Emiliania huxleyi ist keine fünf Mikrometer gross, besteht aus einer einzigen Zelle und trägt einen filigranen Panzer aus Kalkscheiben. Zu Hause ist sie fast überall in den Weltmeeren. Und wenn sie blüht, ist das sogar vom Weltall aus sichtbar, denn dann färbt sich das Meerwasser milchig türkis. Emiliania huxleyi ist eine Kalkalge und lebt in den oberen Meeresschichten, dort, wo ausreichend Licht ankommt, um Fotosynthese zu betreiben. Die mikroskopisch kleine Alge trägt so ihren Teil dazu bei, dass die Ozeane eine der grössten Kohlenstoffsenken des Planeten sind. Wenn sie stirbt, sinkt sie zum Meeresboden und nimmt den Kohlenstoff mit sich in die Tiefe, wo er langfristig gebunden bleibt.
Wenn die Ozeane versauern
Darüber hinaus ist das Phytoplankton, zu dem die Kalkalge gehört, die Basis des Lebens im Meer. Emiliania huxleyi – von WissenschaftlerInnen mit dem Spitznamen Ehux bedacht – ist nur eine von etwa 5000 Arten des Phytoplanktons. Aber sie zählt zu den bedeutendsten. Während der Blüte macht sie den überwiegenden Teil der Planktonmasse aus.
Ehux ist für die Meere so etwas wie eine häufige Baumart im Wald: Ohne Wälder würde unser Planet zwar weiter Kohlenstoff speichern, aber eben weniger. Ohne Phytoplankton würden auch die Meere noch Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, aber die Menge würde sich reduzieren.
Den Meeren verdanken wir, dass die globale Erwärmung seit der industriellen Revolution bislang abgemildert wurde. Etwa ein Drittel des seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestossenen CO2 hat der Ozean aufgenommen. Rund siebzig Prozent der Erdoberfläche sind von Meeren bedeckt, auf knapp 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser wurde ihr Volumen zuletzt geschätzt. Ein Teil des Kohlendioxids, das das Wasser aufnimmt, wird von Organismen wie Ehux gebunden, ein anderer Teil reagiert mit dem Wasser, was zu einem Anstieg des Säuregrads führt.
Der Ozean ist heute um dreissig Prozent saurer als in vorindustrieller Zeit, das entspricht einem Rückgang des pH-Werts von 8,2 auf 8,1. «Vor zwanzig Jahren hat noch niemand von Ozeanversauerung gesprochen», sagt Ulf Riebesell. «Dabei gab es in den letzten 55 Millionen Jahren kein Ereignis, das den Ozean mit dieser Geschwindigkeit hat versauern lassen.» Der Meeresforscher koordiniert am Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, ein Forschungsprojekt zur Ozeanversauerung. Würde die Menschheit bis 2100 weiter so wie bisher Kohlendioxid ausstossen, könnte der Säuregehalt des Ozeans um 170 Prozent zunehmen.
Eine solche Versauerung hat Folgen für Meeresorganismen. Besonders Arten, die Kalkschalen oder -skelette aufbauen – dazu zählen Muscheln, Seesterne und Korallen –, bekommen zunehmend Probleme. Für den Aufbau der Kalkbestandteile brauchen sie eine ausreichende Menge an freien Kalziumkarbonat-Ionen im Wasser. Ist zu wenig Kalziumkarbonat verfügbar, können die Schalen der Meeresorganismen angegriffen werden. «Die Polarregionen sind besonders von der Versauerung betroffen», sagt Riebesell. Dort ist der pH-Wert schon heute niedriger als in anderen Meeresregionen, weil kaltes Wasser mehr Kohlendioxid aufnehmen kann. «Innerhalb weniger Dekaden wird das Wasser in der Arktis korrosiv für kalkbildende Organismen – sind sie nicht geschützt, löst das Wasser ihre Kalkschalen auf.»
Korallenriffe bedroht
An der Klimakonferenz in Paris, die Ende November beginnt, versucht man, die Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Doch bei Klima- und MeereswissenschaftlerInnen setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass bereits ein solcher Temperaturanstieg zu grosse Risiken birgt, vor allem für die Meeresökosysteme. «Bei über 1,5 Grad steigt das Risiko von moderat auf hoch», sagt Hans-Otto Pörtner, Biologe am Alfred-Wegener-
Institut für Polar- und Meeresforschung und seit neustem Kovorsitzender der Arbeitsgruppe 2 beim Weltklimarat, die sich mit den Folgen des Klimawandels beschäftigt. «Versauerung und Erwärmung verstärken sich ungünstig», sagt Pörtner. Für das Leben im Ozean sind beides Stressfaktoren, die gemeinsam betrachtet werden müssen. Hinzu kommen ein abnehmender Sauerstoffgehalt und Verschmutzung.
Wie schädlich das Zusammenwirken von Temperaturanstieg und Versauerung sein kann, lässt sich bei Korallen beobachten. Steigt die Wassertemperatur zu stark an, leiden sie an der sogenannten Korallenbleiche und können absterben. Der Farbverlust ist ein Zeichen dafür, dass die Organismen, mit denen die Korallen in Symbiose leben und die sie mit Nährstoffen versorgen, abgestossen wurden. Die Zooxanthellen, die die kräftigen Farben hervorbringen, produzieren nämlich bei zu hohen Temperaturen Stoffe, die für ihre Wirte – die Korallen – giftig sind. Trennen sich die Korallen aber für einen zu langen Zeitraum von ihren Symbiosepartnern, sterben sie selbst an Nährstoffmangel.
Nicht allein die Korallenbleiche, auch ein saureres Milieu hemmt Korallen in ihrem Wachstum. Das lässt sich beispielsweise im Umfeld vulkanischer CO2-Quellen im Ozean beobachten. Treffen Hitze- und Säurestress zusammen, können sich die Riffe immer seltener regenerieren.
Korallen benötigen eine besonders hohe Sättigung des Wassers mit Kalziumkarbonat. In einem Szenario mit gleichbleibend hohen CO2-Emissionen wäre der grösste Teil der tropischen Riffe bedroht. «Nach Modellrechnungen können fünfzig Prozent der Korallenriffe erhalten werden, wenn wir den Temperaturanstieg auf etwa 1,2 Grad Celsius begrenzen», sagt Pörtner. Selbst wenn sich die Staaten in Paris auf maximal 1,5 Grad einigen und ihre Reduktionsziele entsprechend anpassen würden, wäre ein Teil der Korallenriffe also nicht zu retten.
Betroffen von der Ozeanversauerung sind auch einige der kleinsten Lebewesen, unter ihnen Emiliania huxleyi. Um zu beobachten, wie sich Meeresökosysteme unter Versauerung ändern, unternahmen MeeresforscherInnen des von Riebesell koordinierten Projekts Bioacid (Biological Impacts of Ocean Acidification) in diesem Frühjahr einen umfassenden Feldversuch im norwegischen Raunefjord bei Bergen. Dort gibt es normalerweise eine ausgeprägte Algenblüte von Ehux.
Das natürliche Meeresökosystem wurde im Experiment einem erhöhten Niveau von Kohlendioxid ausgesetzt. Dazu hängten die MeeresforscherInnen acht Mesokosmen – eine Art gigantische Plastiksäcke mit einem Volumen von 55 Kubikmetern – in den Fjord. «Das Ökosystem, das wir eingeschlossen haben, ist das typische, das wir überall in den Ozeanen finden», so Riebesell. In einem Teil der Versuchsbehälter erhöhten die ForscherInnen den CO2-Druck auf Bedingungen, die einem «Weiter so»-Szenario im Jahr 2100 entsprechen sollten, und dokumentierten, wie sich die Organismen innerhalb von zwei Monaten entwickelten.
Noch lange im Gedächtnis
Die grossen Verlierer waren Kalkalgen und Flügelschnecken – beides kalkbildende Arten, beide weitverbreitet und wichtige maritime Nahrungsquellen. Während sich Ehux in einem Laborexperiment am Geomar noch als äusserst anpassungsfähig erwiesen hatte, war dies im Fjord nicht länger der Fall. Organismen, die sich im Labor über 2500 Generationen an saurere Bedingungen angepasst hatten, zeigten in der natürlichen, aber versauerten Umgebung hohe Verlustraten. Die Flügelschnecke Limacina helicina, wichtiger Bestandteil des Zooplanktons, war schon in der zweiten Generation fast nicht mehr vorhanden.
Wenn aber die kalkbildenden Arten zurückgehen und ihre sterblichen Überreste nicht mehr zum Meeresboden absinken, geht eine Art der langfristigen Speicherung von Kohlenstoff verloren. Und Ehux könnte noch mehr klimarelevante Funktionen haben. So ist bekannt, dass Phytoplankton das klimakühlende Gas Dimethylsulfid produziert. Das Gas oxidiert in mehreren Schritten zu Schwefelsäure, die wiederum Kondensationskeime für die Wolkenentstehung über den Ozeanen bildet. Wolken wiederum sorgen dafür, dass ein grösserer Teil der Sonneneinstrahlung reflektiert wird und sich das Meer weniger stark aufheizt. Kalkalgen wie Ehux tragen aber auch ganz direkt zu diesem Effekt bei, indem sie das Wasser während der Algenblüte milchig färben.
Wenngleich solche Wechselwirkungen zwischen Meeresversauerung, Ökosystemen und Klima noch detaillierter erforscht werden müssen, lässt sich schon jetzt sagen, dass die Ozeane die Industrialisierung noch lange Zeit im Gedächtnis behalten werden. «Es wird Jahrtausende dauern, bis die Ozeane in den vorindustriellen Zustand zurückschwingen», sagt Hans-Otto Pörtner. Selbst wenn sich die Staatengemeinschaft in Paris auf eine schnelle Dekarbonisierung einigen sollte.
Doppelt bedroht
Besonders Inselstaaten und Länder mit flachen Küstengebieten drängen weiterhin darauf, in Paris für die globale Erwärmung ein Limit von 1,5 Grad festzuschreiben. Denn schon bei 2 Grad drohen Inseln vom Meer verschluckt zu werden und Extremwetterereignisse wie etwa Tropenstürme immer bedrohlichere Ausmasse anzunehmen.
Ausserdem gefährdet die Ozeanversauerung die Korallenriffe, die bislang den Küsten Schutz geboten haben. Auch die Erträge der Muschelfischerei werden sinken, Fischbestände im Umfeld von absterbenden Korallenriffen zurückgehen. Damit schwindet die Haupteiweissquelle für etwa eine Milliarde Menschen weltweit.