Das Verbot des Anbaus von Opium bringt indische Bauern in Existenznot. In drei Bundesstaaten jedoch pflanzen zehntausende Landwirte mit Erlaubnis der Regierung und der Vereinten Nationen Mohn für die Pharmaindustrie an. Eine Reise zum indischen Himalaya und den Absurditäten internationaler Drogenpolitik.
In der Ferne ragen die Gipfel des Himalaya empor. Auf 2.000 Metern Höhe braust O.P. Sharma mit seinem Suzuki Kleinwagen an Flüssen entlang und Serpentinen hinauf. Hinten im Wagen sitzt ein mit einer Pistole bewaffneter Polizist; seit zwei Jahren begleitet er Om Prakash Sharma – kurz „Oh Pee“ – bei seinen Fahrten durch die Berge des Bundesstaates Himachal Pradesh. Sharma war bis vor einiger Zeit noch Drogenfahnder beim indischen Narcotics Control Bureau (NCB). Wenn er jetzt Dörfer besucht, um dort die Bäuerinnen und Bauern über Alternativen zum Anbau von Cannabis und Opium zu beraten, kann es zu Problemen kommen. Immerhin mischt sich Sharma hier in ein lukratives Geschäft ein; bei den Drogenhändlern ist er daher nicht gern gesehen.
Opium ist ein einzigartiges Agrarprodukt. Sein Anbau wird vom Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen in Wien (INCB) planwirtschaftlich betrieben. Der Rat regelt den Vertrieb organischer und chemischer Substanzen, die den UNO-Drogenkonventionen unterliegen. Regierungen müssen dem Rat den jährlichen Bedarf ihrer medizinischen Einrichtungen und Pharmaunternehmen melden. Luxemburg beispielsweise wird im Jahr 2010 sechs Kilogramm Morphium benötigen, der Nachbar Deutschland nahezu zwei Tonnen. Der INCB gilt in Kreisen von NGOs, die sich kritisch mit der internationalen Drogenpolitik auseinandersetzen, als äußerst konservativ – als Hohepriester der Drogenprohibition wird der Rat dort kritisiert. Denn in den jährlichen Berichten der Einrichtung wird jedes Abweichen von der harten Verbotslinie gegeißelt; so wird etwa das Verteilen von sterilen Spritzen in Gefängnissen als Aufforderung zum Drogenkonsum gedeutet.
Doch Wien ist weit weg von Nordindien. Was dort auf Konferenzen von so genannten Experten in Gesetzesform gegossen wurde, äußert sich hier im Hochland in Polizeieinsätzen und im Zerstören von Mohn- und Cannabisfeldern.
Sharmas Kleinwagen biegt von der Hauptstraße ab. Auf einer holprigen Asphaltstraße geht es über einen Pass – auf etwa 2.500 Meter Höhe – dann hinab in das Churah-Tal. „Vor einigen Jahren war hier um diese Zeit alles voller Opiumpflanzen“, meint Sharma und deutet hinunter. Doch in diesem Frühjahr sind die Felder auf den Terrassen, die sich an die bewaldeten Hänge schmiegen, kahl. Hier und da sieht man Menschen, die Kartoffeln und anderes Gemüse pflanzen. Ob das die Folge der Polizeiaktionen gegen den Drogenanbau ist? Oder liegt es eher an der Entscheidung der Drogenhändler, von der man Munkeln hört? Gerüchten zufolge soll dieses Jahr in der gesamten Region kein Opium angebaut werden, um die Polizei zu beruhigen.
Den reinen Verbotsansatz hält Sharma mittlerweile für kontraproduktiv. Denn nach der Durchsetzung der Drogenprohibition stehen die Landwirte wirtschaftlich ruiniert da. Sharma setzt auf „Alternative Development“. Kein neues Konzept: In den Drogenanbaugebieten Südostasiens und Lateinamerikas sowie in Afghanistan wird es seit langem praktiziert – mit wenig anhaltendem Erfolg: Waren die Entwicklungsorganisationen mit ihrem Geld nach Ablauf der Projektphase wieder weg, war es meist auch mit der „alternativen Entwicklung“ vorbei. Sharmas Ansatz ist allerdings ein anderer. Er kennt die Gegend, die Leute und die lokalen Dialekte. Er bringt den Gottheiten der Dörfer seinen Respekt entgegen und wird nicht müde, immer wieder mit den Landwirten zu reden und ihnen klar zu machen, worum es geht. „Das ist nicht einfach“, stellt Sharma fest, manchmal fehle die Bildungsgrundlage, um das Konzept zu begreifen. „Auch müssen Jahrhunderte alte Vorstellungen durchbrochen werden“, sagt der Anfang 40-Jährige. Letztlich betreibt er Hilfe zur Selbsthilfe und versucht mit den Genossenschaften kollektive Strukturen aufzubauen. Die sollen sich nach und nach selbst tragen und nicht auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen sein.
Traditionell wurde und wird Opium in Teilen Indiens als Heil- und Schmerzmittel sowie für religiöse Riten genutzt. Doch offiziell gibt es in Indien kaum illegalen Anbau; dabei wird nicht nur im Norden des Subkontinents, sondern wohl auch in den von „maoistischen“ Naxaliten (woxx 1041) gehaltenen Gebieten Mohn angepflanzt. Das gilt ebenso für die nordöstlichen indischen Bundesstaaten mit ihren zahlreichen lokalen Aufstandsbewegungen und ihrer Grenze zu Burma/Myanmar.
Der bereits erwähnte Suchtstoffkontrollrat räumt Indien eine Sonderstellung ein. Nach Afghanistan sind Australien und Frankreich die größten Produzenten von Schlafmohn; dort wird die Pflanze per Mähdrescher geerntet und chemisch weiterverarbeitet. Als viertes in der Reihe der Anbauländer dürfte dann schon Indien kommen. Nur dort wird legal per Hand Rohopium gewonnen. Rund 500 Tonnen ernteten 45.000 lizenzierte Bäuerinnen und Bauern in der Saison 2008/09 in den drei Bundesstaaten Rajasthan, Maydha Pradesh und Uttar Pradesh.
Zum Vergleich: Die afghanische Opiumernte wird dieses Jahr schätzungsweise bei um die 5.000 Tonnen liegen. Die meisten indischen Opiumbauern werden durch den erzielten Ertrag nicht reich, können aber ihr Einkommen um einige hundert Dollar im Jahr aufbessern.
Neben dem Rohopium können die Landwirte die getrockneten Kapseln mit den Samen (die beispielsweise für Mohnbrötchen verwendet werden) und das Stroh verkaufen. Der Anbau ist seitens des indischen Zentralbüros für Betäubungsmittel (CNB) strengen Auflagen unterworfen. Ständig wird kontrolliert, die Anbaufläche darf einen halben Hektar nicht überschreiten, zudem muss ein Mindestertrag abgeliefert werden – sonst erhält man im kommenden Jahr keine Lizenz. Eine Maßnahme, mit der das Abzweigen eines Teils der Ernte für den Schwarzmarkt verhindert werden soll.
Manche Politiker in Indien wollen die Lizenzierung des Opiumanbaus für mehr Bundesstaaten durchsetzen. Doch die Bundesregierung ist in diesen Belangen sehr zögerlich. Denn sie muss sich immer wieder den Vorwürfen seitens der internationalen Organisationen erwehren, nicht genug gegen den illegalen Anbau und die Abzweigung von lizenziertem Opium auf den Schwarzmarkt zu tun.
Im Dorf Thirtukhodi im Churah Tall will man das Thema Opium aber hinter sich lassen. Ein Teil der Einwohner ist zusammengekommen, um Sharma zu empfangen. Mit seiner Unterstützung haben sie in den letzten Monaten daran gearbeitet, formal als Genossenschaft seitens der Landesregierung anerkannt zu werden. Gemeinsam will man die landwirtschaftlichen Erzeugnisse vermarkten. Letztes Jahr wurden mit gespendetem Saatgut Erbsen angebaut, die auf dem Markt gute Preise erzielen. Als nächster Schritt sollen erste Gewächshäuser auf den ebenen Flächen entlang des Flusses, der das Tal durchzieht, errichtet werden. Derzeit gibt es für solche Vorhaben finanzielle Unterstützung durch die Regierung. Dann, so Sharmas Plan, sollen darin Blumen und Heilkräuter wachsen. In seiner Heimatregion, noch weiter im Norden, funktioniere das Modell gut, berichtet er. Auch habe man dort ein kleines Wasserkraftwerk errichtet und werde bald Strom verkaufen können.
Soweit ist man hier in Thirtukhodi noch lange nicht; ein Teil der Häuser in der Siedlung ist heruntergekommen und manche der Kinder leiden offenbar an Mangelernährung. Vor etwa 15 Jahren, so erinnert sich ein alter Dorfbewohner mit wettergegerbter Haut, seien Leute aus Pakistan und Kaschmir gekommen. Sie regten an, Mohn anzubauen und versprachen die Abnahme des Opiums. „Eigentlich ist die Idee, als Gemeinschaft zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu helfen, uns nicht unbekannt“, erzählt der Mann weiter. „Doch als viele von uns durch den Opiumanbau reich wurden, haben wir uns voneinander abgewandt.“
Zu den Zeiten des Opiumanbaus konnten die Kinder auf Privatschulen außerhalb des Tals geschickt werden; es war Geld für medizinische Versorgung da. Damit ist es seit drei Jahren vorbei – seit die Behörden den Opiumanbau unterbunden haben. Die zwei staatlichen Schulen im Tal haben zusammen ein halbes Dutzend Lehrer für viele hundert Kinder aufzubieten; eine medizinische Grundversorgung gibt es nicht.
Die Bauern, die sich in Thirtukhodi zu einer Genossenschaft zusammenschließen wollen, sind geteilter Meinung über die Rechtmäßigkeit des Verbots, Opium anzubauen. Die einen sagen, der Anbau gehöre verboten, da Drogen anderen Menschen schaden. Andere in der Gruppe finden es unfair, dass ihnen auch der Anbau von Mohn zum Eigenbedarf untersagt wird. Denn Opium wird als Mittel gegen Schmerz, Migräne und Durchfall benötigt. Medikamente kann sich hier kaum einer leisten.
Der insgesamt schizophrene Umgang mit der Opiumpflanze führt dazu, dass in Indien in 70 Prozent der Krebskrankenhäuser kein Morphium ausgegeben wird. Dabei wächst der Ausgangsstoff quasi vor der Haustür. Diese Verweigerung der Schmerztherapie prangerte Human Rights Watch letztes Jahr in einem Report an. Doch ist dieses Phänomen weltweit zu beobachten: Absurderweise wird aus Angst vor dem Suchtpotenzial von Opiaten Sterbenden eben dieses Linderungsmittel verweigert – obwohl in solchen Fällen eine drohende Abhängigkeit herzlich egal sein könnte.
Abgesehen von der dogmatischen Verbotslogik, spielen in Sachen Opiaten auf dem legalen Markt finanzielle Interessen eine Rolle: Die Pharmaindustrie will ihre synthetischen Opioide loswerden; Länder wie Australien und Frankreich wollen in der Opiumlandwirtschaft keine Konkurrenz aus dem Süden. So wird seitens der meisten westlichen Regierungen und der Vereinten Nationen die Forderung einiger NGOs, Afghanistan in den Kreis der Länder mit Lizenz zum Opiumanbau aufzunehmen, verächtlich abgetan. Ein Modell wie in Indien werde nicht funktionieren – zu groß sei dort die Korruption, zu groß die Gefahr, dass das lizenzierte Opium in dunkle Kanäle abgezweigt werde. Ein lächerliches Argument, angesichts einer afghanischen Opiumernte, die derzeit zu hundert Prozent auf den Schwarzmarkt gelangt.
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Erschienen am 6. Mai 2010 in der luxemburgerischen Wochenzeitung Woxx.