Ousmane Diarra streckt eine Hand in die Luft und schwenkt eine weinrote Karte. „Pour la libération de Circulation!“ ruft er. Der Mann steht im Niemandsland zwischen Mauretanien und Mali. Im Hintergrund formiert sich eine Demonstration. Seit Ende Januar ist die Karawane Bamako-Dakar unterwegs, ihr Ziel: das Weltsozialforum in der senegalesischen Hauptstadt.
Seit einigen Jahren ist von einem „Neuen Internationalismus“ die Rede – als Reaktion auf die wirtschaftliche Globalisierung. Bisher vor allem getragen von Gruppen wie Via Campesina und Peoples Global Action ist diese Entwicklung jetzt auch in der antirassistischen Bewegung angekommen. Die Karawane, die durch Westafrika zieht, ist eine enge Kooperation von europäischen und afrikanischen Aktivisten. Rund 50 Europäer treffen hier auf 170 afrikanische Mitstreiter – sie alle sind Teil des Netzwerks Afrique-Europe-Interact. Auch eine Gruppe von 25 Sans Papiers aus Frankreich ist dazugestoßen.
Der Wind wirbelt Wüstenstaub auf. Der einzige Grenzposten hier in Gogui bezieht langsam Stellung, nachdem die drei Reisebusse mit knapp 150 Aktivisten angekommen sind. „Global Passport“ steht in Gold auf der Karte von Ousmane Diarra. Auf der Rückseite: „Der Inhaber ist berechtigt, seinen Wohnort frei zu wählen und sich frei zu bewegen.“ Diarra ist Vorsitzender der Assoziation der Abgeschobenen Malis (A.M.E.) und sein „Global Passport“ ist eine Utopie, die das Ziel der Karawane in ein leicht verständliches Bild setzt. In Städten und Dörfern auf dem Weg veranstalten sie Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Abschottung Europas und die Aufrüstung der Grenzen, die bis weit nach Afrika hinein stattfindet. Aber auch eine gerechte Entwicklung in den afrikanischen Ländern ist ihr Thema.
Das Recht zu gehen, das Recht zu bleiben
„Es geht um das Recht zu gehen, und das Recht zu bleiben“, sagt Aktivist Dieter Behr. Er ist seit längerem in Österreich und Deutschland in antirassistischen Zusammenhängen aktiv und schreibt gerade seine Dissertation zu Widerstandsmöglichkeiten von Arbeitern in der Landwirtschaft. Für ihn ist die Karawane Teil des „Neuen Internationalismus“. Auch wenn der organisatorische und finanzielle Aufwand für dieses Projekt immens sei, dürfe die Karawane keine Eintagsfliege bleiben. „Es geht um eine kontinuierliche und verbindliche Zusammenarbeit mit afrikanischen Gruppen“, sagt er.
Nach den tödlichen Brandanschlägen auf Asylbewerberheime und Wohnhäuser von Migranten im wiedervereinigten Deutschland der frühen neunziger Jahre haben sich die antirassistischen Bewegungen vor allem auf die Unterstützung der Betroffenen konzentriert und den stillschweigenden Konsens der Mehrheitsbevölkerung kritisiert. Antideutsche Strömungen entwickelten sich. Man kämpfte – durchaus zusammen mit Flüchtlingsgruppen – für die Schließung der Asylbewerberlager und gegen die Residenzpflicht. Erst in den letzten Jahren schob sich der antirassistischen Fokus wieder über den deutschen Horizont hinaus. Einerseits wurde die Zusammenarbeit zwischen migrantischen Gruppen, Flüchtlingen und deutschen Antirassisten immer schwieriger, scheiterte teilweise ganz. Zum anderen musste man mit ansehen, wie sich die Grenzen der Festung Europa immer weiter nach außen verschoben und immer martialischer bewacht wurden. Grenzen, die längst das Mittelmeer, den Atlantik und die nordafrikanischen Staaten erreicht hatten.
Im Sommer 2009 waren Ousmane Diarra und Alasanne Dicko von der A.M.E. Beim internationalen Grenzcamp auf Lesbos mit dabei – und sie hatten einen Plan im Gepäck: eine antirassistische Karawane zum Weltsozialforum in Dakar. Die Idee stieß auf offene Ohren. Für Olaf Bernau, der in Bremen im NoLager-Netzwerk aktiv war, ist besonders wichtig gewesen, dass die Idee aus Afrika kam. Mittlerweile sind in Mali 40 Gruppen an der Kooperation beteiligt, meist Selbsthilfenetzwerke von Abgeschobenen. Olaf Bernau kümmerte sich von Bremen aus maßgeblich um die notwendigen Absprachen mit ihnen und den deutschen Gruppen.
Ein erster Schritt und ein steiniger Weg
Die Karawane, sagt Bernau, könne jedoch nur ein erster Schritt sein. Und der Weg, der noch vor den Aktivisten liegt, führt auch in Zukunft durch unwegsames Gelände. Nicht immer ist es zum Beispiel einfach, den Widerspruch zwischen abstraktem politischen Engagement und direkter persönlicher Hilfe zu vereinbaren.
Eine erste Lektion darüber wurde einem Teil der Karawane gerade erst erteilt. Nachdem sie in Bamako ihr Nachtquartier bei der ARACEM bezogen hatte, einer Organisation, die Abgeschobenen hilft, die nicht aus Mali kommen, eskalierte die Situation, als ein Filmteam auftauchte. „Ihr kommerzialisiert unser Leid“, kritisieren die Bewohner. „Ich habe seit drei Tagen nichts gegessen“, rief einer. Und immer wieder wurde eine Frage gestellt: „Was bringt uns Eure Karawane konkret? Was hilft uns das direkt?“
Eine Antwort auf diese Frage hatten die gerade Eingetroffenen Karawane-Aktivisten nicht parat. Sie kauften Brot und kochten Mittagessen – zumindest für die Dauer ihres Aufenthalts. Jean-Claude, der vor vielen Jahren aus Kamerun nach Deutschland kam und inzwischen einen deutschen Pass hat, weiß, dass es weitergehender Ideen braucht: „Vielleicht kann ich ein oder zweimal im Jahr hier herkommen und Beratung machen oder ich versuche ein Auto oder Kleidung aufzutreiben für die Abgeschobenen, die ja nichts mehr haben.“ Die Selbsthilfegruppe der Abgeschobenen in der Kleinstadt Kidal plant gerade die Produktion ökologischer Baumwolle – auch das vielleicht ein Ansatzpunkt für eine transnationale Kooperation. Fair gehandelte T-Shirts könnten in deutschen Infoläden verkauft werden.
Doch solche Überlegungen stehen noch ganz am Anfang. Erst wenn sie konkret in Angriff genommen werden, wird wirklich ein neues Kapitel der transnationalen antirassistischen Kooperation aufgeschlagen. Aber ein Teil des Weges zur Solidarität führt dieser Tage von Bamako nach Dakar.