Tim Zülch
Martell Beck ist maßgeblich verantwortlich für den Imagewandel der BVG / Dabei floppte »weilwirdichlieben« zuerst
Kennst du den? Ein U-Bahn-Waggon in Zentralperspektive. Die übliche Silhouette auf den Scheiben, das üblich wild-gesprenkelte Sitzmuster. Doch die Bahn ist leer: Kein einziger Fahrgast befindet sich darin. Darüber der Slogan: »Helaaf! Karnevalszeit! Hier die Bahn mit den Leuten, die das in Berlin interessiert.« Bäng, das sitzt!
Oder den hier: Die Aufschrift auf den Bussen, die den Flughafen Tegel anfahren: »Liebe Schwaben, wir bringen euch gerne zum Flughafen.« Darunter klein: »Und auf Wunsch auch wieder zurück«.
Das sind Werbesprüche, die Reichweite bringen, freut sich Martell Beck, Marketingchef der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Der erste Spruch erreichte über eine Million Twitter-Nutzer und wurde schließlich im »Kölner Stadtanzeiger« aufgegriffen. Über den zweiten Spruch echauffierte sich »Bild« Stuttgart und nannte ihn eine Unverschämtheit. Die Stuttgarter Verkehrsbetriebe konterten schließlich mit einem Gegenslogan. Solche Selbstläufer zu produzieren ist, was sich ein Marketingverantwortlicher wünscht.
»Reichweite ist die Währung, in der man heute rechnet«, sagt Martell Beck, der 2012 zur BVG kam. »ÖPNV, das klingt nach Kreppsohle, Linoleumböden und langen Fluren«, beschreibt Beck das Bild öffentlicher Unternehmen. Er wollte etwas Neues wagen. Seit die Berliner Stadtreinigung (BSR) 1999 ihre Kampagne »we kehr for you« gestartet hatte, begann auch in den Vorstandsetagen öffentlicher Unternehmen ein Umdenken.
Gemeinsam mit der Berliner Werbeagentur GUD entwickelte Beck die Kampagne »weilwirdichlieben« – und ging damit fürchterlich baden. Die Resonanz war vernichtend: »Marketing-Fehlschlag« titelte die »Berliner Zeitung«, »BVG erntet Häme mit Hashtag« der »Tagesspiegel«. Und die Fahrgäste verstanden einfach nicht, was die BVG ihnen damit sagen wollte. »Ich spüre den Tritt in den Hintern noch heute«, sagt Beck. Frühere Kollegen riefen an und fragten, was da los sei. In vergleichbaren Fällen wird der Marketingchef gefeuert, doch bei der BVG lief es anders: »Wir saßen beim Vorstand und haben uns alle mit betretenen Mienen angeguckt«, erinnert er sich. Doch dann hieß es: »Da müssen wir jetzt durch. Wir haben so viele Kampagnen gemacht, die niemanden interessiert haben. Die scheint ja zumindest zu interessieren.«
Martell Beck wuchs im Westerwald auf und studierte in Mannheim Betriebswirtschaft. Er sei ein »Kind der Branche«, sagt er. Bei der Deutschen Bahn brachte er es zum Leiter der Marketingstrategie und wechselte später in die Marketingabteilung der Stuttgarter Straßenbahn (SSB). Dort warb ihn die BVG ab, und er folgte dem Ruf in die Hauptstadt. »In Berlin kann man tausend Sachen erleben, das kulturelle Angebot ist unerschöpflich. Berlin ist Gehaltsbestandteil, ich bin sehr gerne in der Stadt.« Vor allem der lockere Umgang der Berliner untereinander hat es ihm angetan. Den scheint der 44-Jährige auch persönlich zu leben. Dass ihm selbst die sprichwörtliche Berliner Schnauze nicht fremd ist, stellt er mit der Kampagne unter Beweis.
Der Durchbruch kommt mit dem Internetspot »Is mir egal«, in dem der kürzlich verstorbene Kazim Akboga als Kontrolleur durch eine U-Bahn rappt. Das Video beschert der BVG 14 Millionen Klicks weltweit und 11 000 neue Facebook-Fans. Waren Soziale Medien bis 2015 bei der BVG ein Fremdwort, so bekommt sie zum Start der Kampagne einen Facebook-Auftritt und diverse Twitter-Accounts. Den Inhalt liefern acht Mitarbeiter im BVG-Callcenter und vier Kreative der Agentur GUD.
Frech, selbstironisch, witzig – so lässt sich der Umgangston auf BVG_Kampagne umschreiben. Dass es damit offenbar gelingt, vor allem junge Berliner an das Unternehmen zu binden, belegen 134 000 Follower. Dass es auch mal zum Drahtseilakt werden kann, wenn die Tweets nicht gegengecheckt werden, zeigte sich, als es unlängst auf Twitter zu einem Schlagabtausch zwischen dem AfD-Politiker Gunnar Lindemann und der BVG kam. »Einen Unfall« nennt Martell Beck die Sache heute. Er habe es nicht auf die AfD abgesehen, man sei als öffentliches Unternehmen politisch neutral. »Jetzt im Bundestags-Wahlkampf halten wir uns sowieso aus der Politik raus«, kündigt er an.
Auch manche Plakatmotive bewegen sich an der Grenze zwischen frech und peinlich. So das Plakat mit dem Slogan: »Du musst deine Möpse nicht verstecken. Kleine Haustiere fahren bei uns gratis.« Zu Beginn war auch Martell Beck gegen das Motiv. »Wir wollen keine Altherrenwitz-Kampagne.« Doch bei einem Pre-Test bei einigen hundert Kunden erreichte das Motiv selbst bei weiblichen Teilnehmern sensationelle Zustimmungswerte. »Noch heute ist das Plakat das, welches sich unsere Mitarbeiter am liebsten ins Büro hängen«, sagt Beck.
Immer wieder fragen BVG-Mitarbeiter, ob und wann diese Kampagne eigentlich vorbei sei. Denen antwortet er dann: »Nein, wir sind jetzt ›Weil wir dich lieben‹.« Martell Beck hat noch so einige Ideen im Kopf. Das, was bei jungen Fahrgästen erreicht wurde, möchte er gerne auch Berlinerinnen und Berlinern ohne Twitter- oder Facebook-Account näherbringen. »Meine Idee ist, die Sachen, die online toll laufen, auch in andere Kanäle zu bringen.« Doch das Problem ist: »Print ist sehr teuer«, sagt er.