Mitte Juni 2009 sterben in Bagua im peruanischen Amazonasgebiet mindestens 34 Menschen, als die Polizei gewaltsam gegen Proteste der indigenen Bevölkerung vorgeht. Die Indigenen demonstrieren nicht zum ersten Mal gegen die geplante Ausbeutung von Ölvorkommen im Regenwald, doch nun sollten neue Gesetze die Vergabe von Bohrgenehmigungen und die Ausbeutung anderer Rohstoffe über die Köpfe der dortigen Bevölkerung hinweg erleichtern. Damit verstieß Peru gegen internationale Abkommen der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation, die indigenen Völkern besonderen Schutz und besondere Mitspracherechte einräumen.
Für die Amazonasbewohner/innen ging es allerdings um mehr als ein Mitspracherecht. „Für die westliche Gesellschaft gehört der Boden demjenigen, der im Grundbuch eingetragen ist. Die Stämme betrachten die ‚Mutter der Erde‘ als Eigentümerin“, so beschreibt die peruanische Indigene Vereinigung zur Entwicklung im peruanischen Regenwald (AIDESEP) das Verhältnis zum Boden. Damit einher geht, dass der Amazonasregenwald nicht nur die Lebensgrundlage seiner Bewohner/innen bildet, sondern die gesamte Natur eine spirituelle Bedeutung hat. Wer die Natur zerstört, verletzt daher immer auch die spirituelle Welt.
Der Untergrund gehört dem Staat
Besonders schwierig scheint es, auf den Schutz der Rechte und Vorstellung derjenigen einzugehen, die sich für die eigene Isolation im Regenwald entschieden haben. AIDESEP und Survival International glauben, dass in einem Gebiet, für das der Staat dem britisch-französischen Konzern Perenco Förderkonzessionen erteilt hat, noch unentdeckte Indianer-Stämme leben. Perenco bestreitet dagegen, dass es Zeichen für deren Existenz gibt.
„Das peruanische Gesetz erkennt das Recht indigener Völker auf Landbesitz an, aber besagt, dass der Untergrund dem Staat gehört“, erläutert David Hill von der Nichtregierungsorganisation Survival International den besonderen Konfliktstoff. Allerdings gestehe die Regierung des Recht auf Land nur denjenigen Völkern zu, die eine sesshafte Lebensweise annähmen, so Hill. Gerade die Völker, die im Amazonasgebiet in freiwilliger Isolation leben, sind zumeist nicht sesshaft.
Doch auch den Sesshaften fällt es schwer, ihre Rechte zu verteidigen. Nach den Unruhen in Bagua mussten führende Mitglieder der AIDESEP ins Ausland fliehen oder untertauchen, weil sie von der Polizei wegen Aufstachelung zu einem „Aufstand zu Lasten des Staates“ gesucht werden. Die gewählten Vertreter einer wichtigen Indigenenorganisation bleiben damit vom politischen Dialog ausgeschlossen.
Mit Dialog können die kolumbianischen U’wa nur noch wenig anfangen. In den 1990er-Jahren wehrte sich das Volk aus dem Norden des Landes erfolgreich gegen die Vorhaben des Erdölkonzerns Oxy. Um das „Blut der Mutter Erde“ zu verteidigen, drohten die U’wa 1997 mit kollektivem Selbstmord. Die Vorstellung vom Erdöl als Blut ist für sie mehr als symbolisch: „Die Erde hat einen Kopf, Arme, Beine und das U’wa-Territorium ist ihr Herz. Es ist der Flügel, der das Universum trägt. Lässt man es ausbluten, kann es dem Körper kein Leben mehr geben. Das Öl wie auch die anderen natürlichen Ressourcen sind ihr Blut; deshalb müssen wir sie schützen.“ Die U’wa machten ihre Drohung nicht wahr, da sich Oxy 2002 zurückzog.
Doch wenig später trat der staatliche Konzern Ecopetrol an Oxys Stelle. Die Bohrtürme Ecopetrols liegen bislang außerhalb der Grenzen des U’wa-Reservats. Die U’wa halten sich jedoch nicht an die ihnen von der Regierung zugeteilten Grenzen und beanspruchen die fraglichen Gebiete als Land ihrer Vorfahren und Lernstätten für ihre traditionelle Medizin. Verhandlungen mit Ecopetrol lehnen die U’wa strikt ab, da es für sie nichts zu verhandeln gibt.
Recht auf Natur und ein gutes Leben?
Nicht nur die natürlichen Ressourcen gilt es für die U’wa inzwischen zu verteidigen, sondern auch die Freiheit von Waffengewalt. Militärstützpunkte sollen die Ölförderstätten schützen, die U’wa fühlen sich daher nicht mehr sicher. „Wir U’wa sind der Auffassung, dass die Waffen auf unserem und vor allem auf heiligem Gebiet den Raum mit schlechter Energie verseuchen und nur Kriegsenergie, Todessehnsucht, Konfrontation und Bosheit zurücklassen“, erklärten sie im Mai 2009.
Wenn die Ölförderung zu Gewalt und Umweltzerstörung führt, wieso sollte man das Öl nicht einfach unter der Erde lassen? 2007 machte die ecuadorianische Regierung einen überraschenden Vorschlag: Sie würde dafür sorgen, dass im Yasuní-Nationalpark kein Erdöl gefördert würde, vorausgesetzt, die Weltgemeinschaft würde für die Hälfte der erwarteten Gewinne bezahlen. In dem Gebiet leben mehrere Stämme, außerdem gilt es als ein Ort, an dem weltweit die größte Artenvielfalt herrscht. Einige Länder haben Ecuador Unterstützung zugesagt, doch viel weiter ist die Initiative noch nicht fortgeschritten.
Der Vorschlag kann auch nicht über das Leid hinwegtäuschen, das die Erdölförderung in Ecuador schon nach sich gezogen hat. Viele Amazonasbewohner/innen trinken mit Öl und Chemikalien verseuchtes Wasser und betreiben Landwirtschaft auf vergifteten Böden. Die Menschen leiden an einer Vielzahl von Krankheiten, Kinder kommen mit Missbildungen zur Welt. Der in Ecuador bis 1990 tätige Ölkonzern Chevron-Texaco hat seine giftigen Spuren nur oberflächlich verwischt. Auch heute kommt es immer wieder zu Lecks in den Pipelines, die Gewässer und Böden vergiften. Dabei garantiert die Verfassung Ecuadors von 2008 auch den Indianern/innen ein Recht auf Natur sowie ein Recht auf ein „gutes Leben“.