Ringsherum herrscht Baulärm, Potsdam krempelt einen Teil seiner Altstadt um. Diese Klangkulisse passt zur „Play08“, einer Veranstaltung, die sich der „kreativen Nutzung“ von Computerspielen widmet. Vier Tage lang im September kommen rund 200 Schüler und gut zwei Dutzend Pädagogen in die brandenburgische Hauptstadt, um digitale Spiele von einer anderen Seite kennenzulernen.
Lange, schwere schwarze Vorhänge, wie man sie im Theater findet, unterteilen den hallenartigen Raum des „Schaufensters“ der Fachhochschule Potsdam in einzelne Arbeitsbereiche. Zahlreiche Laptops stehen auf Tischen verteilt, Beamer summen vor sich hin; Juchzen und Johlen dringt von der Wii-Konsole hinüber, an der sich ein paar 6.-Klässler mit Tennis und Markio-Kart vergnügen.
„Lass mich noch einmal die Killerfrau spielen“, ruft ein Junge und drängelt sich vor einen Bildschirm. Hier geht gerade ein Workshop mit einer Schulklasse zu Ende, die mit dem Programm „Mission Maker“ im Laufe des Tages Grundzüge des Gamedesigns erlernten. Die Schöpferin der „Killerfrau“, eine 9.-Klässlerin von einem Berliner Gymnasium erklärt stolz ihr Spiel, in der eine Frau aus einem gefängnisähnlichen Bau entkommen muss. Auf die Frage, ob sie vorstellen könne, so etwas auch im Schulunterricht zu machen meint sie: „Man lernt dabei doch nichts“.
Das stimmt, zumindest was klassisches Schulwissen angeht. Doch die Hamburger Initiative Creative Gaming, die die Play08 ausrichtet, erhofft sich etwas anderes. Seit 2006 hat die Gruppe von Medienpädagogen und Künstlern mehrere derartige Veranstaltungen durchgeführt. Ihren Auftrag fasst ihr Sprecher, Andreas Hedrich, so zusammen: „So vielen wie möglich davon erzählen, dass es diese Möglichkeiten gibt“.
Er meint das ganze Bündel von (Medien-)Kompetenzen, die sich mit der dem Werkzeug Bildschirmspiele vermitteln lassen: Konzeptionelles und analytisches Denken, programmiertechnische Grundlagen und gestalterische Anteile. Mit ihrem Ansatz, so Hedrich, können Kinder und Jugendliche hinter die Kulisse von Spielen schauen, sehen, wie diese Geschichten erzählen und dann ihre eigene Kreativität ausleben.
Doch manchmal scheitert die Initiative schon beim Anruf einer Schule bei der Nennung des Stichworts „Computerspiele“ an der Sekretärin. Kein Wunder, die Haltung in Deutschland gegenüber Computerspielen ist bei den Nicht-Spielern durch die Killerspiele-Debatte geprägt. Das in Europa beispiellos hohe Alter der Lehrer in der Bundesrepublik trägt weiter dazu bei, dass Spiele an Schulen kaum willkommene Medien sind: In der Grundschule und Mittelstufe sind Dreiviertel der Lehrer über 40, die Hälfte ist sogar über 50 Jahre alt – das Zeitalter der Videospiele, das in den 80er-Jahre richtig in Schwung kam, dürfte an den meisten von ihnen vorbeigegangen sein. Schaut man sich dann noch die Ausstattung der Schulen mit Rechnern an, wird klar, warum Computerspiele bislang wenig Chancen als Lernmedium haben: Laut der aktuellsten Studie des Bundesbildungsministeriums teilen sich an deutschen Bildungseinrichtungen durchschnittlich elf Schüler eine Maschine.
Nicht so auf der Play08. Ein Dutzend Schüler arbeitet seit Stunden – jeder an seinem eigenen Laptop – konzentriert an ihrem ersten Flash-Spiel. Es macht ihnen offensichtlich Spaß, obwohl auch mit Programmcode hantiert werden muss. In der Abschlussrunde äußern sich alle zufrieden über den Einblick, den sie bekommen konnten – nur eine Teilnehmerin zeigt sich enttäuscht, dass es so schwierig sei, die eigenen Vorstellung umzusetzen. Der Workshop-Leiter lobt die Jugendlichen: lhre Spielideen seien nicht einfach abgekupfert, sondern durchaus originell. Er verspricht allen, ihr Spiele fertig zu stellen und auf CD an die Schule zu schicken.
Nebenan zocken Besucher an der „Spielbar“. Dieses Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung ist eigentlich die Website spielbar.de, auf der Spielebewertungen zu finden sind. Auf Veranstaltungen wie dieser, bietet sie jedoch jedem die Möglichkeit, zum Joypad oder zur Maus zu greifen und verschiedene Titel auszuprobieren. Die Bundeszentrale fungiert als Sponsor der Play08 und wird hier vertreten durch Arne Busse. Der ist Referent und dort für „politik- und bildungsferne Jugendliche“ zuständig. Die Play08 diene dazu, auszuloten, inwiefern Computerspiele „Bildungsagenten“ sein könnten. Erster Versuch seitens der Bundeszentrale in diese Richtung war eine Kooperation mit dem Cornelsen Verlag: Das Spiel aus der Reihe Genius zum Thema Politik stieß 2007 auf geteiltes Echo. Nächstes Jahr, so Busse, wolle man eher etwas in Richtung Casual Games ausprobieren.
Anke Heinze ist als Vertreterin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, dem zweiten wichtigen Sponsor des Ereignisses, nach Potsdam gekommen. Zwar habe die Aufsichtsbehörde für private Radio- und Fernsehanstalten mit Computerspielen unmittelbar nichts zu tun, doch habe sie einen Auftrag zur Förderung von Medienkompetenz. Die sei besonders bei Eltern und Lehrern in der Regel eher wenig ausgeprägt. Innerhalb ihrer Anstalt gebe es zwei Fraktionen, die eine können mit den Spielen nichts anfangen, so Heinze – die andere Seite sehe vor allem den Wirtschaftsfaktor Spielindustrie und sei deswegen dem Thema gegenüber offen. Digitale Spiele seien aus der praktischen Medienarbeit nicht mehr wegzudenken, erklärt sie und gehörten deswegen verstärkt auch an Schulen.
Doch im schulischen Bildungsbetrieb genießen sie einen bescheidenen Stellenwert – das entspricht wenig dem Alltag der meisten Jugendlichen, deren Freizeit ohne Handy, Internet, Computer und Konsolen kaum mehr denkbar ist. Mindestens ein Drittel, wohl eher die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen spielt regelmässig am Bildschirm. Doch Creative-Gaming Sprecher Hedrich ist letztlich mit den derzeitigen Verhältnissen zufrieden. Es ginge um Pionierarbeit, sie seien in der „angenehmen Situation“ eine Nische zu besetzen, in der sie als Medienpädagogen einmal nicht einer medialen Entwicklung hinterherlaufen, sondern mitten drin und dabei seien.
Hinten flimmern Kurzfilme auf den Rechnern. Es sind „Machinima“, die in den letzen Tagen in den Workshops mittels Spiele-Engines „gedreht“ wurden. Draußen ist es dunkel geworden und vor den Glasscheiben des Veranstaltungsraums findet eine „Weltpremiere“ statt. Über die Tage hinweg hat im Rahmen der Play08 ein Künstlerlabor an einem Spiel gearbeitet. Innen sitzt ein Spieler, der per Joystick eine per Beamer nach außen geworfene Figur steuert. Sein Mitspieler hält im Freien jenseits der Glasscheibe einen schuhkartongroßen Kasten. Beide müssen zusammenarbeiten, um die Figur auf diesem Monitorersatz zu halten. Doch spielen sie auch gegeneinander, um verschieden farbige Kugeln einzusammeln. Nicht gerade ein Spiel für jedes Wohnzimmer – geschweige denn einen Klassenraum – aber eine kreative Idee allemal.
Die Iniative will sich für ihr Anliegen derzeit nicht mit der Spieleindustrie zusammentun, ob als Partner oder Sponsor. Man konzentriert sich mehr auf die öffentliche Hand als Förderer. Ob kreative Workshops und Expertenrunde mit Pädagogen reichen, um mit der Botschaft vom Computerspiel als Bildungsinstrument durchzudringen? Veranstaltungen wie die Play08, ihre Vorläufer dieses Frühjahr in Hamburg und die Play07 in Hannover drohen, Nischen zu bleiben. Die Veränderungen der Medienwelt ist nach wie vor rasant, die Jugendkultur hält am einfachsten damit Schritt – das Bildungssystem dagegen ist längst abgeschlagen. Um dort aufzuholen, wären die Ressourcen, die seitens der Publisher zur Verfügung gestellt werden könnten, sicherlich dienlich. Vorausgesetzt, es gibt auf deren Seite Interesse an Nachwuchsförderung und dem Marktsegment Lern-/Unterrichtsspiele. Da könnte man Zweifel haben: Auf der Play08 war von Vertretern der Spieleindustrie weit und breit nichts zu sehen.
(erschienen im International Games Magazine 13/08 LINK))