Warum 2009 scoyo aus Sicht von Bertelsmann vorläufig scheiterte

Hinweis (Januar 2014): Auf Bitte von Scoyo wurde die Überschrift geändert, da der Text weit oben in den Suchergebnissen rund um das Keyword „scoyo“ steht und einen laut Scoyo ungünstigen Eindruck vermittelt. Der ursprüngliche Titel lautete: „Warum scoyo scheiterte: ‚In der Natur eines Startups‘ (IGM Dez. 09)“

Mit millionenschweren Budget versuchte scoyo erfolglos Eltern vom Nutzen seines Nachhilfe-Onlinedienstes zu überzeugen. Im Gespräch  mit Beteiligten und eLearning-Experten über  Konzeptionsfehler und die Mög lichkeiten, mit Lernspielen im Netz positive Bilanzen zu erreichen.

Die Suche nach dem heiligen Gral des In ternets geht weiter: Wie verdient man Geld mit Webdiensten? Nutzer des Netzes sind es ge wohnt, alles für „free“ zu bekommen; auf die Zahlungsbereitschaft von Online-Kun den zu setzen, gleicht einem Vabanque-Spiel – die kostenlose Konkurrenz ist meist nur einen Klick entfernt. In diese raue Umgebung machte sich vor rund einem Jahr die On line-Plattform scoyo auf. Sie richtet sich an Schüler und versucht mit Prinzipien des spiel basierten Lernens (game-based-lear ning) den Schulstoff der Klassen eins bis sieben zu vermitteln. In „Lernwelten“ werden ani mierte Comicfilme mit interaktiven Ele menten gepaart, Fragen zu Fächern wie Mathematik, Biologie oder Englisch behandelt. „Lernen kann viel Spaß machen!“ lautet das Motto – „muss aber auch bezahlt werden“, ließe sich still ergänzen: Im Frühjahr 2009 führte das werbefreie scoyo nach der kostenlosen Betaphase ein Bezahlmodell ein. Je nach Laufzeit des Abos fallen zwischen zehn und zwanzig Euro im Monat für „Lern pakete“ an. Die Hoffnung war, damit einen Fuß in den so genannten Nachmittagsmarkt zu bekommen – eine Milliarde Euro, so die Schätzungen, werden in Deutschland jährlich für Nachhilfe ausgegeben.
 
Doch waren anscheinend bislang nicht all zu viele Eltern bereit, ihren Kindern scoyo-Pa kete zu kaufen. Der Medienkonzern Bertels mann, der das Startup bislang finanzierte, kün digte exakt ein Jahr nach dem Start an, es wieder loswerden zu wollen. Der Riese aus Gütersloh ist auf Konsolidierungskurs; er hat eine milliardenschwere Schuldenlast. Dazu kam der Tod des Firmenpatriarchen Rein hard Mohn vor einigen Monaten. Und schließ lich macht dem Unternehmen die an­haltende Erschütterungen des klassischen Me dienmarktes durch das Internet zu schaffen. Beim Reinemachen in den Bilanz bü chern erwischte es scoyo; Ende Oktober wurde den etwa 40 Mitarbeitern mitgeteilt, dass  „kurzfristig“ ein neuer Investor gesucht werde. Eine „harte Deadline“ habe man allerdings nicht gesetzt, berichtet Tobias Riepe, einer der Bertelsmann-Pressesprecher. Dass nach nur einem Jahr Betrieb – zumindest seitens des Konzerns – Schluss sei, erklärt Riepe mit der „Natur eines Startups“; die Ziele, die man gesetzt habe, seien eben nicht erreicht worden. Das Ende von scoyo bedeute indes keinesfalls, dass Bertelsmann nicht weiter am „Megatrend Bildung“ interessiert sei, so Riepe – scoyo sei ja auch nie Teil der eigenen „Education-Strategie“ gewesen, sondern Teil der „Innovation-Strategie“. Dass die Plattform etwas mit Lernen zu tun hat, sei „quasi ein Zufall“ gewesen. Warum die Bereiche Bildung und Innovation im Hause Bertelsmann getrennt voneinander betrieben werden, muss wohl Geschäftsgeheimnis sein. Jedenfalls gehen Beobachter der eLearning-Branche davon aus, dass das Unternehmen seit 2007 eine zweistellige Millionensumme in die Gründung von scoyo gesteckt hat.

Das Vorhaben stand offenbar von Anfang an unter keinem guten Stern. So jedenfalls die Einschätzung eines an der Entwicklung be teiligten Projektmitarbeiters gegenüber IGM – namentlich möchte er ungenannt bleiben. Seinen Aussagen zufolge wurden für scoyo mehrere externe Unternehmen und Frei berufler beauftragt, Konzepte und In halte zuzuliefern. Allein die passende Dar stellungsform für die didaktische Konzeption zu finden, habe wesentlich länger gedauert, als anvisiert. Um die Umsetzung dann schließ lich hinzubekommen, sei ein Teil der Produktion nach Asien ausgelagert worden. Der eigentliche Start der Plattform habe um fast ein halbes Jahr nach hinten verschoben werden müssen. Besagter Beteiligter meint, dass das Problem aber letztlich an einer anderen Stelle läge. So hätte man vor allem die Nach hilfelehrer an Bord holen und ihnen einen kostenloses Zugang gewähren müssen – und sie somit als Multiplikatoren für die Plattform einbinden können. Auf diesem Wege wäre es sicherlich auch einfacherer ge wesen, Eltern vom Sinn der neuen Lern me thode zu überzeugen. Stattdessen versuchte scoyo aber massiv in den Nachhilfemarkt einzudringen und drohte letztlich damit, einen Teil der Nachhilfelehrer arbeitslos zu machen.

Trotz aller Schwierigkeiten gibt man sich im Hause scoyo zuversichtlich, dass sich ein neuer Investor finden lässt. Presse spre cher Sachar Kriwoj versichert, dass der Regelbetrieb scoyos aufrecht erhalten blei be. Allerdings habe man die Weiterent­wicklung der US-Version auf Eis gelegt – dort läuft seit Oktober eine kostenfreie Beta version der Lernplattform. Nutzerzahlen der deutschen Website wollte Kriwoj nicht nennen; nach Analyse der Nachrichtenplattform carta.info kamen aber die meisten Besucher des Dienstes wohl aus Hamburg und Güters loh – den Firmensitzen von scoyo und Ber tels mann.

Als Ausdruck eines „altes Kommunikationsverhaltens“ betrachtet Anja C. Wagner, eLearning Beraterin und Dozentin an der Berliner Hochschule für technische Wis­senschaften, das ganze scoyo-Projekt. Sie sieht „grundsätzliche massive Fehler“ in der Herangehensweise: Ein klassisches Web 2.0-Startup fange ganz unten an, trete in den Austausch mit der Zielgruppe und baue sein Angebot nach und nach aus. Wagner erinnert sich daran, dass scoyo in den letzten beiden Jahren versuchte habe, sich im Bereich Online-Lernen einen Namen zu machen; auf relevanten Veranstaltungen der Szene selbst, etwa dem EduCamp 2008, war aber kein Ver­treter des Unternehmens anwesend. Ein derartiges Verhalten kritisiert die Dozentin als „Ins trumentalisierung des Web 2.0“ ohne selber etwas einzubringen. Als Rat gibt sie mit auf den Weg: „In Netz hineingehen und nicht versuchen, die Leute einzig auf die eigene Web site zu locken.“

Markus Witte betrachtet den Fall scoyo von einer anderen Warte aus. Er ist Ge­schäfts führer und Mitgründer der Berliner Firma „Lesson Nine“. Ausgestattet mit Venture Capital der Web.de-Gründer startete er mit seinen Partnern Anfang 2008 die Plattform babbel.com. „Spielerisch“ soll man dort Sprachen lernen können – mittlerweile habe der Dienst weltweit über 500.000 Nutzer. Das Problem bei scoyo sei weder der Kostenpunkt noch der spielerische Ansatz gewesen, so Witte. Einmal mache es das föderale Bildungssystem schwer, auf Schüler ausgerichtete Bildungsinhalte anzubieten. Und nicht zu unterschätzen sei im Falle von scoyo die Diskrepanz zwischen Kunden – den Eltern – und den Nutzern – deren Kindern. Auch eine massive Werbekampagne, unter anderem per Postwurfsendungen und Fernsehwerbung – habe Erwachsene offenbar nicht überzeugen können.

Den genau anderen Weg hat man bei Panfu bestritten. Die Lernspiel-Plattform für Kinder und Jugendliche zwischen 6-14 Jahren entstand 2007. Sie bietet werbefrei so wohl kostenlose Nutzung und Premium-Content an, der je nach Abo zwischen vier und zehn Euro kostet. Seit Anfang des Jahres schreibt das Startup schwarze Zahlen. Das dürfte die Investoren, unter anderem eine Holtzbrinck-Tochter, freuen. Moritz Hohl, einer der beiden Gründer, betont, dass man ausdrücklich die Kinder zuerst anspräche. Bei spielsweise mit Werbung auf kinderspezifischen Websites und TV-Spots auf Super RTL. Für die Eltern sei ein derartiges Web an ge bot möglicherweise zu kompliziert, erklärt Hohl. Wenn die Eltern aber sähen, dass ihr Sprössling den Dienst tatsächlich nutzte, sei en sie eher bereit, für zusätzliche Inhalte auch Geld auszugeben. In Sachen scoyo merkt Hohl an, dass zentraler Fehler gewesen sei, die grundlegenden Vorteile des Internets nicht zu nutzen. Ein wichtiger Faktor für die Kinder beim eigenen Dienst Panfu sei die Möglichkeit, vernetzt zusammen spielen und kommunizieren zu können – das biete das Bertelsmann Projekt nicht.

scoyo hat gezeigt, dass mit einem Konzept, das letztlich den Multimedia-CD-ROMs der 90-er Jahre gleicht, heutzutage kein Gewinn mehr zu machen ist. Fraglich ist auch, ob Schüler nach einem langen Schultag ihre Zeit mit einem Onlinedienst verbringen wollen, der die Betonung mehr auf das Lernen als auf das Spielen legt. Ganz abgesehen von der Frage, ob Eltern dafür zu begeistern sind, ihre Kinder noch mehr Zeit vor einem Bildschirm verbringen zu lassen. (lom)

DISCLAIMER (4.12.09): Auf Bitten des scoyo-Pressesprechers wurde eines seiner Zitate aus dem Text entfernt. Der Sinngehalt des Beitrags wird damit nicht beinträchtigt.

Zuerst erschienen in: International Games Magazine 18/09 (IGM)