Sie haben sich während der Diskussion um den Atomausstieg bedeckt gehalten, jetzt fordern die Energiekonzerne nach und nach Entschädigungen. In dieser Woche hat E.on Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Juristen sehen wenig Erfolgsaussichten. Umweltverbände rufen zum Stromwechsel auf.
Der Düsseldorfer Konzern stützt sich bei seiner 276 Seiten starken Klage in Karlsruhe auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers und ehemaligen CDU-Politikers Rupert Scholz und des Verwaltungsrechtlers Christoph Moench. Sie sehen das Grundgesetz gleich an zwei Stellen verletzt: Das Abschalten von acht Reaktoren und die verkürzten Restlaufzeiten für alle anderen Meiler schränke sowohl das Grundrecht auf Eigentum wie auch die Berufsfreiheit »massiv ein«. »Zugleich erwachsen den Betreibern Vermögensverluste von enteignungsrechtlicher Qualität«, schreibt Scholz in einem Kommentar in der »Financial Times Deutschland«. Bei Deutschlands größtem AKW-Betreiber bezieht sich das auf die Atommeiler Isar 1 und Unterweser, die nach dem Moratorium nicht wieder ans Netz gingen.
»Aus unserer Sicht ist dieser Eingriff ohne entsprechende Entschädigung verfassungswidrig«, erklärte ein E.on-Sprecher. Sollte Karlsruhe dieser Argumentation folgen, stehe dem Konzern der Weg offen, zivilrechtlich einen »hohen einstelligen Milliardenbetrag« von der Bundesregierung einzufordern. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Bundestag den Atomausstieg zurücknimmt oder ein neues Gesetz mit Entschädigungen beschließt. Ein Urteil wird im nächsten Jahr erwartet.
Nach Meinung der Gutachter war der Atomausstieg eine politische und keine rechtlich zwingende Entscheidung. Denn, so argumentieren sie, »eine Katastrophe wie in Fukushima ist in Deutschland ausgeschlossen«. Auch die Rektorsicherheitskommission sei zu dem Schluss gekommen, Erdbeben und Tsunamis dieser Stärke seien in Deutschland undenkbar.
Ob die Klage Erfolg hat, ist aber fraglich. Für Stromausfälle brauche es kein Erdbeben und keinen Tsunami, argumentiert etwa Felix Ekardt, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik an der Universität Rostock. Das Verfassungsgericht habe in den vergangenen Jahren stets betont, dass die Atomenergie mit dem Recht auf Leben und Gesundheit aus Artikel 2 des Grundgesetzes nur »derzeit« noch vereinbar sei, da das atomare Gefährdungspotenzial bisher nur theoretisch vorstellbar sei. Das habe sich seit Fukushima geändert, schreibt Ekardt in einem Kommentar im Online-Portal »Legal Tribune«.
Auch andere Juristen räumen der Klage der AKW-Betreiber nur wenig Erfolgschancen ein. »Fukushima hat eine neue Situation geschaffen«, sagt etwa der Berliner Anwalt Remo Klinger, der sich seit Jahren mit dem Atomrecht beschäftigt. Deshalb habe die Bundesregierung eindeutig das Recht, die Nutzung der Atomenergie neu zu bewerten, erklärt er gegenüber »nd«.
Zudem sei der Eingriff für E.on relativ gering, weil die AKW schon völlig oder weitgehend amortisiert waren, argumentieren Umweltschutzorganisationen. »Entgangener Gewinn ist verfassungsrechtlich nicht geschützt.« Immerhin hatten die Betreiber ähnlichen Laufzeiten bereits früher zugestimmt.
Umweltorganisationen reagierten auf die Klage mit einem Aufruf an die E.on-Kunden, zu unabhängigen Ökostromanbietern zu wechseln. Mit der Klage schade der Konzern seinem Image. »Je länger E.on an der Atomkraft festhält und versucht, die Energiewende rückgängig zu machen, desto mehr Kunden werden sie verlieren«, sagt Uwe Hiksch, Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde.
Konzernklagen
- Vattenfall hat die Bundesrepublik vor dem Washingtoner Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) verklagt. Der schwedische Konzern beruft sich auf den Artikel 10 der europäischen Energiecharta, die ausländische Investitionen rechtlich schützt. Mit dieser Strategie war Vattenfall bereits 2009 beim Kohlekraftwerk Moorburg erfolgreich.
- RWE lässt vom Verwaltungsgerichtshof Kassel exemplarisch prüfen, ob die Abschaltung von Biblis A und B mit dem Atomgesetz konform ist.
- In den bisherigen Klagen gegen die Brennelementesteuer waren die Atomkonzerne schon erfolgreich und erhielten bereits 170 Millionen Euro vom Finanzamt zurück.