Stundenlang sitzen Richard O’Connell und Hiroyuki Takahara im Gewächshaus und zupfen Blätter von unscheinbaren Pflanzen, legen sie behutsam in runde Plastikschalen und tragen mit einem Pinsel eine klare Flüssigkeit auf. Dies ist Wasser, in dem die Sporen eines Pilzes gelöst sind. Die Forschungsgruppe O’Connells am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln untersucht die Wechselbeziehungen zwischen Pflanze und Pilzschädling, wobei unterschiedliche genetische Varianten sowohl des Pilzes als auch der Wirtspflanze eine Rolle spielen. Die Forschungsgruppe betreibt reine Grundlagenforschung, eine konkrete Anwendung wird sich daraus nie ergeben.
Dennoch sind es solche Forschungsgruppen in aller Welt, die die gegenwärtige Landwirtschaft beeinflussen, indem sie ein inzwischen enormes Wissen über die Genetik von Ackerpflanzen wie Reis, Mais und Kartoffel zusammengetragen haben. Welche genetischen Variationen weniger anfällig für Krankheiten sind, ist ein zentraler Forschungsschwerpunkt wie auch die Grundlagen gentechnischer Veränderungen. Hauptversuchsobjekt der Pflanzengenetiker/innen ist zunächst die Ackerschmalwand, ein weit verbreitetes Unkraut mit regional unterschiedlichen Varianten. Manche haben sich an nährstoffarme Böden oder Trockenheit angepasst. Ein Forschungszentrum in den USA sammelt alle Erkenntnisse über das Kraut mit dem biologischen Namen Arabidopsis thaliana und ist eine wichtige Quelle für Forscher/innen weltweit.
In den Gewächshäusern und auf den Versuchsfeldern des Instituts für Züchtungsforschung in Köln stehen neben der Ackerschmalwand auch Tomaten, Kartoffeln und Gerste. „Wir züchten selbst nicht, das machen Firmen“, sagt die Biologin Christiane Gebhardt, deren Spezialgebiet Kartoffeln sind. Sie sucht beispielsweise nach Genen, die für die Kraut- und Knollenfäule verantwortlich sind, damit diese dann in der Züchtung gezielt ausgeschaltet werden können. Der Doktorand Bernd Busch beschäftigt sich hingegen mit der Wuchsform von Tomatenpflanzen. Mit der genetischen Veränderung von Pflanzen hat er kein Problem: „Das Schöne an Pflanzen ist, dass man nicht dieselben ethischen Bedenken hat wie bei Experimenten mit Tieren.“
Vom Wackelpudding zu gesünderen Lebensmitteln
Menschen wie Christiane Gebhardt oder Bernd Busch gelten am Institut als angewandt orientiert, weil sie sich mit Nutzpflanzen beschäftigen. Die meisten bleiben bei der Ackerschmalwand-Forschung, manche kommen kaum mit einer ganzen Pflanze in Berührung. Die Doktorandin Aurélie Huser in Richard O’Connells Forschungsgruppe zum Beispiel hantiert hauptsächlich mit Pipette, Sequenzierer und Mikroskop, und, nicht zu vergessen, dem Computer. Die Arbeit erfordert viel Geduld, etwa wenn sie mit der Pipette kleinste Mengen von DNA und Enzymen kombiniert. Die Genstruktur kann sie als eine Art Strichcode auf einem durchsichtigen Wackelpudding ablesen, wenn sie die vorher kombinierte Lösung elektrisch stimuliert. Ein anderer Wackelpudding wiederum verrät auch mittels Strichcode, welche Proteine in einem Gewebe enthalten sind. Diese Kombination lässt sich schließlich in internationalen Datenbanken nachschlagen.
Schon seit dem Jahr 2000 sind sämtliche Gene der Modellpflanze Ackerschmalwand bekannt, nicht jedoch alle damit verbundenen Funktionen. Ziel der Grundlagenforschung ist es daher, auch möglichst viele Aufgaben der verschiedenen Gene zu erfassen. Wird dasselbe Gen nämlich in einer anderen Pflanze gefunden, lassen sich zumindest ähnliche Funktionen vermuten. Wobei die einfache Rechnung von einer Aufgabe pro Gen nicht aufgeht. „Viele Mechanismen in Pflanzen sind doppelt und dreifach gesichert“, meint Bernd Busch. Daher gilt es, nicht ein Gen, sondern eine bestimmte Kombination von Genen zu finden. Er ist optimistisch, was die Zukunft der Forschung betrifft. „In wenigen Jahren oder Jahrzehnten könnten ‚bio‘ und ‚transgen‘ zusammenfinden und gentechnisch veränderte Pflanzen für weniger gespritzte und gesündere Lebensmittel sorgen.“ Momentan hätte die Wissenschaft aber etwa ein Viertel der Gene noch überhaupt nicht verstanden.
Wettstreit der Ausdauer-Forscher/innen
Bestimmte Gene „auszuschalten“ oder gezielt fremde Gene einzuschleusen, ist bis heute kein einfacher Prozess. Man bedient sich entweder der Hilfe eines Bakteriums, das die fremden Gene in die DNA der Pflanze einbaut, oder beschießt die Zellen mit der „Genkanone“, einer Apparatur, die die Zellwände durchdringen kann. Nicht immer sind diese Operationen von Erfolg gekrönt, daher muss das Gelingen mit Hilfe von Markergenen überprüft werden. Diese bewirken zum Beispiel, dass die erfolgreich veränderte Pflanze auf einem bestimmten Nährboden wachsen kann. Wer mit genetisch veränderten Pflanzen arbeitet, für den heißt es daher immer wieder warten, ob die Forschungsobjekte wachsen und gedeihen. Tun sie dies nicht, muss der Versuch wiederholt werden.
Bernd Busch hat die Hoffnung, durch seine Forschung nachhaltigere Lebensgrundlagen zu schaffen. Andere sehen die Rolle der genetischen Forschungen kritischer, bezweifeln, dass aus den wissenschaftlichen Projekten jemals eine praktische Anwendung hervorgehen wird. Für viele junge Forscher/innen geht der anfängliche Idealismus aber schlichtweg im Stress und in der Routine des Alltags unter. Schon manchen ist es passiert, dass ein anderes Institut das Gleiche erforscht und schneller ein Ergebnis vorweisen kann. Und wer am schnellsten publiziert, dem kommt schließlich das wissenschaftliche Renommee zu.