Ein Friedensmarsch gegen den Krieg im Irak. „Avatars against the War!“ steht auf den Schildern, mit denen über 100 Demonstranten/innen aus den USA, Kanada und einigen europäischen Ländern durch die Straßen ziehen. Halt! „Avatare gegen den Krieg?“
Klar, wir befinden uns in der virtuellen Welt, genauer gesagt im Second Life, der dreidimensionalen Simulation der kalifornischen Firma Linden Lab. Mehr als 2,5 Millionen Internet-Nutzer/innen „leben“ zurzeit als „Avatare“ ein zweites, virtuelles Leben. Diese Demonstration gegen die Kriegspolitik der USA im Februar diesen Jahres war nicht die erste politische Auseinandersetzung aus der realen Welt, die ins Second Life getragen wurde.
So demonstrierten Aktivisten/innen gegen die virtuelle Parteizentrale der französischen rechtsextremen Partei Front National und auch den G8-Gipfel in Heiligendamm thematisierten die Avatare. Doch nicht nur im Second Life tummeln sich politische Aktivisten/innen. Die Tastatur wird seit einigen Jahren für Kampagnen und Online-Demonstrationen genutzt. So gab es Demonstrationen gegen den Klimawandel, einen Netzstreik gegen Softwarepatente, die Blockade der Lufthansaseiten und eine Aktion gegen Rechte in den Berliner Bezirksparlamenten.
Sit-ins und Blockaden
Dieter Rucht, Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), beurteilt die Funktion des Internets kritisch. Politische Kommunikation spiele im Internet nur eine sehr untergeordnete Rolle, die Angebote machten nur etwa 0,5 Prozent des Datenverkehrs aus. „Das Internet hat vor allem einen beschleunigenden Effekt bei der Vernetzung von schon aktionsbereiten Aktivisten. Ich glaube nicht, dass über das Internet viele neue Aktivisten mobilisiert werden können. Außerdem ist zu bedenken, dass ja auch die Gegenseite das Internet nutzt. So ist es der Polizei ein Leichtes, bestimmte Mailinglisten zu überwachen.“
Erstmalig fand eine Demonstration im Internet am 21. Dezember 1995 statt. Die Gruppe Strano Network rief zu einem virtuellen Sit-in auf den Seiten der französischen Regierung auf, um gegen die Atomtests auf dem Pazifikatoll Mururoa zu protestieren. Große Auswirkungen hatte die Aktion nicht, zu wenigen war das Internet vertraut und als Aktionsort war es völlig neu. Die erste Online-Demonstration in Deutschland organisierten 2001 die Initiativen Libertad! und kein mensch ist illegal gegen die Abschiebepraxis der Lufthansa. Über 13.000 Menschen beteiligten sich, die Webseite des Konzerns war innerhalb der zweistündigen Blockade knapp zehn Minuten nicht erreichbar. Der eigentliche Erfolg der Aktion lag jedoch darin, dass durch die öffentliche Mobilisierung das politische Anliegen in allen Medien thematisiert wurde.
Doch Blockaden sind nicht jedermanns Sache. Die Initiative Campact, die Ende 2004 ihre erste Kampagne über das Internet startete, sieht solche Aktionen kritisch. „Es ist auf jeden Fall nicht die Aktionsform, die Campact wählt“, so Günter Metzges, einer der Sprecher des Netzwerkes. „Wir wollen den Diskurs. Wir wollen, dass Politiker auf Bürgeranfragen reagieren, ihre Politik begründen und verteidigen. Da sind Blockadeaktionen nicht hilfreich.“ Campact will möglichst viele Menschen für Politik an sich begeistern. 39.000 sind aktuell für den Newsletter eingeschrieben und erhalten so Informationen über Kampagnen. Angeboten werden Aktionsmöglichkeiten wie Protestemails oder Unterschriftenlisten per schnellem Klick. Einfach nur zeitgemäßer findet der Politologe Aktionen im Internet aber nicht: „Sie ergänzen alle anderen Formen der zivilgesellschaftlichen Arbeit. Bürgerprotest über das Internet kann eine Form des Massendiskurses schaffen.“
Virtueller Widerstand
Ob eine Kampagne erfolgreich ist, lässt sich nach Meinung von Metzges schlecht messen. Dennoch ist er überzeugt, „dass zum Beispiel die Gentechnikkampagne gemeinsam mit Umwelt-, Verbraucher- und Bioverbänden ein wichtiger Beitrag gegen eine Verwässerung der Haftungsregeln im deutschen Gentechnikgesetz war“. 19.230 Internetnutzer/innen haben sich bereits an der E-Mail-Aktion für den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft beteiligt. Von solchen Zahlen können Demo-Veranstalter/innen nur träumen.
Und wer denkt, alleine vor dem Computer zu demonstrieren sei langweilig, dem seien die Vorteile, die ein Teilnehmer im Internet beschreibt, nahe gelegt: „Ich nahm mir nach Jahren wieder vor, auf eine ‚Demo‘ zu gehen. In Ruhe konnte ich mir während der ersten Megabytes in der Küche Cappuccino, Frühstücks-Ei und Stullen machen. So kurz nach zehn – ich hatte den Kaffee gerade halb getrunken – luden einige der sieben Frames, in denen die Lufthansa-Startseite immer wieder aufgerufen wurde, nicht vollständig. Ein Erfolgserlebnis!! Während der Schokoschmiere- und der Erdbeerkonfitürestulle kam es zu weiteren Verzögerungen (…) Leider war ich nun nicht mehr ganz so frisch, denn ich ratzte wieder ein. Später kam die Meldung, dass die Lufthansa ‚einige Zeit zum Teil nicht erreichbar‘ war – toll! Ich habe demonstriert und etwas erreicht!“