„Systematisches und exzessives Töten mit Waffen vom Maschinengewehr bis zur Kettensäge“ würden Spieler von Ego-Shootern üben, heißt es in besagtem Aufruf. Diese seien „massive Angriffe auf Menschenrechte, Völkerrecht und Grundgesetz“. Gegen die Spiele würde nichts unternommen, da Wissenschaftler und Hochschulen mit „Nebelbegriffen wie ‚Medienkompetenz'“ verschleiern würden, dass durch sie Jugendliche und Kinder seelischen und körperlich Schaden nähmen.
Die Verfasser des Papiers aus Köln meinen, dass 3.500 Studien einen „Zusammenhang zwischen dem Konsum von Mediengewalt und gesteigerter Aggressivität“ belegen. Wissenschaftler, die dies leugneten, „machen sich zu Komplizen und sind Profiteure des militärisch-industriell-medialen Komplexes“. Auch die Politik sei zum „Handlager“ dieser Interessen geworden, da sie Computerspiele zum „Kulturgut“ (Stichwort Computerspielpreis) erklären wolle und sich so die Indizierung von Titeln aushebeln ließe. Darüber hinaus böte die Bundeszentrale für politische Bildung fast nur Wissenschaftler ein Forum, die der Games-Industrie nahestünden. Gefordert wird ein Verbot der Herstellung und Verbreitung „gewaltfördernden Computerspiele“.
Unsachlich war der Streit um die Wirkung von „Killerspielen“ bereits vergangenes Frühjahr geworden. „Diese sogenannten Medienpädagogen reden fast alle Stuss, weil sie von Softwarekonzernen finanziert werden“ meinte damals Manfred Spitzer. Der Psychiater kann als Fundamentalist in Sachen Jugendliche und Medien gelten. Ginge es nach ihm, müsste beispielsweise Gewalt „verteuert“ werden, indem „Gewaltmedien“ mit einer Extra-Steuer belegt werden. Im Herbst 2008 sammelten sich diejenige Fraktion von Forschern und Politikern, die einen unmittelbaren Zusammenhang von „Killerspielen“ und Gewaltbereitschaft von deren Spielern als erwiesen ansehen. Auf einer recht einseitig besetzten Konferenz in München traf man sich unter dem Motto Computer und Gewalt. In diesem Umfeld dürfte auch der Aufruf entstanden sein.
Den haben zahlreiche Wissenschaftler unterzeichnet, viele davon offenbar aus dem Kreis der Friedensbewegung; vorneweg Maria Mies, eine renommierte Soziologin, Feministin und Globalisierungskritikerin, die ehemals an der Fachhochschule Köln lehrte. Neben Lokalpolitikern und attac-Mitgliedern findet sich auch Christian Pfeiffer unter den Unterzeichnern. Der ehemalige SPD-Justizminister Niedersachsens leitet dort nun das Kriminologische Forschungsinstitut, eine als eingetragener Verein außeruniversitäre Einrichtung. Wie Spitzer ist er einer der Protagonisten in der seit Jahren anhaltenden kontroversen Debatte.
„Köln ist ein Mekka der Computerspielindustrie. Deswegen entwickelte sich gerade dort ein starker Protest gegen Gewaltspiele und gegen die ihre Wirkung verharmlosende Forschung der von Electronic Arts geförderten Kölner Fachhochschule“, erklärt der Kriminologe. Von Monokausalität könne man zwar nicht sprechen, aber die Risiken für jugendliche Spieler von „Killerspielen“ würden in Sachen Gewaltbereitschaft, schlechten Schulleistungen sowie Spielabhängigkeit zunehmen. „Man hätte im Aufruf ordentlicher differenzieren können zwischen Computerspielen“, gesteht Pfeiffer ein. „Es gibt durchaus nützliche Spiele.“ Auch hätte er gern die Mitverantwortung der Eltern an der „Medienverwahrlosung“ mehr betont gesehen. Von einem Wissenschaftsstreit will der Forscher nicht sprechen: „Was viele Medienpädagogen machen, würde ich nicht Wissenschaft nennen; die Thesen dieser Kollegen beruhen nicht auf solide durchgeführter empirischer Forschung, sondern stellen sich als schlichte Meinungen dar.“
Auf Seiten der angegriffenen Medienpädagogen versucht man sachlich zu bleiben. Norbert Neuß, Vorsitzender der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK – Dachverband der Medienpädagogen) sprach in einem Interview von dem Aufruf als „moralischen, emotionalisierenden Hilferuf“, der in seiner Rigorosität „in Sprache, Form und Forderungen“ problematisch sei. Aus Sicht der Spieler, die laut dem Aufruf „zu Tötungsmaschinen auf den virtuellen und realen Schlachtfeldern dieser Welt abgerichtet werden“, könne man nur mit Ablehnung reagieren. Eine Versachlichung der Debatte wäre anzuerkennen, dass die kritisierten Spiele keine Jugendfreigabe hätten. Generell sei „zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen zu unterscheiden, wie es der Kölner Aufruf aber nicht tut“, so Neuß.
In einer vorhergehenden Replik seitens der GMK-Vorstandes enthält man sich der Polemik nicht ganz. Handelt es sich bei den Gewaltspielgegnern um „neue Bilderstürmer“ fragt man. Durchaus, so ist man überzeugt, gebe es einen Wissenschaftsstreit – keineswegs sei eindeutig bewiesen, dass Bildschirmspiele bei Kindern und Jugendlichen aggressives und gewalttätiges Verhalten auslösen. Weiter zeigt sich die GMK erschreckt über die „Diffamierung von Andersdenken“. Auch würde ein komplexes Thema auf „einfachste Erklärungsmuster und Handlungsstrategien“ verkürzt. Letztlich zeuge es von einer „historischer und kulturellen Kenntnislosigkeit.“ dem Genre Computerspiel pauschal abzusprechen, ein „Kulturgut“ sein zu können.
Richtiggehend empört man sich bei der GMK über folgende Passage in dem Computergewalt-Papier: „Der „Spielraum“ unserer Kinder und Jugendlichen entspricht der Wirklichkeit des Kampfes von Soldaten in den völkerrechtswidrigen Kriegen z.B. im Irak und in Afghanistan. Vor genau solchen Zielmonitoren sitzen Panzer-, Flugzeug- und Hubschrauberbesatzungen und schießen wirkliche Menschen einzeln ab – gelernt ist gelernt.“
Unverblümt wird hier auf Institut Spielraum der FH Köln angespielt. Es ist eines der Zankäpfel in diesem Streit um „richtige“ Medienpädagogik, eben weil es durch die Spielehersteller Electronic Arts und Nintendo teilfinanziert wird – was allseits bekannt ist. Nicht zuletzt scheint der Zank aber auch auf jahrelang hochschulinterne Auseinandersetzungen zwischen besagter Soziologin Mies und ihren Mitarbeitern auf der einen Seite sowie den Sozialwissenschaftlern Jürgen Fritz und Winfred Kaminski zurückzugehen. Die beiden letzteren sind am „Spielraum“ beteiligt. Institutsmitarbeiter Horst Pohlmann meint angesichts des Aufrufs, dass „verwechselt wird, was wir eigentlich machen“. Es ginge darum, die „Medienkompetenz“ von Eltern, Pädagogen und Lehrern hinsichtlich der digitalen Spiele zu stärken. Seit die Finanzierung durch die Games-Industrie begonnen habe, würde an der FH überhaupt keine Wirkungsforschung in Sachen Computerspiele mehr betrieben, so Pohlmann.
Etwas weiter den Rhein hinauf sitzt Arne Busse, Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). In Bonn ist er im Referat für „politikferne Zielgruppen“ oft auch mit dem Thema Computerspiele beschäftigt. „Die BpB veröffentlicht keineswegs, wie in dem Aufruf behauptet wird, medienpädagogische Beiträge, die offen für Gewaltspiele werben“, meint der Kulturwissenschaftler und nennt beispielsweise die Psychologin Ingrid Möller, die in einem Beitragfür die BpB schreibt: „Klar ist, dass ein Zusammenhang zwischen Gewaltmedienkonsum und der Aggressionsbereitschaft der Nutzer besteht.“ Deutlich weist Busse die Vorwürfe des Kölner Aufrufs zurück, welcher der dem Bundesinnenministerium zugehörigen Behörde „Desinformation“ unterstellt.
Wie Krieg zur Popkultur wird und welche Rolle ein kleiner Teil der jährlich zahlreichen neuen Games dabei spielt, ist ein diskussionswürdiger Aspekt. Sieht man Spiele wie „Call of Duty 4“, in denen der Spieler in einem Level aus Sicht einer ferngelenkten Drohne das Feuer auf Menschen und Fahrzeuge richten muss, sticht die frappierende Ähnlichkeit zur Optik von Militärvideos ins Auge. Diese machen sich auch aktuelle Filme aus Hollywood zu eigen, etwa „Eagle Eye“ oder „Body of Lies“. Handelt es sich hierbei um die Konditionierung des Einzelnen sowie der Formierung einer Gesellschaft für kriegerisches Handeln? Darüber ließe sich streiten, doch die Verfasser des Kölner Aufrufs vertun die Chance, über einen ernsthaften Denkanstoß Beachtung zu finden.
(Telepolis, 2.2.09)