Das Spiel mit Bäumen und Beton (WOZ 2010)

Ich treffe Andrej Rudomacha an einer lauten und nach Abgasen stinkenden Kreuzung in Adler, einem südlichen Vorort der russischen Olympiastadt Sotschi. In Jeans, Karohemd und Gummistiefeln kommt er schnurstracks auf mich zu, obwohl wir uns nie zuvor gesehen haben. Er führt mich zu einem Jeep des WWF, in dem bereits drei weitere Männer sitzen, am Steuer der Biologe Suren Gazarian, daneben der Ökologieprofessor Valery Akatov, auf dem Rücksitz quetsche ich mich zwischen Rudomacha und Alik Le, einen Bewohner Adlers. Die Männer gehören zur Nichtregierungsorganisation „Ökologische Wacht für den Nordkaukasus“.

Die schmale und desolate Straße, die wir nehmen, führt rechterhand an einer Großbaustelle entlang. Dort entsteht die Bahn- und Autotrasse, die das olympische Dorf an der Küste mit den Olympiastätten im Kaukasus, am Ort Krasnaja Poljana, verbinden soll. „Die Trasse wird im Flussbett des Msymta gebaut”, erklärt Rudomacha. „Unter dem Flussbett liegt ein wichtiges Trinkwasserreservoir der Stadt Sotschi. Drei Quellen sind schon zerstört.“ Gazarian navigiert unterdessen den Jeep über die Gegenspur am Stau vorbei, dann rasant durch die scharfen Serpentinen, die den Berg hinauf führen. Unser Ziel liegt mitten im Wald, am Fuß eines Hochspannungsmasten.


Wir erhalten die Natur für kommende Generationen“ verkündet ein großes Plakat, das außerdem erklärt, dass hier als Ausgleichsmaßnahme kolchischer Buchsbaum gepflanzt wird. Die extrem langsam wachsenden Bäume kommen nur im Kaukasus vor und stehen auf der Roten Liste Russlands. Die Setzlinge liegen nun neben den Pflanzlöchern bereit, Spaten stecken neben den Reihen in der Erde. In Kürze wird der Bauherr der umstrittenen Trasse, die Russische Eisenbahngesellschaft, der Öffentlichkeit zeigen, dass ihr der Naturschutz am Herzen liegt.


Die kennen wir bereits“, erklärt Suren Gazarian und zeigt mir ein Foto von zwei anwesenden Bauarbeitern der Firma Stroydor-A, eines Auftragnehmers der Eisenbahngesellschaft. „Das sind die beiden Männer, die uns im August haben in den Knast bringen lassen.“ Gazarian und Rudomacha hatten damals gegen die Abholzung geschützter Bäume durch Stroydor-A protestiert. „Dem Gesetz nach hatte die Polizei kein Recht, uns in den Knast zu bringen. Aber es war ein Zeichen, das jeder aus dem Weg geschafft wird, der die Bauarbeiten zu stoppen versucht“, meint Gazarian.


Mittlerweile sind mit einem Geländebus die geladenen Journalisten eingetroffen. Obwohl die heutige Pflanzaktion eine Presseveranstaltung ist, dürfen nur ausgewählte Medienvertreter erscheinen. Einem Vertreter des von der Menschenrechtsorganisation Memorial herausgegebenen Internetportals „Kavkaz Uzel“ (Kaukasischer Knoten) wurde hingegen die Teilnahme verweigert, berichten die Umweltschützer.

 

Wurden wir als ungebetene Gäste zuvor nur argwöhnisch beäugt, werden wir nun aufgefordert, vom Veranstaltungsort zu verschwinden. Bewaffnete Grenzpolizisten kommen den Hang hinauf. Sie ringen Gazarian zu Boden und tragen ihn an Händen und Füßen weg. Alle anderen werden ohne Gewaltanwendung verhaftet, auch Akatov, der die ganze Zeit fernab des Geschehens gewartet hat. Eine Journalistin, die Rudomacha Fragen stellen möchte, schicken die Grenzpolizisten fort.


Dass der Koordinator der Ökologischen Wacht nicht mit der Presse reden soll, hat seine Gründe. Was er zur Ausgleichsmaßnahme zu sagen hat, lässt den Bauherrn in keinem guten Licht erscheinen. Mitglieder der NGO hätten bei ihren Recherchen keine Baumschule gefunden, die die 6860 Buchsbaumsetzlinge verkauft hätte. Statt dessen hätten sie beobachtet, wie Bauarbeiter im Nationalpark Sotschi eine große Zahl junger Bäume ausgruben, und das nicht nur auf von Bauarbeiten betroffenen Flächen.


Nach einer Fahrt in einem alten militärgrünen Bully sitzen wir hinter den Mauern der Grenzkaserne in der Sonne und warten. Vor dem Eingang steht ein junger gelangweilter Grenzpolizist, das Gewehr unter den Arm geklemmt. Er raucht viel, uns widmet er keine besondere Aufmerksamkeit. Mittlerweile haben wir erfahren, dass die Grenzschützer uns unerlaubtes Betreten des Grenzgebiets zu Abchasien – andernorts würde man wohl Georgien sagen – vorwerfen. Eine Anschuldigung, die sowohl Alik Le als Bewohner des Grenzgebiets, als auch Valery Akatov als Angestellten des Naturreservats nicht treffen sollte. Trotzdem dauert es bis zum Abend, bis wir nach Verwarnungen oder der Zahlung kleiner Geldstrafen den Grenzposten wieder verlassen dürfen.


Suren Gazarian sagt, dass er es leid ist, sich mit dem Kapitän des Grenzpostens zu streiten. Seit der Biologe nach Sotschi gekommen sei, um den Lebensraum der Fledermäuse im Nordkaukasus zu untersuchen, habe er nur Schwierigkeiten. „Es ist nicht leicht, in Russland die Natur zu schützen“, ist alles, was Andrej Rudomacha zu sagen hat.


Dimitri Kaptsov, der Pressesprecher der Ökologischen Wacht für den Nordkaukasus empfängt mich im Wartezimmer eines kleinen Schönheitssalons am Bahnhof von Sotschi. Der Laden gehört einem Freund von ihm. „Die russische Olympiabewerbung war die schlechteste und umweltfeindlichste“, erklärt Kaptsov, „und mit Krasnaja Poljana haben die Olympiamanager den denkbar problematischsten Ort für die Spiele gefunden.“ Durch Abholzung und neue Gebäude, Skipisten und Infrastrukturbauten würde die Gefahr von Lawinen und Erdrutschen steigen. Betroffen von der Gefahr wären auch die neuen Olympiabauten. Die olympischen Anlagen sollen auch in den Pufferzonen des als Weltnaturerbe deklarierten Nationalparks Westkaukasus entstehen. Immerhin konnten die Umweltschützer mit ihrem Protest den Bau der Bobbahn und des olympischen Bergdorfes in einer der ökologisch sensiblen Zone stoppen.


Russland hätte fünf bis sechs Jahre lang mit Voruntersuchungen des Gebiets verbringen sollen. Aber es hat zuerst die Bewerbung abgegeben und dann mit den Umweltverträglichkeitsprüfungen begonnen.“ Kaptsov glaubt, dass es für diese nun fast zu spät ist. Russland habe sein Versprechen gegeben, die Olympischen Spiele abzuhalten. Nun werde gebaut, koste es, was es wolle.


Der Bau der Auto- und Eisenbahntrasse von der Küste nach Krasnaja Poljana ist für die Umweltschützer der Ökologischen Wacht schlichtweg illegal. So schreibt Rudomacha im Juni in der Zeitung „Severnij Kavkaz“ („Nordkaukausus“): „Für das Projekt der kombinierten Trasse „Adler – Krasnaja Poljana“ gibt es weder ein staatliches Gutachten, noch eine reguläre staatliche Untersuchung.“ Die Bauarbeiten begannen im September 2008. Auf einen offiziellen Beschwerdebrief an die regionale Staatsanwaltschaft erhielt die Ökologische Wacht die Antwort, dass die Bauarbeiten für die Olympiastätten noch nicht begonnen hätten, dass es sich bei den Arbeiten lediglich um die Ausbesserung von Straßen handele. Im Frühjahr 2009 mussten sowohl das Umweltministerium als auch die Staatsanwaltschaft der Region Krasnodar zugeben, dass an der kombinierten Trasse „Adler – Krasnaja Poljana“ gearbeitet werde und dass dabei Verstöße gegen die Umweltgesetze der Russischen Föderation vorlägen. Am 27. Mai wurde die Straßenbaustelle von Gouverneur Alexander Tkatschov und dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten und Olympiasonderbeauftragten Dimitri Kosak feierlich eröffnet – zu einem Zeitpunkt, an dem die Staatsanwaltschaft die Fortsetzung der illegalen Bauarbeiten bereits untersagt hatte.


Die Umweltschützer protestieren nun nicht mehr nur gegen das undurchsichtige Baugeschehen, sondern auch gegen ihre Kriminalisierung. Ein Beschwerdebrief ging an Dimitri Kosak, ein weiterer an das Internationale Olympische Komitee. Der Vorwurf des illegalen Aufenthalts im Grenzgebiet hat nach Auffassung des russischen WWF-Direktors Igor Chestin keinen Bestand, denn besagtes Grenzgebiet existiere schlichtweg nicht. Dieses habe im Bezug auf den Nachbarn Georgien bestanden, zum neuen Nachbarn Abchasien sei aber kein spezielles Grenzregime festgelegt worden. Außerdem hätte ein solches Grenzgebiet klar markiert sein müssen. Mit derselben Begründung haben Rudomacha und Gazarian auch eine gerichtliche Beschwerde gegen ihre Verhaftung eingereicht. Für die beiden Aktivisten zeigt das Handeln der Sicherheitskräfte, dass Angehörige von NGOs und Wissenschaftler durch ihr Engagement für Sochis Umwelt „ihre Gesundheit und ihre persönliche Würde aufs Spiel setzen“. Dabei hatten die Umweltschützer erst Mitte September mit Dimitri Kosak ausgehandelt, die Olympiabaustellen überwachen zu dürfen.


Die russische Regierung zeigte unterdessen, dass sie das Engagement der Umweltschützer durchaus ernst nimmt. Ende Dezember verabschiedete die Duma einige Gesetzesänderungen, die das Abholzen geschützter Arten im Nationalpark Sotschi auf Olympiabaustellen erleichtern. Wahrscheinlich, um die Bauarbeiten nicht durch Klagen von Umweltschützern aufzuhalten.

 

In der WOZ vom 4.3.2010 erschien eine gekürzte Fassung dieses Artikels