Teeplantagen in Indien bilden eine ökonomische und gesellschaftliche Enklave, das Leben und Arbeiten ist geprägt von erzwungener Unterwerfung unter die fast uneingeschränkte Herrschaft der Plantagenbesitzer. Jürgen Weber berichtet für Gute-Arbeit-Weltweit über die Situation der TeepflückerInnen im indischen Bundesstaat West-Bengalen und ihren Kampf für bessere Arbeitsbedingungen.
Teesträucher in unterschiedlichen Grüntönen, die sich kilometerweit sanft an verschlungenen Hügellandschaften aneinanderreihen, bilden den malerischen Hintergrund in vielen Teilen der indischen Bundesstaaten West-Bengalen, Assam, Tamil Nadu und Kerala, überall dort, wo traditionell Tee angebaut wird. Hinter der heiteren Schönheit dieses Naturbildes verbergen sich jedoch die oftmals ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der PlantagenarbeiterInnen.
Eine Drohung mit Aussperrung auf der Teeplantage ‚Nowera Nuddy‘ im Jalpaiguri District im indischen Bundesstaat West-Bengalen wirft erneut ein Licht auf die Krise der indischen Teeindustrie. Die „Nowera Nuddy“-Teeplantage befindet sich mehrheitlich im Besitz von ‚Tata Tea‘. Das Unternehmen ist Teil des transnationalen indischen Unternehmenkonglomerats ‚Tata‘. Dem Industriegiganten gehört der weltweit zweitgrößte Teeproduzent ‚Tetley‘, mit einem Umsatz von rund 258 Millionen US-Dollar in 2005-2006. Die „Nowera Nuddy“ wird von ‚Tata Tea‘ durch den Besitz von Amalgameted Plantations Ltd.kontrolliert. Der Tee der „Nowera Nuddy“–Plantage wird zu den berühmten Tetley Teepäckchen weiterverarbeitet.
In den 80 Ländern, in denen das Unternehmen aktiv ist, arbeiten in diesem Zeitraum rund 250.000 Beschäftigte. Für das Geschäftsjahr 2005-2006 hat die Tata-Gruppe Einnahmen von rund 22 Milliarden US Dollar (2,8 Prozent des indischen Bruttoinlandsprodukts) ausgewiesen. ‚Tata tea‘ sowie ‚Hindustan Unilever Limited‘ haben lange Zeit den Markt für Markentees mit einem Anteil von 60 Prozent dominiert, sie besaßen eine Vielzahl von Plantagen in Indiens Teeanbaugebieten und waren bedeutende Arbeitgeber für Tausende von ArbeiterInnen. In der Mitte des vergangenen Jahrzehnts änderte sich das: der Tee produzierende Konzern ‚Tata Tea‘ (wie auch Hindustan Unilever Ltd.) wurde seither in ein Verkaufsunternehmen, Plantagen wurden veräußert und zehntausende ArbeiterInnen entlassen.
Management zeigt sich „verunsichert“
In diesen Tagen sind die ArbeiterInnen der Plantage verunsichert: Vor kurzem ließ der Generalmanager von „Nowera Nuddy“ mitteilen, er denke über die erneute Schließung der Plantage nach, dieses Mal für einen Zeitraum von „zwei, drei…fünf Jahren“. Als Gründe für seine Überlegungen führte er die „fortgesetzten Aktivitäten“ des Aktionskomitees der ArbeiterInnen an, einer „Art von Bewegung“, die ihn „verunsichere“.
Es sind wohl nicht allein die Aktivitäten des Aktionskomitees, die zur Verunsicherung des Managements beigetragen haben. Flugblätter zu verteilen, das Aufhängen von Postern mit Forderungen der ArbeiterInnen und das Einberufen von Versammlungen stellen keine gewalttätigen oder illegalen Aktivitäten dar. Würde ‚Tetley Tea‘ nach den Buchstaben der ethischen Standards handeln, die es selbst in der Organisation der Teeindustrie ‚Ethical Tea Partnership‘ (ETP) unterzeichnet hat, bräuchte es wohl weder das Aktionskomitee noch die ArbeiterInnen fürchten. So aber ist zu vermuten, dass die Gefühlslage des Managements daher rührt, dass die Beschäftigten trotz mehrmaligen Erpressungsversuchen durch Aussperrung daran festhalten gegen die Willkür und schlechte Behandlung von Seiten der Unternehmensleitung zu protestieren und ihre im ‚Plantation Labour Act‘ (PLA) festgeschriebenen Rechte einzufordern. Schon 1951 wurden darin die Rechte der TeepflückerInnen und Ansprüche an die Lebensbedingungen im Teeanbau geregelt. Die Drohung mit der Schließung der „Nowera Nuddy“-Plantage ist eine Erpressung mit der Ernährungssituation der etwa 1000 ArbeiterInnen und ihrer Familien, insgesamt von 6500 Menschen – eine Drohung mit dem Hunger.
„Es ist wichtig, dass sie während der Schwangerschaft entspannt bleiben…“
Der aktuelle Konflikt reicht zurück in den August 2009. Nachdem der Antrag der 22-jährigen Teepflückerin Arti Oraon nach Mutterschaftsurlaub mehrfach durch den Arzt der Plantage zurückgewiesen wurde, kollabierte die im achten Monat schwangere Frau in den Teefeldern. Auch danach wurde ihr eine ausreichende medizinische Hilfe verweigert und sie wurde angewiesen, doch mit dem Fahrrad in das nächstgelegenes Krankenhaus zu fahren. Daraufhin protestierten etwa 500 PlantagenarbeiterInnen und verlangten Sanktionen gegen den Arzt. Aus dem Management des Teegartens heraus wurde die Nachricht kolportiert, dass dabei auch Gewalt gegenüber dem Arzt ausgeübt wurde.
Mit der Verweigerung des Urlaubsscheins hat die Unternehmensführung eindeutig gegen Artikel 3, C 183 der ILO-Konventionen über den Schutz der Mutterschaft verstoßen. Ausdrücklich ist darin festgelegt, dass schwangere oder stillende Frauen nicht zu Arbeiten herangezogen werden dürfen, die eine Gefahr für die Gesundheit von Mutter und Kind darstellen. Auch die indische Gesetzgebung hat 1961 ein Gesetz verabschiedet (Maternity Benefits Act), dass das Beschäftigungsverhältnis von Frauen in einigen Sektoren für bestimmte Zeiten vor und nach der Geburt reguliert.
Zwei Tage nach diesem Vorfall wurde die Plantage für zwei Wochen geschlossen. Am 27. August 2009 vereinbarten Gewerkschaftsmitglieder und Unternehmensleitung die Wiederöffnung, die Auszahlung des Verdienstausfalls für die Zeit der Aussperrung wurde jedoch verweigert. Wiederrum zwei Wochen später, am 8. September, ließ die Verwaltung einen Brief aushängen, in dem sie die Kündigung von acht Arbeitern und die Einleitung einer internen Untersuchung wegen Gewalttaten und illegalen Aktionen bekannt gab. Herausgegriffen wurden acht Plantagenarbeiter, die sich schon längere Zeit für die Rechte der ArbeiterInnen engagiert hatten. Auf einer Versammlung am 10. September wurde den ArbeiterInnen dann mitgeteilt, dass die Kündigungen in Übereinstimmung mit der Vereinbarung vom 27. August stünden und dass der Zugang zur Arbeit auf der Plantage an die Einhaltung dieser Vereinbarung gekoppelt wäre. Mit anderen Worten: die TeearbeiterInnen wurden von der Unternehmensleitung dazu aufgefordert der Vereinbarung und der Kündigung zuzustimmen – oder erneut ausgesperrt zu werden. Auf dieses Ultimatum des Unternehmens wollten die ArbeiterInnen sechs Tage später antworten, doch noch bevor diese Zeit verstrich, wurde die Plantage erneut geschlossen – gerade an dem Tag, an dem ein jährlicher Festival-Bonus ausbezahlt werden sollte – umgerechnet zwei Monatseinnahmen.
Druckmittel Aussperrung
Das Druckmittel der Aussperrung ist ein mächtiges Instrument in den Händen der Plantagenbesitzer. Der Tageslohn der ArbeiterInnen im indischen Teeanbau beträgt im Durchschnitt 62.50 Indische Rupien (INR), etwa 1.35 US-Dollar. Allein für ein Kilogramm Reis von minderer Qualität wird auf dem lokalen Markt rund 20 Prozent des Tageslohnes verlangt. Der Verlust des Verdienstes auch nur für eine Woche kann die Familien auf den Plantagen in prekäre Ernährungssituationen stürzen. Ab Mitte November spitzte sich die Nahrungskrise dann derart zu, dass die lokalen Regierungsbehörden dazu übergingen, Coupons für Notrationen auszugeben.
Gegen diese Politik der Erpressung durch Hunger haben die ArbeiterInnen der „Nowera Nuddy“-Teeplantage Mitte November 2009 das Aktionskomitee der ArbeiterInnen gegründet und die sofortige Wiedereröffnung der Plantage gefordert. „Eine Teeplantage kann nicht mit brachialer Gewalt geleitet werden, ohne dass dies Konsequenzen hätte“, erklärte Balakram Lohar, seit 20 Jahren als Plantagenarbeiter auf „Nowera Nuddy“ im November in einem Video-Interview.
Unterstützt wurde der Kampf der TeearbeiterInnen bei ‚Tetley Tea‘ durch eine internationale Unterschriftenkampagne der ‚International Union of Food Workers’/IUF. Auch wenn „Nowera Nuddy“ nur etwas mehr als ein Prozent der Teeproduktion des Unternehmens in Nord-Indien ausmacht, ist doch das Image von ‚Tata‘ insgesamt als eine „ethische Unternehmensgruppe“ beschädigt worden. Erfolgreich konnte Mitte Dezember auch die Wiedereröffnung der Plantage erstritten werden. Weitere Forderungen des Aktionskomitees wurden von der Geschäftsleitung bis heute nicht akzeptiert. Diese sind weiterhin gut sichtbar auf Plakaten an einer Mauer der Poststation der Plantage angebracht: „Sofortige Zurücknahme der Kündigungen für die acht Arbeiter“, „Sofortiger finanzieller Ausgleich für Arti Oraon und eine Entschuldigung des Managements“ und „Zahlung aller Löhne und Zuteilungen für die Zeit der Aussperrung“.
Das Plantagensystem
Teeplantagen in Indien bilden eine ökonomische und gesellschaftliche Enklave, das Leben und Arbeiten ist geprägt von erzwungener Unterwerfung unter die fast uneingeschränkte Herrschaft der Plantagenbesitzer. Historisch sind die Teegärten durch die Abwesenheit von lokalen Arbeitskräften charakterisiert. Für die aus entfernteren Regionen angeworbenen ArbeiterInnen bilden die Anwesen eine fremde und nach innen gerichtete, eigene Welt – ohne Verbindungen zu den umliegenden Dörfern oder Städten. Vorwiegend aus Dalit-Kastengruppen (den ehemaligen „Unberührbaren“) und den indigenen Bevölkerungsgruppen (Adivasis) kommend, entsteht über Generationen hinweg eine Gemeinschaftsstruktur, die weitgehend an den Erfordernissen der Unternehmen ausgerichtet ist. Die komplette Abhängigkeit wird dann offenkundig, wenn die Plantagen geschlossen oder die ArbeiterInnen ausgesperrt werden.
Die indischen PlantagenarbeiterInnen haben in den vergangenen Jahren Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Sei es, dass ihr Lohn gekürzt und vereinbarte jährliche Gehaltszulagen gestrichen wurden, oder dass sie durch Strafklauseln in Verträgen gezwungen wurden reduzierten Löhnen zuzustimmen (sog. „penalty clauses“). Zudem konnte es passieren, dass die Basisversorgung mit Trinkwasser, Elektrizität, Gesundheitsschutz und Schulen für die Kinder über Monate ausgesetzt wurde. Die weiblichen Arbeitskräfte, die das Rückgrat der indischen Teewirtschaft bilden – laut Angaben der Labour Bureau der indischen Regierung, sind es in der Kunst des Pflückens der obersten zwei Blätter mit der Knospeiv zu 90 Prozent Frauen – trifft diese Situation mehrfach hart: Sie verlieren das Familieneinkommen und haben gleichzeitig die Folgen der Arbeitslosigkeit auf ihre Männer und das Beenden der Schulausbildung ihrer Kinder sozial abzufedern.
Die Krise der indischen Teeindustrie
Die indische Teeindustrie, mit einem Anteil am Weltmarkt von rund 30 Prozent und mit 1.2 Millionen im Tee-Anbau Tätigen einer der größten Teeproduzenten der Welt, ist Ende der 1990er Jahre in eine Krise geraten. Infolge eines sinkenden Teepreises, hauptsächlich verursacht durch ein großes Überangebot auf dem indischen Markt, wurden viele Plantagen aufgegeben. Berichte von Arbeitskonflikten, von Unterernährung und Hungertod von PlantagenarbeiterInnen, schlechter medizinischer Versorgung und ungenießbarem Trinkwasser, vermittelten ein Bild von der Misere auf den Plantagen. Leiharbeitsverhältnisse setzten sich immer mehr durch und es entstand ein System kleinerer Gärten mit oftmals weniger als einem Hektar Anbaufläche, die nicht unter das ‚Plantation Labour Act‘ fallen. Die Besitzer der großen Plantagen weigerten sich die Arbeitsgesetze einzuhalten und die indische Regierung versagte darin, die Gesetze durchzusetzen. Alle diese Faktoren haben dazu geführt, dass die soziale und rechtliche Position der ArbeiterInnen in der Teeindustrie deutlich schwächer geworden ist.
Probleme der Gewerkschaften
Die Antwort auf die Probleme der Arbeitervertretungen und der Stärke der Unternehmen zeichnet sich vor dem Hintergrund der ökonomischen Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten ab, in denen die Unternehmen im Zuge der Deregulierung der Märkte eine immer größere, vor wenigen Jahren kaum vorstellbare, Machtfülle erhalten haben. In der indischen Teeindustrie bietet sich, wie in den meisten Industriezweigen, das gleiche Bild. Nominell sind alle TeearbeiterInnen durch Gewerkschaften vertreten und in den Hauptanbaugebieten werden Arbeitslöhne und – bedingungen zwischen Gewerkschaften und dem Verband der Plantagenbesitzer ausgehandelt. Einerseits besitzen die Beschäftigten in der Teeindustrie somit einen hohen Organisationsgrad. Demgegenüber steht aber die Schwäche der traditionellen Gewerkschaften, die nicht mehr in der Lage sind gegenüber den Plantagenbesitzern Errungenschaften zu verteidigen oder/und die Beschäftigten zu mobilisieren.
So sieht auch Jasper Goss von der Asien/Pazifikabteilung der IUF die Situation der indischen Gewerkschaftsbewegung im Moment eher pessimistisch: „Im heutigen Indien – wie auch in vielen anderen Ländern – ist es für die Gewerkschaften extrem schwierig geworden, der Macht der Unternehmen effektiv entgegenzutreten. Unglücklicherweise verlassen sich viele Gewerkschaften noch zu sehr auf alte Institutionen wie politische Parteien, oder auf die Anrufung von Gerichten.“
Die ArbeiterInnen der „Nowera Nuddy“-Teeplantage, ihr Aktionskomitee und die IUF wollen an den Forderungen und dem Protest gegen die Drohung mit Hunger weiter festhalten.
Übrigens: Arti Oraon und ihrem Kind geht es gut.
Weitere Infos unter der Seite der IUF/ Asian Foodworker.