Kleinbauern setzen sich für gute Lebensmittel ein – und haben mit Preisdruck und der Landfrage zu kämpfen
Rüben groß und unförmig. Erde hängt in Klumpen daran. Roberto Vena steht hinter dem Stand der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg. »Wilde Gärtnerei« nennt er seinen Betrieb, den er seit drei Jahren in Brandenburg betreibt. Ja, wild sieht es aus, das Gemüse, das Roberto an seinem Marktstand präsentiert. Roberto nimmt keine EU-Landwirtschafts-Subventionen, weil er der Meinung ist, dass sich ökologische kleinbäuerliche Landwirtschaft selbst tragen muss. Mit Leuten aus der Stadt schließt er ein Abkommen über Erntebeteiligung und gibt ihm den Namen »Selawilde«. Stadtbewohner, die »einen direkten Kontakt zu Landwirtschaft suchen und sich am Anbau ihrer Lebensmittel beteiligen wollen«, können sich mit einem monatlichen Beitrag oder gelegentlichen Arbeitseinsätzen an der Landwirtschaft beteiligen und erhalten im Gegenzug, was der Boden des kleinen Hofs im Nordosten Berlins hergibt.
Nikolaus Driessen und Florian Niedermeier, Betreiber der Markthalle Neun in Kreuzberg, gehen gerne an Robertos Stand vorbei und bewundern das unnormierte Gemüse. Seit gut einem Jahr versuchen sie, kleinbäuerliche Landwirtschaft und kleine ProduzentInnen zu fördern. Über zehn Jahre wurde die Halle nicht mehr als landwirtschaftlicher Markt genutzt, erinnert sich Nikolaus und trinkt einen Schluck aus seinem Cappuccino. KiK, Aldi und Schlecker hatten sich angesiedelt – nicht gerade das, was man unter kleinbäuerlich verstehen würde. Dann verkaufte die Stadt die Halle, Florian und Nikolaus schlossen sich in einer »Unternehmergesellschaft und Co. KG« zusammen und erwarben das Gebäude. Dass Aldi und KiK da nicht unbedingt reinpassen, war offensichtlich, aber die beiden Discounter haben lange Mietverträge und außerdem gab es Proteste von linken Kiezgruppen, die wichtig fanden, dass Aldi als Einkaufsmöglichkeit für Menschen mit wenig Geld in der Markthalle erhalten bleibt. Ein Argument, das Nikolaus und Florian nicht verstehen. »Wir wollen nicht primär billige Lebensmittel, wir wollen gute Lebensmittel«. Außerdem: Bei Aldi profitiert nur eine Familie vom Gewinn, bei unseren Händlern sind es bestimmt 500 Leute, die von dem leben, was wir hier anbieten.»«
Stets im Interesse der kleinen Bauern
In der Markthalle Neun zeigt sich der Konflikt, den Jochen Fritz mit der Kampagne »Meine Landwirtschaft« thematisiert. 20 000 Leute kamen Mitte Januar zur »Wir haben es satt«-Demo – parallel zur Grünen Woche in Berlin. Die Kampagne »Meine Landwirtschaft« ist ein Zusammenschluss aus gut vierzig Nichtregierungsorganisationen aus Ökologie, Tierschutz und sozialem Bereich. Jochen Fritz ist Koordinator in Berlin und sitzt in einem kleinen aber schicken Büro in Berlin-Mitte. Drei Mitarbeiter gibt es hier, Fritz tippt auf seinem alten Macbook. Dann lehnt er sich zurück, blickt durch seine Nickelbrille. Man kann sich den diplomierten Agraringenieur besser auf einem Acker als in dem Büro in der Nähe von Business-Lunch-Locations vorstellen. Doch auch hier macht er einen erstaunlichen Job. »Am Anfang gab es Vorbehalte einzelner Organisationen. Aber die Zeit war einfach reif, sich zusammenzuschließen. Nachdem die erste Demo ein voller Erfolg war, kamen zum Beispiel auch die vorher abwartenden kirchlichen Gruppen dazu«.
Mitte März debattierte das EU-Parlament über eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). »Meine Landwirtschaft« und Jochen Fritz waren vor Ort in Straßburg. 60 Milliarden Euro schüttet die Gemeinschaft jährlich an Subventionen aus. »Doch die werden falsch verteilt«, meint er. Die EU zahlt den Bauern Geld nach der Größe ihrer Betriebe, es gilt: viel Fläche, viel Geld. »Meine Landwirtschaft« fordert nun eine Einbeziehung der Arbeitskräfte und eine Deckelung der Subventionen auf 300 000 Euro pro Betrieb. Außerdem könnten die ersten Hektar höher bewertet und Zahlungen an Umweltstandards gebunden werden. Das Resümee der Proteste fällt bei Jochen Fritz zwiespältig aus. Einerseits hat sich EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos Forderungen der Kampagne zu eigen gemacht, andererseits hat das EU-Parlament nur sehr kleinen Reformen zugestimmt. Vor allem die deutsche Regierung mit Ministerin Ilse Aigner bremse eine Reform aus, so Fritz. »Aigner redet viel von Ökologie, versucht aber die EU-Gesetzestexte zu verwässern«.
»Die Bevorzugung des industriellen Agrarproduktion gegenüber kleinen Bauern hat System«, meint Frank van der Hulst. Seit 2009 ackert er zusammen mit seiner Frau Marjolein als bäuerlicher Familienbetrieb in Weggun, einem 100-Seelen-Dorf in der Uckermark. 17 Hektar konnten sie in Weggun erwerben und sie fanden eine Produktionsnische: Beerenobst. Mittlerweile sind sie die einzigen Bauern hier. »Mein direkter Nachbar hat über 2000 Hektar in der Wegguner Umgebung, insgesamt gehören ihm über 6000 Hektar. Auf einem Großteil der Fläche baut er Mais für Biogasanlagen an. Das ist eigentlich kein Bauer mehr, sondern ein Unternehmer. Im Vergleich dazu ist unser Gelände so groß wie eine Briefmarke.«
Nach der Wende wurden von der bundeseigenen Bodenverwertungsgesellschaft BVVG gigantische Ackerflächen privatisiert. Kleinere Betriebe gingen meist leer aus, weil sie das Geld für solche großen Areale nicht aufbringen konnten. Den Zuschlag erhielten weltweit agierende Unternehmen oder Großgenossenschaften. Die Hoffnung, im Laufe der Zeit, den ein oder anderen Hektar hinzukaufen oder -pachten zu können, hat sich für Frank und Marjolein hingegen nicht erfüllt. Einen einzigen Hektar haben sie vergangenes Jahr erwerben können. »Land ist für uns quasi unter Verschluss. Dabei bräuchten wir etwa 25 Hektar um einen ordentlichen Kreislauf hinzukriegen.«
Reiche Zahnärzte kaufen das Land
Noch prekärer stellt sich die Situation für Hanspeter Dill dar. Auf einem wundschön gelegenen Hof an der Havel hält er Ziegen und produziert Fleisch und Käse. Capriolenhof nennt er den Hof. Synonym für die Kapriolen, die Ziegen bisweilen vollführen, wenn sie im Sprung die Richtung ändern. Eine Richtungsänderung sei auch in der Landwirtschaft zu spüren, so Dill. Hanspeter Dill hat sein Land gepachtet. Mittlerweile zahle er den dreifachen Pachtpreis von dem, was er als gerechtfertigt ansieht. »Die Böden hier sind sehr schwach. 300 Euro pro Hektar im Jahr sind einfach zu viel.« Günstiges Land zu erwerben ist fast unmöglich. »Viele Leute kaufen mittlerweile Land, die keine Landwirte sind. Zahnärzte oder andere haben doch kein Interesse am Bodenerhalt oder kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Die wollen Profit machen.« Dass sich mittlerweile am meisten Profit mit der Produktion von Energiepflanzen wie Mais oder Raps machen lässt, hat sich durchaus zu den erwähnten Zahnärzten rumgesprochen.
Lebensmittelskandale und schlechter Geschmack sind für Dill direkte Folge industrieller landwirtschaftlicher Produktion. »Die Leute haben doch mittlerweile ein schlechtes Gewissen, wenn sie Fleisch essen, weil sie diese Tierhaltung nicht mehr akzeptieren können.«
Dill beliefert mit seinem Käse mehrere Sternerestaurants in Berlin. Qualität ist seine Nische. Dass die Produkte teuerer sind als bei Kaisers oder Aldi bekommt er gelegentlich von Kunden vorgehalten. Manchmal lädt er die Kunden auf den Hof ein, damit sie sehen, wie aufwendig es ist, gute Lebensmittel zu produzieren. Dieser Austausch zwischen Stadt und Land ist für ihn sehr wichtig. Das passt auch zu seinem Konzept, einen festen Kundenstamm aufzubauen und Kunden zu haben, die seiner Qualität vertrauen.
»Viele Leute wissen gar nicht, wann welches Gemüse reif ist«, sagt Nikolaus Diessen von der Markthalle Neun, »dabei ist Gemüse der Saison meist billiger«. Dass das Verständnis für Landwirtschaft steigen muss, hat auch Jochen Fritz bei Gesprächen mit EU-Parlamentariern erfahren müssen. »Es war erschreckend, wie wenig sie sich da auskannten, dabei macht der Bereich 45 Prozent des EU-Budgets aus.«. Solidarische Landwirtschaft wie Roberto Vena sie praktiziert, ist ein konsequenter Weg, der Sicherheit für den Landwirt, gutes Gemüse für die Städter und ein besseres Verständnis für die Probleme und Zwänge des jeweils anderen bringt. »In Freiburg«, weiß Hanspeter Dill vom Capriolenhof, »stehen die Leute Schlange um sich an landwirtschaftlichen Höfen beteiligen zu können, in der Berliner Umgebung hingegen suchen die Höfe, die das anbieten, nach Interessierten.«