht verwundern, denn in Rumänien liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 310 Lei pro Monat3, etwa 86 €. Zu der Zeit, als die Recherche durchgeführt wurde, waren es ungefähr 280 Lei. Zwar haben die Gewerkschaften für die Industrie einen tarifvertraglichen Mindestlohn von 360 Lei ausgehandelt, aber der wird nicht beachtet.
Der übliche Lohn in der Bekleidungsindustrie ist der gesetzliche Mindestlohn oder etwas darüber. Es ist unmöglich, damit auszukommen. Deshalb sind die ArbeiterInnen an Überstunden interessiert. Von existenzsichernden Löhnen kann also keine Rede sein. Mihaela (31), eine Näherin in Iasi im östlichen Teil von Rumänien, verdient für einen Monat Arbeit einschließlich Überstunden 310 Lei netto (86 €). Sie muss 200 Lei Miete für einen 10 Quadratmeter kleinen Raum zahlen, den sie mit ihrem Freund teilt. Sie benötigen 100 Lei pro Monat für die Heizkosten. Mihaela und ihr Freund sind sechs Monate mit der Miete im Verzug und fürchten, dass sie bald hinausgeworfen werden. Sie sagen, dass sie mindestens 600 Lei (166 €) pro Monat, also den doppelten Mindestlohn, bräuchten, um über die Runden zu kommen. Unter solchen Umständen zu leben ist schwer. Viele ArbeiterInnen in der Bekleidungsindustrie müssen Nebenjobs annehmen oder ein Stück Land mit Gemüse bebauen. Diana, die ca. hundert Kilometer von Bukarest entfernt für Adidas arbeitet, hat zwei Kinder und bekommt 350 Lei netto (97 €) im Monat, Überstunden inbegriffen. Jeden Samstag und Sonntag arbeitet die Familie zusammen auf einem kleinen Bauernhof, der eine Stunde mit dem Zug entfernt ist. Sie erklärt: „Wir helfen einander unter den Kolleginnen in der Fabrik. Wir tauschen Gemüse, Eier und Früchte. Die, die kein Stück Land haben, sind schlecht dran, weil alles so teuer ist.”4
Nach rumänischem Gesetz ist die Wochenarbeitszeit auf maximal 40 Stunden und 35 Stunden für ArbeiterInnen unter 18 begrenzt. Im Juni 2004 betrug die Höchstzahl der zulässigen Überstunden 4 Stunden pro Tag und 240 Stunden im Jahr. Im Juni 2005 änderte sich das auf 4 Stunden pro Tag und 8 Stunden pro Woche. Die Arbeitswoche hat 5 Tage. In keiner Firma, die recherchiert wurde, wurde dieses Gesetz respektiert. Es gab auch Berichte von Zwangsarbeit, also Überstunden, die nicht abgelehnt werden konnten.
„So bringen sie uns dazu, den Mund zu halten”
Hinsichtlich der Gewerkschaftsfreiheit und der Rechte der ArbeiterInnen gibt es einen großen Unterschied zwischen den größeren, ehemals staatseigenen Unternehmen und den kleinen, jüngeren Firmen, die in der nachsozialistischen Zeit entstanden sind. In den größeren Fabriken und Firmen sind die Gewerkschaften (noch) vertreten und die Rechte der ArbeiterInnen werden besser respektiert. In neuen Klein- und Kleinstunternehmen, fast ausschließlich Lohnveredler, werden die Rechte der ArbeiterInnen grob verletzt. Auf dem Weg nach Hause reagierten die ArbeiterInnen eines kleinen Lohnveredlers in Bukarest, der für PUMA produziert, ironisch auf die Frage nach Gewerkschaften. Näherin Alexandra (49, drei Kinder) sagte: „Wenn ArbeiterInnen versuchen, eine Gewerkschaft zu bilden oder Mitglied zu werden, fliegen sie raus. So bringen sie uns dazu, den Mund zu halten.” Ein andere Arbeiterin sagte: „Wir sind zu arm, als das wir uns das Risiko leisten könnten, eine Gewerkschaft zu gründen oder darüber mit dem Chef zu sprechen.” In den Firmen ohne Gewerkschaften gibt es keine Kollektivverträge. Jüngere ArbeiterInnen haben keine Vorstellung davon, welchen Nutzen eine Gewerkschaft für sie haben könnte.
Die Befragungen, die 2004–2005 geführt wurden, belegen, dass die Mehrheit der ArbeiterInnen ihre Rechte nicht kennen. Zudem: Die meisten befragten NäherInnen hatten ihre Arbeitsverträge unterzeichnet, ohne sie zu lesen. Die wenigsten können sagen, wie viele Überstunden sie gemacht haben und wie viel Lohn ihnen dafür und insgesamt zusteht.
Die meisten recherchierten Fabriken sind ziemlich heruntergekommen und die Inhaber investieren so gut wie nichts in den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Der Sanitärbereich ist unzulänglich und meistens dreckig. Die meisten Arbeitsplätze sind unzureichend beleuchtet. Die Sitze sind nicht ergonomisch und im Sommer sind Staub und Hitze unerträglich.