Manche von ihnen waren absonderliche Zeitgenossen. Tausende Schallplatten reihten sich bei den Sammlern in den Regalen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fanden sie auf Anhieb die seltensten Aufnahmen. Heutzutage trägt, so scheint es, jeder umfangreiche MP3-Musikbibliotheken in der Jackentasche mit sich. Wie selbstverständlich wird die eigene Medien-Sammlung anderen im Internet zur Verfügung gestellt. Ist dieses „Tauschen“ von Daten mit völlig Unbekannten Rechteklau oder solidarisches Handeln? Und ist es „digitale Solidarität“, wenn zahllose unentgeltliche Arbeitsstunden in Projekte wie das Online-Lexikon Wikipedia fließen? Jedenfalls haben immer größere Festplatten und günstigere DSL-Flatrates das Hamstern von Musik- und Videodateien zu einem Breitensport werden lassen. Die so genannten Tauschbörsen verursachen tagsüber 30 Prozent, nachts fast 80 Prozent des Datenverkehrs im Internet, heißt es. Im Englischen spricht man von Filesharing, dem Teilen von Daten, meist mittels“Peer-to-Peer“, P2P-Netzwerken (peer: Ebenbürtiger). In denen findet sich alles, was sich digital vervielfältigen und dessen Kopierschutz sich knacken lässt. Recht auf Privatkopie? Dahinter stecke eine „Geiz ist geil“-Mentalität, meint Ronald Schäfer. Er leitet die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, GVU. Der eingetragene Verein wird von rund 80 Firmen der Filmbranche und Softwareherstellern finanziert. „Das Problem ist, dass ‚geistiges Eigentum‘ entgegen dem physikalischen Eigentum einen wesentlich niedrigeren Stellenwert hat“, stellt Schäfer fest. Die P2P-Nutzer/innen beharrten auf einem falsch verstandenen „Recht auf Privatkopie“. Sie bildeten sich ein, ihr Handeln sei gerechtfertigt, da sie die Dateien ja nur „tauschen“ würden. Doch entstünden durch die zahllose Missachtung des Urheberrechts Schäden in Millionenhöhen für die Künstler/innen, Autoren/innen und Firmen. Tatsächlich ist die Möglichkeit, Geld zu sparen, eine wichtige Motivation des Filesharing, zeigen Untersuchungen an US-Universitäten. Aber nicht nur, so geht es auch darum, etwa auf diesem Weg neue Musik kennen zu lernen. Nicht wenige lehnen aber auch den Gedanken des „Copyrights“ als Ganzes ab, da von ihm nur die Konzerne profitieren würden. So lautet auch die Haltung der Betreiber einer der bekannten P2P-Websites: Thepiratebay.org. Der Name spielt offensichtlich auf „Anti-Softwarepiraterie“-Organisationen wie die GVU an. Anscheinend fühlen sich manche Filesharer wirklich wie Freibeuter/innen auf dem Datenmeer, die den großen Medienunternehmen ein Schnippchen schlagen. Normale Tauschbörsennutzer/innen dagegen wollen gar nicht Piraten/innen sein, vielmehr greifen sie oft auf eine schlichte Rechtfertigung zurück: Alle anderen würden ja auch „downloaden“. Demnach könnte man denken, Filesharing sei eine Art weit verbreiteter „ziviler Ungehorsam“. Doch wird nicht aus Protest wissentlich gegen Gesetze verstoßen, sondern aus einem ausgeprägten Eigeninteresse daran, die private Festplatte gut zu bestücken. So hat P2P wenig mit Solidarität zu tun; man könnte höchstens von einem selbst organisierten Vertriebskanal von Medieninhalten sprechen. Anders sieht es mit dem Bereich „Freie Software“ und „Open Source“ aus. Hier solidarisieren sich Gruppen von Menschen, die unter dem Aufhänger „Open Access“ über das Internet an Projekten zusammenarbeiten: Freier Zugang zu Wissen und Information muss für alle möglich sein. Berühmte Beispiele für diese Haltung sind das Betriebssystem Linux und die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia, an denen tausende Menschen unentgeltlich mitarbeiten. Doch ist es nicht nur Selbstlosigkeit, die zur Mitarbeit motiviert. Aus Befragungen von Wikipedia-Autoren/innen ist bekannt, dass es ihnen nicht nur um die Sache geht. Wichtiger Anreiz für die Mitarbeit ist, durch die eigene Leistung und das eigene Können Anerkennung von der Gruppe zu bekommen – so funktioniert jedes „Ehrenamt“. Kreative Weltverbesserer „Man kann hier nicht gleich von Solidarität sprechen“, meint John Hendrik Weitzmann. Man überdehne den Begriff sonst durch zu häufige Verwendung. Der Rechtsinformatiker von der Universität Saarbrücken ist Projektleiter von Creative Commons Deutschland. Diese internationale Initiative hat eine alternative Lizenz zum klassischen Copyright entwickelt: Die Urheber/innen, sei es eines Buches, Films oder Musikstücks, können den Konsumenten/innen verschiedene Rechte einräumen. Sie gestatten die Weitergabe unter ihrer Namensnennung oder erteilen sogar die Erlaubnis, ihr Werk verändern zu dürfen. In Zeiten digitaler Medien und des Internets könne man somit den Austausch und die Kreativität fördern, meinen die Creative-Commons-Macher. „Manche mögen diese Lizenzen aus einem Solidaritätsgedanken einsetzen“, vermutet Weitzmann, andere würden einfach anderen helfen wollen. Und nicht wenige hoffen, auf diese Weise ihre Werke verbreitet oder sogar verändert zu sehen. Eine spezielle „digitale Solidarität“ scheint es also nicht zu geben. Vielleicht ließe sich als so etwas die Unterstützung von zensierten burmesischen Bloggern/innen bezeichnen, auf deren Schicksal man auf der eigenen Website aufmerksam macht. Letztlich bringt das Internet aber keine neue solidarische Qualität, ist aber je nach Nutzung ein nützliches Werkzeug für Solidarität.
(Text auf fluter.de)