Von Jürgen Weber
Die Idee der Umsonstladen-Bewegung ist eigentlich ganz einfach: Es muss weder bezahlt, noch müssen Dinge direkt getauscht werden. Bringen und Holen, Geben und Nehmen sind entkoppelt, man kann nur geben, man kann nur nehmen oder beides tun. Wer funktionsfähige und gut erhaltene Dinge nicht mehr braucht, kann sie bei den über 50 Umsonstläden in Deutschland vorbeibringen. Und wer etwas benötigt, kann diese Dinge umsonst abholen. Die Bewegung lässt sich als praktische Warenkritik begreifen und versucht, auf radikale Weise die kapitalistische Verwertungslogik auszuhebeln.
Bundesweit entstehen immer mehr Initiativen und Netzwerke, die auf der lokalen Ebene damit beginnen, wirtschaftliches Handeln nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Orientierung »am für das gute Leben Notwendigen« (Matthias Schmelzer/Alexis Passadakis) auszurichten. Der »imperialen Lebensweise« (Ulrich Brand) soll eine solidarische entgegengesetzt, die gegenwärtigen Arbeitsbeziehungen, Eigentums- und Geschlechterverhältnisse grundlegend verändert werden. Für die VertreterInnen einer solidarischen Postwachstumsökonomie bilden diese Initiativen Keimzellen einer neuen Wirtschaftsweise. Gezeigt werden soll, dass sich etwas verändern lässt – im Hier und Jetzt.
»Wir wollen nicht Dinge produzieren, um sie zu verkaufen oder gegen andere Wertäquivalente zu tauschen«, beschreibt die Kooperative Lokomotive Karlshof bei Templin (Brandenburg) ihr Prinzip einer »nicht-kommerziellen Landwirtschaft«. In der Kooperative werden Kartoffeln, Getreide und andere Güter nach Bedarf und Bedürfnis produziert.
Bei einer anderen Form bedarfsorientierter Landwirtschaft finanziert eine Gruppe von Menschen für einen bestimmten Zeitraum einen Hof im Voraus, trägt gemeinsam mit den Landwirten das wirtschaftliche Risiko und erhält dafür die erzeugten Lebensmittel. In Deutschland existieren mittlerweile 17 solcher Gemeinschaftshöfe.
Die Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit (PaG) aus Biesenthal in Brandenburg hat die Idee der Eigentumsneutralisierung von Häusern und Grundstücken entwickelt. Damit soll gesichert werden, dass gemeinschaftliche und selbstorganisierte Wohn-, Lebens- und Arbeitsprojekte erprobt werden können – und zwar an Orten, die niemandem gehören. Über eine eigene Stiftung werden Immobilien erworben und unter die Verantwortung aller Mitgliedsprojekte gestellt. Diese wiederum suchen nach Finanzierungsquellen für andere Projektgruppen mit Haus- und Grundstücksbedarf. Ziel ist es, weitestgehend unabhängig von Bankkrediten zu sein.
Kommunen auf dem Land und in der Stadt versuchen nicht nur alternativ zu wirtschaften, sondern auch durch ihre politischen Aktivitäten zu wirken. Rund 40 Kommunen in Deutschland leben nach der Überzeugung, dass gemeinsames Leben und kollektiv selbstbestimmtes Arbeiten zusammengehören und geschlechtshierarchische Strukturen abgebaut und verändert werden müssen.
Die Projekte der »Solidarischen Ökonomie« stehen für eine Orientierung an Gemeinsinn und Gemeinwohl – ob sie nun perspektivisch Produktion und Konsum von der Geldwirtschaft abkoppeln wollen oder ob sie für die unentgeltliche Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs kämpfen. Ob sie Produktions- oder Wohnungsbaugenossenschaften, Gemeinschaftsgärten-Gruppen sind oder auf die Entwicklung freier Software setzen. In solchen Projekten der »solidarischen Ökonomie« erkennt die Volkswirtin Friederike Habermann einen »utopischen Überschuss«. Dieser bestehe darin, dass die »scheinbare Natürlichkeit der kapitalistischen Logik« allein durch die Erfahrung aufgebrochen werden kann, dass es auch anders geht.
Dies war der letzte Teil unserer Serie. Zuvor erschienen:
* Elmar Altvater über das Ende des Wachstumsensembles von Geld, Markt, Kapitalverhältnis und fossilen Energieträgern (ND vom 4. Mai)
* Alternativen zum Wachstumsindikator BIP (6. Mai)
* Unterschiedliche Konzepte von »Green New Deal« bis zur solidarischen Ökonomie (11. Mai)
* Wachstumskritik in Frankreich (13. Mai)
* Norbert Reuter über falsche Verzichtspredigten und das Verteilungsproblem (18. Mai)