Globales Recht?
Die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes
28.3.2011 | Maja Schuster & Jürgen Weber | Kommentar schreiben | Artikel drucken
„Kein Vergeben – kein Vergessen!“, so lautet die Forderung von Überlebenden und Angehörigen von Opfern schwerster Menschenrechtsverletzungen. Ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit ist es in erster Linie zu verdanken, dass wichtige Fortschritte im Kampf gegen die weit verbreitete Straflosigkeit der Täter/innen solcher Verbrechen erreicht wurden. Bianca Schmolze und Kurt Rauchfuss, Herausgeber des im Jahre 2009 erschienenen Buches „Kein Vergeben. Kein Vergessen. Der internationale Kampf gegen Straflosigkeit“, kommen zu dem Ergebnis: „Weltweit galt es noch bis vor wenigen Jahren als normal, dass Diktatoren wie der Philippiner Ferninand E. Marcos, der Iraner Reza Pahlewi, der Haitianer Jean-Claude Duvalier oder der Ugander Idi Amin Dada allenfalls ins Exil gingen, um dort einen weitgehend unbehelligten Lebensabend zu verbringen. Andere, wie der Bolivianer Hugo Banzer Suàrez oder der Guatemalteke Efrain Rios Montt, blieben gar im Land und traten später als Präsidentschaftskandidaten im formaldemokratischen Gewand erneut an.“
Im aktuellen Fall des Aufstands gegen den libyschen Staatspräsidenten Muammar Gaddafi will die internationale Staatengemeinschaft die militärischen und polizeilichen Übergriffe auf Regimegegner/innen nicht hinnehmen. Es ist ein bisher einzigartiger Vorgang in der Geschichte des internationalen Strafrechts, dass sich das höchste Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen – der Uno-Sicherheitsrat – Ende Februar geschlossen an den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag gewandt hat und das Gericht beauftragte, Ermittlungen gegen den lybischen Staatspräsidenten und seine Söhne einzuleiten und gegebenenfalls einen Strafprozess gegen sie anzustrengen. Schwere und systematische Verstöße gegen die Menschenrechte werden Gaddafi vorgeworfen, darunter auch Gewalt gegen friedliche Demonstranten. Erstmals stimmten auch die USA dafür, dass sich der IStGH mit Gewalt in einer Krisenregion befasst. Im Falle der Gräueltaten in der Region Darfur im Sudan hatte sich die Regierung in Washington vor einigen Jahren noch der Stimme enthalten.
Angeklagt – doch auf freiem Fuß
Im Juli 2008 stellte Luis Moreno-Ocampo, der als Chefankläger beim IStGH die wohl bedeutendste Position innerhalb der Gesamtstruktur des Gerichts inne hat, einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten Omar el Beschir. Dieser soll für die Tötung von 35.000 Menschen verantwortlich sein, mindestens weitere 100.000 sollen in der Krisenregion Darfur durch Hunger und Krankheit ums Leben gekommen sein. Das Gericht schloss sich dem Antrag des Anklägers im März 2009 an und erließ einen internationalen Haftbefehl gegen el Beschir. Seither ist klar, dass auch amtierende Staatsoberhäupter damit rechnen müssen, bei schwersten Verbrechen auf die Anklagebank des Weltgerichts zu kommen. Der sudanesische Präsident lebt weiter auf freiem Fuß. Weder die Regierung des Sudan noch jene Staaten, die el Beschir hin und wieder besucht, haben ihn bisher verhaften und an das Gericht in Den Haag überstellen lassen. Worum geht es also beim Internationalen Strafgerichtshof?
Crimes against humanity – die Verbrechen gegen die Menschheit
Gemeinhin gelten die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse (1945-46), bei denen die Hauptverantwortlichen der faschistischen Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, und das Kriegsverbrechertribunal von Tokyo (1946-48) als Geburtsstunde des internationalen Völkerstrafrechts. Verbrechen gegen die Menschheit, aber auch Kriegsverbrechen, sollten von nun an durch keinerlei innerstaatliche Bestimmungen straffrei bleiben können. Die Urteile von Nürnberg betonen auch die individuelle Verantwortung für derartige Verbrechen, die weit über nationalstaatliche Grenzen hinaus einer zwingenden strafrechtlichen Verfolgung unterliegen. Der Begriff der „Verbrechen gegen die Menschheit (Menschlichkeit)“ nahm mit den Nürnberger Prozessen Einzug in das internationale Völkerstrafrecht. Festgelegt wurde, dass die Strafverfolgung dieser Verbrechen im Interesse aller Nationen liege.
Aber erst durch die Aufdeckung der Gräueltaten und Völkermorde in Ex-Jugoslawien und Ruanda in den 1990er-Jahren wurde der Ruf nach einer Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts wieder lauter. Eine weltweit arbeitende Koalition von 1.500 Nichtregierungsorganisationen sowie Diplomaten/innen und Rechtswissenschaftlern/innen arbeiteten nun darauf hin, dass es zu einer internationalen Strafrechtsordnung und zur Durchsetzung des IStGH kommen sollte.
Wichtige Grundlagen für die strafrechtliche Verfolgung wurden in dieser Zeit auch durch neue internationale Verträge und Konventionen geschaffen, wie etwa das Zusatzprotokoll zur Antifolterkonvention und die Konvention gegen das gewaltsame Verschwindenlassen. Sexualisierte Gewalt und Zwangsprostitution in Kriegen wurden durch ein internationales Tribunal im Dezember 2000 endlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestimmt.
Schließlich beförderten auch die UN-Tribunale für Ex-Jugoslawien, Sierra Leone, Ost-Timor und Kambodscha einen Bewusstseinswandel im Kampf gegen Straflosigkeit. Für viele zivilgesellschaftliche Gruppen gilt der internationale Strafgerichtshof als die wichtigste internationale Einrichtung seit der Gründung der Vereinten Nationen. Anerkannt wurde damit, so der nigerianische Nobelpreisträger für Literatur Wole Soyinka, „dass es bestimmte Verbrechen gibt, die über die Grenzen, in denen sie ursprünglich begangen wurden, hinausreichen“.
Erste Erfolge …
Das Gericht nahm seine Arbeit mit der Vereidigung der ersten 18 Richter im März 2003 auf. Seither sind aber nur wenige Fälle vor den Strafgerichtshof gekommen. Urteile wurden noch keine gefällt. In der Öffentlichkeit fand bisher am meisten Beachtung der Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten. Weitere internationale Haftbefehle sind erlassen worden, etwa gegen fünf führende Mitglieder der Lord Resistance Army (Uganda) oder gegen zwei Milizenführer aus dem Sudan. Die Gesuchten sind flüchtig oder befinden sich wie im Falle der Demokratischen Republik Kongo in Untersuchungshaft. Die erste Verhandlung fand im Januar 2009 gegen Thomas Lubanga statt, dem zur Last gelegt wird, als Befehlshaber der Miliz Union des Patriotes Congolais in der Demokratischen Republik Kongo Kinder zwangsrekrutiert zu haben. Verhandelt wird ebenfalls gegen Germaine Katanga und Mathiieu Ngudjolo Chui wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Bis 2010 haben drei Vertragsparteien, neben Uganda und der Demokratischen Republik Kongo die Zentralafrikanische Republik, von sich aus Situationen, die sich auf ihrem Territorium zugetragen haben, an das Gericht überwiesen. In allen Fällen hat der Ankläger die Untersuchungen eröffnet. Am 11. Oktober 2010 wurde der mit internationalem Haftbefehl gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher und Rebellenführer Callixte Mbarushimana (Ruanda) durch französische Behörden verhaftet und im Januar 2011 nach Den Haag überstellt.
… und Krisen
Rund zehn Jahre nach Gründung ist der IStGH in die erste größere Krise geraten. Der Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar el Beschir droht die Glaubwürdigkeit des Gerichts zu unterlaufen. Mehrere Vertragsparteien haben den Haftbefehl bereits außer Acht gelassen. Die Afrikanische Union (AU) rief auf ihrem Gipfeltreffen im Juli 2010 ihre Mitglieder dazu auf, im Falle el Beschir die Kooperation mit dem IStGH zu verweigern. So berief sich die kenianische Regierung auf die Notwendigkeit guter und friedlicher Beziehungen zu ihrem Nachbarn. Die Legitimität einer Institution, die mit einem universellen Anspruch antrat, bisher allerdings nur regional tätig geworden ist, wird heute infrage gestellt.
Ob das Gericht in Zukunft sicherstellen kann, dass „kein Machthaber, kein Staat, keine Junta und keine Armee irgendwo die Menschenrechte straflos verletzen kann“, wie der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Juli 1998 verkündete, muss sich noch erweisen. Viel wird davon abhängen, ob die derzeit mächtigsten Staaten die Arbeit des Gerichts unterstützen.
Maja Schuster und Jürgen Weber arbeiten als freie Journalisten in Berlin.
Foto: Don Espresso / photocase.com
Weitere Informationen zum Thema:
Bianca Schmolze & Kurt Rauchfuss: Kein Vergeben. Kein Vergessen. Der internationale Kampf gegen Straflosigkeit, Berlin/Hamburg 2009.
Wole Soyinka: Die Last des Erinnerns. Was Europa Afrika schuldet – und was Afrika sich selbst schuldet, 2001.
www.icc-cpi.intSeite des Internationalen Strafgerichtshofes
www.bpb.de/menschenrechteDossier Menschenrechte der Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de/wissen/BU8R9XGrafik: Internationale Gerichtsbarkeit – Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes
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