E 10? Nein Danke! Selten waren die Forderungen des Deutsche Automobilclubs ADAC so in Einklang mit Umweltschutzorganisationen wie dem BUND. Was als Versprechen begann, damit trotz eines absehbaren Endes der fossilen Energieträger besonders die Menschen in den Industriestaaten so mobil bleiben können wie bisher, kehrt sich langsam ins Gegenteil. Agrartreibstoffe haben als Zukunftsträger zwar nicht ausgedient – aber die Kritik von unterschiedlichen Seiten nimmt zu. Ein Schwerpunkt der Diskussion ist der zunehmende Landraub zugunsten vermeintlich ökologischer Mobilität.
Das Geschäft mit dem Boden blüht. Staaten und Unternehmen kaufen landwirtschaftliche Flächen – besonders im globalen Süden – um Nahrungsmittel oder Agrartreibstoffe herzustellen. Ausgangspunkt dieses Prozesses ist die Nahrungsmittelkrise 2008, als die Preise für Agrarrohstoffe immens in die Höhe schnellten und zeitgleich mehrere transnationale Abkommen über den Zugang zu Land durch ausländische Investoren ausgehandelt wurden. Zwischen 2000 und 2010 haben nach Angaben der International Land Coalition ILC, einem Zusammenschluss mehrerer NGOs, mehr als 200 Millionen Hektar Land die BesitzerInnen gewechselt, allein im Jahr 2009 waren es rund 45 Millionen Hektar. Wachsend ist dabei der Anteil der Landverkäufe, um Agrartreibstoffe anzubauen. Nach Angaben in der im Januar 2012 vorgelegten Matrix-Studie der ILC „Land Rights and the Rush for Land“1 wechselte 78 Prozent des Landes den Besitzer, um dort agrarische Produkte anzubauen – doch die Hälfte davon nicht für Lebensmittel, sondern Soja, Zuckerrohr oder Palmöl für Agrartreibstoffe. Die Weltbank war zuvor von einem Anteil zwischen 21 und 35 Prozent ausgegangen. Hauptinvestionsort ist neben den osteuropäischen Ländern nach wie vor der afrikanische Kontinent. Von den oben genannten 200 Millionen Hektar wurden allein in Afrika 134 Hektar an internationale Investoren verkauft. Und die Agrartreibstoffindustrie träumt von mehr: 480 Millionen Hektar Land sollen bis 2045 für den Anbau von Energiepflanzen genutzt werden. Zum Vergleich: Die Gesamtfläche der Europäischen Union beträgt 430 Millionen Hektar.
Als mit verantwortlich für diese Entwicklung nennt die ILC-Studie die Europäische Union. Das EU-Ziel, bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor auf zehn Prozent zu steigern, lässt die Herzen der Investoren höher schlagen. Nach Angaben der niederländischen Umweltagentur PBL müssen hierfür allein für die europäischen Länder 20 bis 30 Millionen Hektar Land bestellt werden. Die Agentur schätzt, dass Europa 60 Prozent der Agrartreibstoffe importieren muss. Der Anspruch, sich die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu sichern, führt so zu einer Flächenkonkurrenz mit der Produktion von Nahrungsmitteln. Selbst die Bundesregierung räumt ein: „Die Konkurrenz zwischen Pflanzenanbau zur Treibstoff- und zur Nahrungsmittelproduktion droht in vielen Entwicklungsländern zu einer Verschlechterung der Ernährungssicherheit zu führen.“
Dabei ist die Landwirtschaft gerade in den vom Ausverkauf betroffenen afrikanischen Staaten auch durch andere Faktoren gefährdet. So nehmen Ernteausfälle durch die Auswirkungen des Klimawandels zu: in einem Jahr lässt eine Dürre Pflanzen und Tiere vertrocknen, im nächsten Jahr vernichten Überschwemmungen die Ernte. Die Böden leiden dauerhaft. Gleichzeitig verschärft der Anbau von Energiepflanzen die negativen Auswirkungen des Klimawandels. Das Umweltinstitut München fasst es in seiner Stellungnahme zu Agrosprit so zusammen: „Die Rodung von Regenwäldern für Monokulturen von Soja, Zuckerrohr und Ölpalmen, die zur Treibstoffgewinnung genutzt werden, ist schon jetzt weit verbreitete Realität. Artensterben, massiver Pestizideinsatz, Wasserverknappung, Bodenerosion und Wüstenbildung sind nur ein Teil des durch Agro-Sprit verursachten Umwelt-GAUs.“ Zudem setzt die Rodung große Mengen von Kohlenstoff frei und beschleunigt so den Klimawandel. Roland Poss, Präsident der französischen Bodenforschungs-Gesellschaft AFES (Association française pour l’étude du sol), spricht in diesem Zusammenhang von einer „Degradationsspirale“.
„Was sich derzeit in den Böden Europas abspielt, gilt im Wesentlichen und zum Teil in noch stärkerem Maße für weitere Länder der Nordhalbkugel, vor allem aber für Afrika, Südamerika und Südostasien, wo Erosion, Verdichtung, Verlust an organischer Substanz sowie Biodiversität, Kontamination, Versalzung und besonders Erdrutsche ein alarmierendes Ausmaß erreicht haben“, stellt der Wiener Professor für Bodenkunde Winfried E. Blum in seinem Artikel „Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels“2 fest und geht davon aus, dass sich dieses Problem durch die Intensivierung der Landwirtschaft weiter verschärfen wird. Autoren wie Peter Clausing und Thomas Fritz sprechen bereits seit einiger Zeit vom „Peak Soil“. Der Begriff bezeichnet in Anlehnung an „Peak Oil“, dem Zeitpunkt ab dem mehr Erdöl verbraucht wird als an Förderquellen neu erschlossen werden, die Grenzen der globalen Vernutzung von Boden.
Anders als der Rohstoff Öl, dessen Endlichkeit den Kampf um Ressourcen vorantreibt, schienen Agrarrohstoffe – und damit auch Biomasse für Treibstoffe – ein unendliches und erneuerbares Ausbeutungspotential zu besitzen. Doch Boden ist nicht unendlich erneuerbar. Zwar fand eine Degradation des Bodens, (Herabsetzung bzw. Verschlechterung der ökosystemaren Dienstleistungen des Bodens bis hin zu deren völligem Verlust), schon immer statt, wie Peter Clausing in der Jungen Welt3 schreibt, dieser Prozess werde aber beschleunigt durch „die Mechanisierung der Landwirtschaft, dem Anbau von Monokulturen und dem Einsatz von chemischen Düngemitteln“. Etwa 1964 Milliarden Hektar Land sind weltweit von leichter bis schwerster Degradation betroffen – das ist mehr als die Hälfte aller nutzbaren Ackerflächen. Man unterscheidet vier Hauptarten der Degradation, die allesamt vom Menschen beschleunigt oder erst hervorgerufen werden: Erosion durch Wind, Wasser, Veränderung der chemischen Zusammensetzung des Bodens und die Verdichtung des Bodens durch schwere Landmaschinen.
Riesige Monokulturen wie der Anbau von Agrartreibstoffen treiben diese Entwicklung voran. Zwar wird der Schweregrad der Degradation von ExpertInnen unterschiedlich bewertet, das Problem als solches ist jedoch benannt. So schlagen die VerfasserInnen des Weltagrarberichtes vor, degradierte Flächen zu restaurieren, indem die Böden mit organischer Masse angereichert werden. Allerdings fehlt es gegenüber diesem wie auch gegenüber anderen Forderungen und Vorschlägen des Expertengremiums an politischem Willen. Ist doch die Schlussfolgerung des Berichtes, dass kleinbäuerliche Strukturen am besten geeignet sind, um Ernährungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten. Selbst die Weltbank betont die positive Rolle der Kleinbauernbetriebe: Der intensive Einsatz von Arbeitskräften verringere die Arbeitslosigkeit und damit die Abwanderung; weniger Eingriffe ins Ökosystem bedeuten weniger Verschmutzung und Übernutzung; außerdem seien die Kleinbauern vor Ort gut vernetzt, sowohl beim Absatz als auch bei der Versorgung. Doch auch in der Landwirtschaft herrscht noch immer die Logik des freien Marktes, Investoren setzen auf die effiziente Bewirtschaftung großer Flächen mit wenig Arbeitskräften und einer hohen Rendite. Dabei hat selbst die Weltbank mittlerweile erkannt, dass die bisher geförderten Agrarinvestments wirtschaftlich nur eingeschränkt nützlich sind.
Die Welternährungsorganisation FAO, ebenfalls alarmiert durch die steigenden Landverkäufe und den darin wachsenden Anbau von Agrartreibstoffen statt Nahrungsmitteln, hat ein alt bekanntes Instrument hervorgeholt. Gemeinsam mit der Weltbank, der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) und dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (Ifad) wurden die „Principles for Responsible Agro-Investment“ entwickelt. So sollen bestehende Rechte auf Grundbesitz und der Zugang zu natürlichen Ressourcen anerkannt und respektiert werden sowie Investitionen die Ernährungssicherheit stärken. Zudem empfiehlt die Weltbank, die Verfahren zur Land- und Ressourcenvergabe transparent zu gestalten und die Rechenschaftspflicht aller Beteiligten zu gewährleisten. Dazu sei es notwendig, dass alle Betroffenen gehört werden und die Vereinbarungen aus diesen Anhörungen schriftlich festgehalten und umgesetzt werden. Die Projekte sollen zudem die Rechtsstaatlichkeit respektieren und zu nachhaltigen und geteilten Gewinnen führen sowie Umverteilungseffekte und soziale Wirkungen erzielen und ökologisch nachhaltig sein.
Allerdings beruhen die Prinzipien auf Freiwilligkeit und sind daher nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Ansonsten gilt: Der Markt soll es richten. Für Benoît Lallau, Dozent für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lille, bleibt das „verantwortungsvolle“ Agrarinvestment „ein Widerspruch in sich“. Denn: „Großinvestoren fühlen sich in der Regel nicht der Nachhaltigkeit verpflichtet. Sie nehmen wenig Rücksicht auf die Entwicklung ländlicher Gemeinschaften und interessieren sich nicht für die Vielfalt von Anbaumethoden.“ Das gilt insbesondere für den Anbau von Agrartreibstoffen. Denn die zunehmenden Monokulturen auf gerodeten Landflächen erfüllen noch nicht mal die Kriterien der Weltbank-Prinzipien für ein verantwortliches Agrarinvestment, sondern sichern in erster Linie die Gewinne der Investoren und besonders in den Industrieländern die Mobilität.