Karsten Krampitz, Jahrgang 1969, ist Historiker, Schriftsteller und Mitglied im Berliner Koordinierungskreis der Emanzipatorischen Linken. Tim Zülch sprach mit ihm für »nd«.
nd: Was war 2013 gut?
Krampitz: Ich bin mit meiner Doktorarbeit beinahe fertig geworden, mein Roman hat einen Verlag gefunden, erscheint nächstes Jahr, und wir haben die Ema.Li auf die richtige Spur bekommen.
Was ist Ema.Li?
Die Emanzipatorische Linke versteht sich als eine Strömung in und bei der Partei Die LINKE. Wir wollen einen Diskurskorridor bilden, Mittler sein zwischen Linken außer- und innerhalb der Partei.
Konkret heißt das?
Klaus Lederer hat einmal gesagt, das Problem sei unter anderem der kulturelle Mundgeruch der Linken. Damit meint er nicht nur den SED-Mief mancherorten, sondern auch die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Es gibt so viele Funktionäre und Mandatsträger bei uns, die bestimmte existenzielle Erfahrungen nie gemacht haben und auch nie machen werden. Angst, materielle Not und Verzweiflung kennen sie vom Hörensagen. In einem Lied der Band Fehlfarben heißt es: »Ich kenne das Leben / Ich bin im Kino gewesen«. Irgendwelche Gremien und Ausschusssitzungen sind nicht das Leben. Bei der Ema.Li haben wir auch keine Antworten, aber wir wollen die Fenster öffnen, dass Luft reinkommt. Sozialismus soll wieder ein Lebensgefühl werden, und zwar ein schönes.
Klingt gut. Aber wie kann man das erreichen?
Die Linke braucht eine breitere Basis politisch aktiver, kreativer Menschen, die erst einmal nicht im Politikbetrieb den sozialen Aufstieg suchen. Es braucht eine Kultur der Selbstermächtigung, von der Mitmach- zur Selbstmach-Partei. Wichtig sind konkrete Projekte: Anfang Juli 2014 organisieren wir bei der Ema.Li mit anderen Gruppen ein Mühsam-Fest in Berlin. Zum 80. Jahrestag der Ermordung Erich Mühsams im KZ Oranienburg. Überhaupt ist uns der Freiheitsbegriff sehr wichtig. Allerdings hat Freiheit für uns ein starkes soziales Moment, ist also auch Freiheit von sozialer Angst.
Dazu haben Sie ja auch Anfang letztes Jahr ein Buch herausgebracht, »Schritt für Schritt ins Paradies. Handbuch zur Freiheit« …
Ja, gemeinsam mit Klaus Lederer. Weil wir denken, wir müssen uns den Freiheitsbegriff wieder von den Konservativen zurückholen. Die konservativ-liberale Vorstellung von Freiheit ist ja, dass jeder Mensch so eine kleine Insel für sich hat, auf der er machen kann was er will. Und der Staat sorgt dann dafür, dass diese vielen Inseln sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Diese Menschen sind nur frei von einander. Wir wollen das die Menschen frei sind miteinander und füreinander. Eine schöne Utopie, oder?
Was kann der Einzelne tun, um sich in dem Sinne zu befreien?
Ich bin kein Guru. Am besten, man hört nicht auf Leute, die einem sagen wollen, was man zu tun hat. Es rettet uns kein höheres Wesen – wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen, selbst aktiv werden.
Jahrelang haben Sie sich in diversen Obdachlosenprojekten engagiert. Unter anderem beim Strassenfeger. Ist das Thema ganz durch?
Nein, ich sehe doch jeden Tag die armen Schlucker durch die U- oder S-Bahn krauchen. Traurig ist das. Der »Strassenfeger« sollte mal ein emanzipatorisches Projekt sein. Den Obdachlosen wollten wir Würde und Selbstbestimmung zurückgeben. Das Gegenteil ist heute der Fall: Es sind zusätzliche Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen worden; jeder Arbeiter bei Siemens hat mehr Mitbestimmungsrechte als ein Verkäufer beim »Strassenfeger«. Alles in allem war das vielleicht keine gute Idee mit den Obdachlosenzeitungen.
Das sagt jemand, der maßgeblich dran beteiligt war.
Ja, das stimmt. Sicher, es gibt auch andere Beispiele. »Hinz und Kunzt« in Hamburg ist ein seriöses Projekt, die arbeiten transparent. Aber in Berlin, das sind Drückerkolonnen.
War das früher einmal anders?
Eine Zeitlang haben wir Einnahmen und Ausgaben in der Zeitung veröffentlicht. Im Jahr 2000 haben Verkäufer des »Strassenfegers« gemeinsam mit der FAU die Lobby im »Kempinski« besetzt, mit Transparenten: »Es sind noch Betten frei!« Viele Jahre gab es zum 1. Mai immer eine eigene Kundgebung, erst an der Siegessäule, später vor der Volksbühne. Als Redakteur bin ich von den obdachlosen Verkäufern noch gewählt worden!
Mein Job war es u.a., dass mindestens ein Drittel der Texte von den Obdachlosen selbst kam. Zur Not habe ich die Verkäufer aufs Diktiergerät sprechen lassen. Aber das ist lange her. Das haste bei allen guten Ideen, dass sie irgendwann kippen. Christentum, Kommunismus und auch bei Straßenzeitungen.
Christentum und Kommunismus?
Hui. Jetzt sind wir beim Urschleim, was? Für mich sind Christentum und Kommunismus im Ursprung gut gemeinte Religionen – sie boten den Menschen irgendwann einmal Antworten auf Fragen, die sie sich heute so nicht mehr stellen. Aber das Bedürfnis nach Erlösung hat in unserer Gesellschaft ja offenbar nachgelassen und dieser riesige Kirchenapparat wird nicht mehr gebraucht, eine religiöse Sonderwelt, die vom Staat nur unnötig subventioniert wird.
In Ihrer Arbeit als Historiker und Schriftsteller sprechen Sie von der transzendentalen Obdachlosigkeit des Menschen.
Ein Wort von Georg Lukács. Ich glaube nicht an Gott, aber ich finde es auch nicht super, dass es keinen Gott gibt. Es wäre schön, wenn all die Idioten nicht das letzte Wort behielten. Außerdem soll Gott ja das Versprechen sein, dass kein Mensch vergessen ist. »Ich habe deinen Namen auf meine Hand geschrieben.« (Jesaja 49,16) Wer will schon vergessen sein? Aber ich muss mich wohl selbst darum kümmern, ein paar Kratzer an der Wand zu hinterlassen.