System der Abschottung

Dem Dublin-II-Abkommen und den Abschiebungen von Deutschland nach Griechenland »auf die Pelle« rücken, das wollen die Initiatoren der am vergangenen Wochenende gestarteten Kampagne »Abschiebungen stoppen, Dublin-II-Verordnung kippen!«



Mai 2009: Somalische Flüchtlinge in Patras, Griechenland

Mai 2009: Somalische Flüchtlinge in Patras, Griechenland

»Wir sehen eine reale Chance, das Bundesinnenministerium (BMI) mit einer inhaltlich wie praktisch gut vorbereiteten und breiter getragenen Kampagne in die Defensive zu drängen oder sogar die Aussetzung der Abschiebungen nach Griechenland zu erzwingen«, erklären die Karawane München und das Netzwerk kein mensch ist illegal, auf der Kampagnen-Homepage. Bernd Kasparek von der Karawane München kritisiert das Dublin-II-System als »ungerecht und menschenverachtend«. Den »objektiven« Kriterien der Dublin- II-Verordnung sollen die subjektiven Kriterien der Flüchtlinge entgegengesetzt werden.

Vor allem mit lokalen Aktionen soll Aufmerksamkeit für das Abschiebesystem hergestellt werden. Im vergangenen Jahr wurden allein 40 Prozent aller Abschiebungen aus Deutschland nach der Dublin-II-Verordnung durchgeführt. Das heißt, dass 3027 Menschen lediglich zur Durchführung eines Asylverfahrens verhaftet, aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen und gewaltsam in ein anderes Land überführt wurden.

Dublin II hat dazu geführt, dass viele Flüchtlinge keinen Schutz mehr erhalten, weil Länder wie Griechenland, Polen, Slowakei, Malta oder Zypern mit der Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge sowie der Durchführung der Asylverfahren überfordert sind. Besonders die Situation der Flüchtlinge in Griechenland hat sich in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt. Griechenland stellt für die Vorverlagerung der Migrationskontrolle zur Zeit das bedeutendste EU-Land dar. Mit dem letztjährigen Noborder-Camp auf der griechischen Insel Lesbos und den Bildern aus dem überfüllten Internierungslager Pagani hat die Öffentlichkeitsarbeit von Flüchtlingsorganisationen aber an Dynamik gewonnen. »Die aktuelle Entwicklung in Griechenland dürfte dazu beitragen, die brutale Sturheit des BMI öffentlich skandalisierbar zu machen«, erwartet Hagen Kopp von kein mensch ist illegal. Wenn es gelänge, die Rückschiebepraxis nach Griechenland zu Fall zu bringen, würde das gesamte Dublin-System in Frage gestellt werden.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in neun Fällen die vorläufige Aussetzung von Rückschiebungen angeordnet. Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder erklärte im Februar 2010 die Zurückschiebung eines jungen irakischen Flüchtlings nach Griechenland in einem Eilverfahren für rechtswidrig und verpflichtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ihm die Rückkehr zu ermöglichen, um sein Asylverfahren in Deutschland weiter zu betreiben. Trotz der massiven juristischen Bedenken hält das BMI jedoch weiterhin an den Abschiebungen nach Griechenland fest.

Die Initiative zur Kampagne ist auch durch die Erfahrungen von AktivistInnen im letzten Jahr begründet: »Mit dem Noborder-Camp konnten wir direkt in das Geschehen an der europäischen Außengrenze eingreifen«, heißt es in der Kampagnenzeitung. Viele direkte Kontakte haben sich entwickelt, die bis heute nicht abgerissen sind. Insofern hat die Kampagne das Potenzial, direkt den alltäglichen Kampf der Flüchtlinge für ihre Bewegungsfreiheit aufzugreifen.

Zum Kampagnen-Auftakt ist eine Zeitung erschienen, die die Problematik der Dublin-II-Regulation beleuchtet. Für die nächste Zeit werden Aktivitäten rund um die Innenministerkonferenz im Mai ebenso vorbereitet, wie eine Fax- und E-Mail-Kampagne an Verantwortliche im BMI und dem BAMF.


Hintergrund

Die Dublin-II-Verordnung aus dem Jahre 2003 regelt, dass das Land, welches die Einreise des Asylbegehrenden »verursacht« hat, für die Prüfung und Bearbeitung des Asylantrages zuständig ist. Stellen Flüchtlinge einen Asylantrag in einem anderen Land und wird dies anhand eines Eintrags in der europäischen Fingerabdruck-Datenbank EuroDAC oder aufgrund sonstiger Nachweise festgestellt, so erfolgt die Abschiebung in den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Staat. Neben der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) zählt das Dublin-II-Abkommen zu den Grundpfeilern des europäischen Systems der Abschottung gegenüber Flüchtlingen.

www.dublin2.info