Wie in vielen postsozialistischen Ländern hat der Systemwechsel auch in Rumänien zu einem abrupten Bruch in der Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik geführt. Der entfesselte Kapitalismus in der Immobilienwirtschaft löste in den letzten Jahren einen Bauboom aus, der paradoxerweise einen Teil von Ceausescus Vorhaben zu Ende bringt: die Vernichtung historischer Quartiere im Stadtzentrum von Bukarest, in denen häufig arme Bevölkerungsschichten wohnen. Seit die Regierung die staatlichen Wohnungen in den frühen 90ern an die ehemaligen Mieter/innen verkauft hat, unternimmt sie kaum noch etwas, um die nach wie vor bestehenden Wohnungsprobleme zu lösen. „Urbanistische Katastrophe“ Der Verein „Rettet Bukarest“ spricht von einer urbanistischen Katastrophe und ist der Meinung, dass in der Stadtentwicklung ungefähr alles falsch läuft, was falsch laufen kann. Der Dauerstau auf der Nord-Süd-Verbindung durch die Stadt zeigt ungelöste Verkehrsprobleme, die mit der Fertigstellung neuer Bürotürme in der Innenstadt noch weiter wachsen werden. Die EU-Grenzwerte für die Belastung der Luft mit Schadstoffen wie Stickstoffdioxid, Benzol und Feinstaub werden an fast allen Tagen überschritten. Die Grünflächen wurden hingegen von 3500 Hektar im Jahr 1989 auf weniger als die Hälfte reduziert. Historische Gebäude sind entweder nicht hinreichend geschützt oder werden trotz Denkmalschutz abgerissen und durch höhere ersetzt, weil eine stärkere Überbauung natürlich auch höhere Gewinne bei der Vermarktung verspricht. Für die „Katastrophe“ macht die Bürgerinitiative zum großen Teil die Stadtverwaltung und die fehlende Kohärenz in der Stadtplanung verantwortlich. Zwar gilt für die gesamte Stadt eine Art Masterplan, aber die Maßgaben dieses Plans können in den Bebauungsplänen von den Investoren verändert werden. Dadurch fällt Neubebauung sehr viel höher und dichter aus, als ursprünglich vorgesehen. Auch können unvorschriftsmäßige Bauten mit der Bezahlung eines Bußgelds nachträglich legalisiert werden. „Bodenpreise haben sich verhundertfacht“ Laut Stadtbaudirektor Gheorghe Patrascu ist es seit 1990 nicht gelungen, ein Gesetzeswerk zu schaffen, das dem neuen Investitionsdruck gewachsen wäre. Das vorherige Stadtbaukonzept wurde verworfen, die Gesetze waren ohne juristischen Beistand verfasst, da es ohnehin nur eine planende Autorität gegeben hatte. „In den letzten Jahren ist der Druck von Investoren gestiegen, die Bodenpreise haben sich verhundertfacht“, so Patrascu. Die Wohnungspolitik bestand zunächst darin, die staatlichen Wohnungen, meist in großen Plattenbausiedlungen, zu geringen Preisen an die Mieter/innen zu verkaufen. Im Jahr 2005 standen 865.000 Wohnungen in Privatbesitz nur noch 24.000 Wohnungen in öffentlichem Besitz gegenüber, also ungefähr 3%. Diese Statistik sagt nichts darüber aus, inwieweit die Wohnungen von den Eigentümern selbst bewohnt oder weitervermietet werden und genauere Angaben hierzu liegen nicht vor. Es ist aber davon auszugehen, dass ein Großteil der Wohnungen von den Eigentümer/innen selbst genutzt wird. Viele der Menschen, die ihre Wohnungen von den staatlichen Wohnungsbaugesellschaften gekauft haben, verdienen nicht unbedingt gut und können nicht einmal das Geld für die einfachsten Instandhaltungsarbeiten aufbringen. Im Ergebnis verfällt die Gebäudesubstanz zunehmend. Schon 2001 beobachtete die UN-Wirtschaftskommission für Europa UNECE in einem Bericht über die rumänische Wohnungswirtschaft eine Segregationstendenz in den Plattenbauquartieren: „Die Situation wird dadurch verschlechtert, dass die, die es sich leisten können, aus den Wohnungen ausziehen, um neuere und/oder qualitativ bessere Eigentumswohnungen zu erwerben. Das kann als erster Schritt einer sozialen Polarisierung angesehen werden, der zu einer wachsenden Konzentration ärmerer Haushalte in den Plattenbauten führen wird.“ Illegale Abrisse von Altbauten Ebenfalls Gegenstand des Verfalls sind die Altbauten, Villen und Bürgerhäuser in der Innenstadt. Bei den meisten bestanden Rückübertragungsansprüche, über die oft in langjährigen Gerichtsverhandlungen gestritten wurde. Das rumänische Gesetz verbiete es, während des Rückübertragungsprozesses an den Häusern auch nur Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, erklärt die Bukarester Architektin und Denkmalpflegerin Hanna Derer. Der desolate Zustand nach der Rückübertragung, das fehlende Kapital für die Instandsetzung, aber auch verlockend hohe Immobilienpreise verleiteten die neuen alten Eigentümer zum Verkauf an Investoren, die an den Grundstücken, nicht aber an den darauf befindlichen Häusern und Gärten interessiert sind. Der Abriss erfolgt dann entweder legal oder illegal über Nacht. Mit der Neubebauung verschwinden auch Bäume und Grünflächen, da die Grundstücke meist komplett überbaut werden. Bedarf nach günstigen Wohnungen Südlich des monumentalen Parlamentspalastes, unter Ceausescu „Haus des Volkes“ genannt, beherrschen noch ein- bis dreigeschossige Bauten der Zwischenkriegszeit das Bild, die meisten von ihnen jedoch im Zustand des fortgeschrittenen Verfalls. „Viele wohnen illegal hier“, erzählt Derer. Mit anderen Worten: Sie sind stille Besetzer. Das gesamte Viertel hatte ursprünglich Ceausescus Stadtumbauplänen weichen sollen und die Häuser waren schon geräumt. Vor 1989 wohnten dort noch Bauarbeiter, die mit den Arbeiten am Parlamentspalast beschäftigt waren, wohlweislich, dass ihre temporären Behausungen keine Zukunft haben würden. Dass der Bukarester Bauboom sich auch dieses Viertels bemächtigen wird und die Altbauten neuen Gebäuden weichen werden, sei nur noch eine Frage der Zeit, meint die Denkmalpflegerin Derer. Die Frage drängt sich auf, was dann mit den jetzigen Bewohner/innen geschehen wird. „Eigentlich sollte es einen Sozialplan für sie geben“, so Derer, aber niemand habe sich wirklich darum gekümmert. Dass es ganz ohne öffentlichen Sektor im Wohnungsbau nicht geht, hat die Regierung schon 1999 erkannt und die nationale Wohnungsagentur gegründet. Ein Großteil ihrer Aktivität liegt aber in der Vermittlung von Darlehen zum Erwerb von Wohneigentum. In Bukarest hat sie zudem in den Bau von Mietwohnungen für junge Leute bis 36 investiert. Wer älter ist, sollte nach Auffassung der Verwaltung wohl in der Lage sein, einen Kredit für den Erwerb der eigenen vier Wände aufzunehmen.