Ohne Spachtel und Nagellackentferner geht Irmela Mensah-Schramm nie aus dem Haus. Damit entfernt sie Nazischmierereien, -aufkleber und andere Hassbotschaften, wo sie ihnen begegnet. Nie wieder will sie sich fühlen wie damals, vor 22 Jahren, als sie an der Bushaltestelle vor ihrem Haus einen Aufkleber mit dem Slogan „Freiheit für Rudolf Hess“ zunächst kleben ließ. Ihr Gewissen ließ ihr keine Ruhe, bis sie später zurückkehrte, um die Nazi-Propaganda zu entfernen. Seither kann sie nicht mehr wegsehen, mehr noch, sie geht mehrmals in der Woche gezielt zu den Orten, die besonders mit Hakenkreuzen und Nazisprüchen verunstaltet sind. Dann hat sie auch Farbe und Pinsel dabei, um großflächige Graffitis zu übermalen. „Im Moment gibt es weniger Schmierereien, aber dafür mehr Aufkleber“, erzählt die pensionierte Lehrerin. Seit Anfang 2007 hat sie 14.692 Aufkleber mit rechtsextremen Hass-Botschaften entfernt. Manchmal begegnet sie direkt den Urhebern. So lief sie einmal mehrere Runden hinter einem Neonazi um einen Poller herum. Er klebte Aufkleber an, sie kratzte sie hinter ihm wieder ab. Die Polizei kam schließlich nur widerwillig zu Hilfe. In ihrer Wohnung türmen sich die Ordner, in denen sie die Sprüche der Nazis dokumentiert. Jede Hass-Schmiererei und jeden Aufkleber fotografiert sie, bevor sie ans Entfernen geht. Normalerweise reichen dafür zwei Ordner im Jahr, doch in diesem und im vergangenen Jahr hat sie jeweils vier Ordner gefüllt. Fast mehr noch als über die Hassparolen ärgert sich Irmela Mensah-Schramm über die Gleichgültigkeit, mit denen die Menschen daran vorbeigehen können. Die Reaktionen reichen von: „Das bringt doch nichts“ über „putzen sie hier doch gleich alles sauber“ bis hin dazu, dass sie selbst wegen Sachbeschädigung angezeigt wird. Aber auch Begegnungen mit Neonazis der ungewöhnlichen Art gehören dazu. In Rudow, wo sie regelmäßig auf Parolenjagd geht, kam ihr ein junger Mann entgegen, der sie in der Vergangenheit bereits bedroht hatte. Frau Schramm, ich bin nicht mehr dabei, hätte er sie angesprochen. Er sei bei den Nazis ausgestiegen und wolle ihr dafür danken. „Da kamen mir die Tränen, ich habe ihm die Hand geschüttelt und ihm gratuliert“, erinnert sich Irmela Mensah-Schramm. Sie glaubt, ihn mit ihrer Beharrlichkeit beeindruckt zu haben. Denn sie hat sich von ihren Gegnern niemals einschüchtern lassen. „Wenn man einmal die Angst aufkommen lässt, ist man gelähmt.“ Ihre Stimme klingt durchdringend, wenn sie sich ärgert. Gut vorstellbar, dass sie damit schon manchen Nazi in die Flucht geschlagen hat. Am liebsten beschäftigt sich die 63jährige noch heute mit Kindern. Begleitend zu ihrer Ausstellung „Hass vernichtet“, einer Dokumentation der Schmierereien, bietet sie Workshops an, in denen Schüler die Parolen mit bunten Stiften verändern können. Da wird aus „Lasst Menschen verrecken“ „Lasst Menschen Leben entdecken“ und aus einem Hakenkreuz ein farbenfrohes Haus mit großen Fenstern. Begeistert breitet die Pädagogin ein Kinderbild nach dem anderen auf ihrem Wohnzimmertisch aus. Genauso freut sie sich an bunten, kunstvollen Graffiti, die sie auf der Straße entdeckt. Die menschenverachtenden Botschaften der Nazis hingegen brächten die Graffiti-Szene in Misskredit. Obwohl sie erst nach dem Ende des Naziregimes geboren wurde, hat sie sich immer an allen Formen von Menschenverachtung und Ungerechtigkeit gestört, etwa daran, dass die Internatsleiterin sie bat zu verhindern, dass ihre Schwester einen Inder heiratete. Ungerechtigkeit erlebte sie in ihrer eigenen Berufslaufbahn zuhauf. So machten manchen Kolleginnen und Kollegen an der Sonderschule ihre eigenen Schüler runter, anstatt sie zu bestärken. Für Irmela Mensah-Schramm ist es umso wichtiger, Kindern auf den Weg zu geben, was sie im Hier und Jetzt gegen den Hass tun können. Manche Schüler haben ihr schon geschrieben, dass sie nun auf eigene Faust losziehen, um Hass-Schmierereien zu entfernen.