Die Bewohner/innen von Beeskow und Neutrebbin haben Angst. Angst vor einem an sich harmlosen Gas, nämlich Kohlendioxid. Der Energiekonzern Vattenfall möchte es in Brandenburg endgültig unter die Erde bringen, damit es seine Treibhauswirkung nicht mehr entfalten kann.
Von den Plänen Vattenfalls, im Oderbruch Kohlendioxid unterirdisch zu speichern, erfuhr Ulf-Michael Stumpe im April 2009 eher zufällig. Der Stadtverordnete der Stadt Wriezen stolperte über einen Antrag des Energiekonzerns, in Neutrebbin und Beeskow Probebohrungen vornehmen zu dürfen. Seither hat dem Tierarzt das Kohlendioxid keine Ruhe gelassen. Er hat Fachaufsätze gewälzt und legt sich in Podiumsdiskussionen mit den geologischen Experten/innen an. Er referiert mal eben über „überkritisches Kohlendioxid“ und Druckverhältnisse im Untergrund, zitiert die letzte Veröffentlichung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, um dann hinzuzufügen: „Ich bin Tierarzt, es soll sich niemand danach richten, was ich denke. Meine Aufgabe ist es nur, die Diskussion anzuregen.“
Dabei ist seine Position klar: Kohlendioxid, das aus den Abgasen von Kohlekraftwerken abgetrennt wird, ist Industriemüll und gehört nicht unter die Erde, schon gar nicht unter bewohntem Gebiet. Darin ist sich Ulf-Michael Stumpe mit vielen Einwohnern/innen des Oderbruchs einig. Im April 2009 informierte Vattenfall die 1.600-Einwohnergemeinde Neutrebbin über seine Pläne, dort Kohlendioxid aus dem Demonstrationskraftwerk Jänschwalde unterirdisch zu deponieren. Gerade die Versicherungen Vattenfalls, es könne dabei nichts schief gehen, hätten die Einwohner/innen skeptisch gestimmt, meint Neutrebbins Bürgermeister Siegfried Link. Kurz nach der Informationsveranstaltung gründeten sie daher die „Bürgerinitiative Co2ntraEndlager“ und sind seither dabei, die Argumente kritischer Experten/innen zusammenzutragen.
Holzkreuze neben der Straße
„Entdecken Sie, wie umweltfreundlich die Zukunft der Kohle aussehen kann“, heißt es auf Vattenfalls Internetauftritt. Wenn Kohlekraftwerke angesichts der Klimaziele der EU überhaupt eine Zukunft haben sollen, muss ihr CO2-Ausstoß drastisch verringert werden. Die Europäische Union und die großen Energiekonzerne setzen daher auf die Kohlendioxidabscheidung und -speicherung, kurz CCS (Carbon Capture and Sequestration). Stets wird dabei betont, dass CCS nur eine Brückentechnologie sein soll, bevor eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich sei. 15 CCS-Pilotanlagen will die EU fördern, eine davon, für die schon eine Förderzusage vorliegt, ist das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde, das bis 2015 für die Kohlendioxidabscheidung umgebaut werden soll.
Doch noch fehlen die unterirdischen Speicherstätten. Der Konzern vermutet geeignete geologische Bedingungen im Oderbruch sowie im Umkreis von Beeskow. Sollten die richtigen Bedingungen herrschen, würde das verflüssigte Gas über Pipelines hintransportiert und dann in den Untergrund verpresst. Doch die Neutrebbiner/innen wollen selbst die geologischen Voruntersuchungen verhindern. An den Ortseingängen haben sie gelbe Holzkreuze neben die Straße gestellt, ein Zeichen des Protests, das sie sich im Wendland bei der Antiatomkraftbewegung abgeschaut haben. Die Kreuze stehen für den Tag X. Wenn irgendwo gebohrt wird, sollen sie oben rot lackiert und mit Hinweisen auf die nächste Protestaktion versehen werden.
„Es gibt keine Langzeituntersuchungen, wie sich CO2 im Untergrund verhält“, sagt Ulf-Michael Stumpe. Zwar gebe es weltweit eine Hand voll Projekte, keines entspreche aber den Bedingungen, die im Oderbruch herrschen. Das bekannteste CO2-Endlager liegt unterhalb des Meeresgrundes vor der Küste Norwegens. „Das hat keinen Einfluss auf die Zivilisation“, meint Stumpe. Außerdem würde in Ostbrandenburg nur 95-prozentiges Kohlendioxid verpresst, der Rest seien andere Verbrennungsrückstände, bei geplanten 6 Millionen Tonnen CO2 also 300.000 Tonnen undefinierte Substanzen pro Jahr. Ob ein solches Gasgemisch chemische Reaktionen im Tiefengestein auslöse, sei ebenfalls nicht erforscht.
Der pensionierte Lehrer Link vertraut nicht darauf, dass das Kohlendioxid in der Tiefe bleibt. „Wir leben hier in einer Senke, vier Meter unterhalb des Meeresspiegels. Wenn CO2 austräte, würde es nicht abziehen.“ In geringer Konzentration ist CO2 ungiftig, aber acht Prozent Kohlendioxid in der Atemluft können zum Tode führen. Die Bürgerinitiative hat Beispiele gesammelt, bei denen Menschen bei Kohlendioxidunfällen erstickt sind. Panikmache will sich Link aber nicht vorwerfen lassen: „Es geht darum, die Risiken herauszufinden und aufzuzeigen.“
Wer wird gewinnen?
Viel mehr Sorgen als wegen eines plötzlichen Austritts machen sich die Menschen momentan um die Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Denn das verflüssigte Kohlendioxid wird nicht einfach in einen Hohlraum geleitet. Das Tiefengestein ist mit stark salzhaltigem Wasser gefüllt. „Wenn ich etwas verpresse, muss das weg, was schon unten ist“, meint Siegfried Link. Würde das salzhaltige Tiefenwasser zur Seite verdrängt und auf einen Riss treffen, könnte es in grundwasserführende Schichten aufsteigen. Dies könne irgendwo passieren, am Rande Berlins oder jenseits der Grenze in Polen. Auf einer Landkarte haben die CCS-Gegner/innen den zukünftigen Verbreitungsradius des Kohlendioxids mit dicken roten Kreisen markiert. „Schon in Wriezen oder Eberswalde sind die Leute kaum noch informiert“, beklagt Stumpe. Dabei seien sie eher gefährdet als die Neutrebbiner/innen.
Wenn die Mitglieder der BI auch gemeinsam gegen Vattenfall kämpfen, fällt ihre Einschätzung der Zukunft doch sehr unterschiedlich aus. „Die Regierung wird ihren Kopf durchsetzen“, glaubt der Pensionär Link. Diejenigen, die Geld hätten, würden dann wegziehen, alle anderen wahrscheinlich zurückbleiben. Ulf Stumpe gibt sich dagegen kämpferischer: „Wir werden gewinnen.“ Wenn nicht auf dem politischen, dann eben auf dem juristischen Weg. Um für die Auseinandersetzung gewappnet zu sein, hat die Bürgerinitiative bereits einen unabhängigen Geologen engagiert.
Für Stumpe steht auch seine berufliche Existenz auf dem Spiel. Nachdem er gerade seine Tierarztpraxis ausgebaut hat, fürchtet er nun, dass seine Kunden/innen die Region verlassen.