Ein Berliner Theater inszeniert das Motto von Airbnb, indem es sich selbst in das «Hotel Berlin» verwandelt. Im Grossstadtleben durchdringen sich Tourismus und Alltag immer stärker.
Fünfzehn Euro für ein Erste-Klasse-Bett mitten im authentischen Bühnenbild eines alternativen Theaters in einem hippen Berliner Quartier, das klingt vielversprechend. Doch leider, so verrät das Internetportal, ist nur noch ein Schlafplatz zweiter Klasse verfügbar, schlafen «wie früher die Veteranen des Ersten Weltkriegs im ‹Ledigenheim› im zweiten Stock des Hauses». Das verspricht spartanisch zu werden, aber auf das besondere Erlebnis kommt es an.
Am Abend stehe ich im Hinterhof vor dem Ballhaus Ost, einer von langen Jahren dunkel gewordenen Fassade, in der noch die Löcher von Bombensplittern zu sehen sind. Und das in der Gegend Berlins, die am stärksten für Gentrifizierung steht: dem Prenzlauer Berg. Am Check-in werde ich gefragt, ob ich lieber Ruhe zum Schlafen brauche oder mehr der Partytyp bin und wie wichtig mir die Nähe zur Toilette ist. Die Bedeutung der letzten Frage wird sich gleich klären: Zwar wurde das in «Hotel Berlin» umbenannte Theater vom Keller bis zum vierten Stock vollgestopft mit 75 Betten und anderen provisorischen Schlafgelegenheiten, Toiletten gibt es aber nur im Erdgeschoss. Und an Ruhe zum Schlafen ist wohl in keinem Teil des provisorischen Hotels zu denken. Die Trennwände bestehen aus einfachen Spanplatten und Kulissenelementen, Betten stehen in mit Vorhängen abgeteilten Nischen. Auch die Einzelzimmer sind nicht immer attraktiv, manche befinden sich im muffigen Ambiente des Theaterkellers.
Die beschönigende Darstellung der Zimmer im Internet wie auch die der Profitmaximierung dienende Enge sind gewollter Teil der Inszenierung von «Hotel Berlin», die sich an das Ferienwohnungsportal Airbnb anlehnt. Auch ein eigenes Buchungsportal im Internet gehört zum ästhetischen Gesamtkonzept.
Im Bett auf der Bühne
Das echte Airbnb ist im Grunde nicht viel mehr als eine Internetplattform, über die Menschen ihren privaten Wohnraum für Gäste aus aller Welt anbieten – verbunden mit dem Versprechen, das persönliche Zuhause zu teilen. Was im kalifornischen Silicon Valley 2008 als digitaler Communitymarktplatz begonnen hat, ist mittlerweile ein global tätiges Unternehmen mit einem Börsenwert von über dreissig Milliarden US-Dollar. Der Idealismus des Teilens ist dabei längst in den Hintergrund gerückt und kreiert namentlich in urbanen Tourismuszentren wie New York, Barcelona oder Berlin handfeste Probleme für die ansässige Bevölkerung.
Das spiegelt sich auch in der Erzählung, die «Hotel Berlin» zugrunde liegt: Die Mieten in der Stadt klettern in schwindelerregende Höhen, und das freie Theater Ballhaus Ost muss zusehen, wie es diesen Hauptkostenpunkt einspielt. Neben dem normalen Betrieb werden also TouristInnen einquartiert. SchauspielerInnen und die Ballhaus-Leiterin Tina Pfurr müssen neben ihrer normalen Arbeit noch die Schlafgäste einweisen und unterhalten. Theaterproben werden derweil an andere Orte ausgelagert, da die eigentlichen Probebühnen mit Betten belegt sind. Das Theater überspitzt, was auch reguläre GastgeberInnen auf Airbnb tun: Teile der Wohnung werden (zeitweise) untervermietet, um sich die eigene Miete noch leisten zu können. «Zweckentfremdung ist ein grosses Thema», sagt Regisseur Stefan Nolte zur Idee des Stücks. «Man holt sich auf einmal Gäste ins Haus, und zwar eine bestimmte Form von Gästen, die in einer besonderen Weise angesprochen sind, sich hier zu Hause zu fühlen, Teil zu werden. Das ist aber eine Strategie, um Geld zu verdienen.»
Dramaturgin Ruth Feindl erzählt von einem befreundeten Filmemacher, der sich zuerst von seinem Erbe eine kleine Wohnung im Stadtteil Wedding gekauft hatte, um über die Miete seinen Lebensunterhalt zu verdienen. «Weil das nicht reicht, fängt er an, zu seiner Freundin zu ziehen und seine eigene gemietete Wohnung in Neukölln unterzuvermieten.» In Berlin ist er damit längst kein Einzelfall mehr, wie Feindl anmerkt. «Man betreibt eine massive Selbstverdrängung und auch eine Zweckentfremdung des Wohnraums, die dann stadtpolitisch wieder zum Problem wird.» Dabei wollte man ursprünglich einfach seiner Arbeit und seinem Lebensunterhalt nachkommen können. «Jetzt dringt das Modell Airbnb total in unsere sozialen Kreise ein», sagt Feindl. Und es schlage dabei Kapital aus Werten wie Freundschaft und Teilhabe.
Gastfreundschaft im Widerspruch
Längst tummeln sich auf Airbnb auch professionelle AnbieterInnen von zehn und mehr Ferienwohnungen; da finden keine persönlichen Begegnungen statt. In Berlin ist es seit Anfang Mai 2016 zwar verboten, Wohnungen mehrmals im Jahr als Ferienwohnungen anzubieten. Aber auch nach diesem Zweckentfremdungsverbot bezogen sich mehr als die Hälfte aller Airbnb-Angebote in Berlin auf komplette Wohnungen. Allein im Mai vermieteten über 300 AnbieterInnen ausserdem mehr als eine Wohnung. Kaum mehr zu finden sind einzig Personen, die gleich zwanzig oder mehr Wohnungen im Angebot haben.
Die Kluft zwischen dem Börsenunternehmen und den teils prekär lebenden NutzerInnen ist die eine Seite, die andere ist der innere Widerspruch der GastgeberInnen. In «Hotel Berlin» repräsentieren die PerformerInnen Tina Pfurr und Alexander Schröder die unterschiedlichen Strategien, damit umzugehen. Die beiden nehmen die Gäste auf Führungen durch das Ballhaus mit. Superhost Tina, immer etwas überdreht, bleibt mit ihrer Geschichte in der Jetztzeit, wirft maximal einen Blick zurück auf die vergangenen zehn Jahre, in denen das Haus bereits Ballhaus Ost war. Alternative Geldquellen zum Theaterbetrieb habe es schon immer gegeben, erzählt sie: Technopartys im Theatersaal etwa, woraufhin dann die anschliessenden Proben in den Dünsten der vorangegangenen Nacht hatten stattfinden müssen.
Während sie die Gäste durchs Haus führt, klingelt immer wieder ihr Handy, sie entschuldigt sich im Minutentakt, um ihren Aufgaben als Chefin des Hauses nachzukommen. Wir hören Gesprächsfetzen eines Telefonats mit dem Bezirksamt, das nicht verstanden hat, dass «Hotel Berlin» nur eine Theaterinszenierung ist und kein regulärer Beherbergungsbetrieb mit entsprechenden Auflagen; mit dem Vermieter, dem Tina verspricht, die nächste Miete nun wirklich zu überweisen. Am Ende der Führung verschwindet sie mit dem Telefon am Ohr und lässt die Gäste im Keller stehen.
Alexander Schröder führt uns weiter zurück in die Geschichte, heraus aus dem Theatersaal auf den angrenzenden Friedhof. Dort erinnert ein Grabmal an Agnes Wabnitz, die sich Ende des 19. Jahrhunderts für die gewerkschaftliche Organisierung und die Rechte von Arbeiterinnen einsetzte. Wir scheinen herauszutreten aus dem Zeitalter des Immobilienwahns in eine Zeit, in der, statt dass man sich individuell und prekär durchwurstelte, noch die soziale Frage gestellt wurde. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist aber unvermindert da, und der Grundbesitz Teil dieses Problems. Im Hof benennt es Schauspieler Schröder deutlich: «Jedes Jahr verdienen die Eigentümer hier eine Million Euro durch Nichtstun.» Die Lage des Ballhauses Ost reicht aus, Investitionen sind nicht nötig.
Nach den Führungen treffen sich die Gäste wieder im Theatersaal, um über ihre eigenen Erfahrungen zu diskutieren und gemeinsam zu essen. Später irgendwann werden wir müde auf unsere Matratzen sinken.
Den Alltag in Wert gesetzt
«Hotel Berlin» spielt in der Kulisse einer Stadt, deren Immobilienmarkt in den letzten Jahren begonnen hat zu hyperventilieren, die Zweckentfremdung von Wohnraum als Ferienwohnung ist da nur ein Faktor unter vielen. Im Jahr 2015 knackte Berlin die Marke von dreissig Millionen Hotelübernachtungen. Schätzungsweise dreissig Millionen weitere Übernachtungen bei Verwandten und FreundInnen kommen dazu. Darin noch nicht enthalten sind die Ferienwohnungen, die es in Berlin seit Anfang Mai offiziell nur noch in äusserst geringer Zahl und mit Genehmigung vom Amt geben darf. Die Stadt schätzte ihre Zahl vor dem Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots auf etwa 12 000, die Mietervereine der Stadt gingen vom Doppelten aus.
Aber auch diese Ferienwohnungen würden weniger als ein Prozent des gesamten Berliner Wohnungsbestands ausmachen. Weshalb ist die Aufregung darum so gross? «Man muss davon ausgehen, dass sich diese Wohnungen genau in dem Marktsegment befinden, wo der Wohnungsmarkt sowieso sehr angespannt ist», sagt Nils Grube, der sich an der Humboldt-Universität mit dem Phänomen «New Urban Tourism» beschäftigt. Die am stärksten betroffenen Gegenden sind innerstädtische Wohnquartiere. Dort waren die Mieten vor einigen Jahren noch günstig.
Die Nachfrage nach Ferienwohnungen dreht nicht nur die Mietenspirale in die Höhe. TouristInnen besuchen nicht länger nur Sehenswürdigkeiten, sie wollen vermehrt am Alltag der StädterInnen teilnehmen. Dabei verschränkt sich das Verhalten von TouristInnen und Einheimischen immer stärker, wie Grube betont. Airbnb passt perfekt in dieses Konzept, auch die Werbung der Plattform zielt genau darauf ab: «Fahr nicht nach Paris, lebe dort! Fühl dich überall zu Hause. Geh deinem Alltag nach.» Oder wie es Gastgeberin Tina auf dem Portal des «Hotels Berlin» ausdrückt: «Geh nicht ins Theater. Fahr nicht in den Prenzlauer Berg. (…) Werde Teil der Theaterfamilie. Fühl Dich zu Hause, mitten in der Kunst!»
Wenn der Alltag in einer anderen Stadt zur touristischen Destination wird, wird aber auch ein immer grösserer Teil dieses Alltags in Wert gesetzt. Da TouristInnen trotz allem andere Bedürfnisse haben als jene, die permanent im Quartier leben, verschwinden Versorgungsangebote wie Kindergärten. Stattdessen eröffnen Restaurants oder sogenannte Spätkaufs – Kioske, die hauptsächlich der Versorgung mit Alkoholika nach Ladenschluss dienen. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg versucht man gerade, die Ausweitung der Gastronomie in bestimmten Quartieren zu verhindern, indem man sie an die Auflage der «wohnortnahen Versorgung» zurückbindet. Das erscheint – genauso wie Mediationsverfahren, um nächtlichen Lärm zu vermeiden – allerdings recht hilflos angesichts der BesucherInnenzahlen und der möglichen Wertschöpfung daraus.
Der letzte Nachbar
Ganz abgesehen davon: Die Strategie, die eigene, zu hohe Miete über Ferienvermietungen zu refinanzieren, steht nicht allen offen. Airbnb spricht nicht nur bei den Gästen, sondern auch bei den GastgeberInnen ganz bestimmte Zielgruppen an. «Vor allen Dingen Familien können vielleicht mal ein Zimmer anbieten, aber nicht komplett ihre Wohnung räumen», sagt Nils Grube. «Dinks, also jene ohne Kinder, aber mit doppeltem Einkommen, haben vielleicht sogar zwei Wohnungen und können sich so besser über Wasser halten.»
In «Hotel Berlin» gibt es immerhin eine Person, die Hoffnung vermittelt, dass das Teilen jenseits der Inwertsetzung möglich ist: ein Nachbar aus dem Quartier, der im Theaterstück den Namen Herr Diano trägt, aber im Grunde sich selbst spielt, wie von Dramaturgin Ruth Feindl zu erfahren ist. Der alte Herr hat als letzter Mieter in seinem Haus bislang allen Versuchen, ihn rauszuschmeissen, widerstanden. Da er aber zwischen Baulärm und im Winter ohne Heizung ausharren muss, geht er tagsüber in verschiedene Exile. In den Cafés der Umgebung ist er wohlbekannt und stets willkommen.
In der Inszenierung ist er unentgeltlich zu Gast im Ballhaus Ost: Er hat dort seine eigene Wohnnische. Und so lässt sich das Stück auch verstehen als eine Aufforderung zum Teilen – ohne daraus einen finanziellen Vorteil zu schöpfen.