25.08.2007
Auf der Games Convention leidet das Thema Computerspiele und Schule an der Killerspiele-Debatte
Auf Europas größter Spielemesse in Leipzig hat diesmal der Bildungsbereich eine eigene Halle abgekommen. Auf einem „Lehrertag“ zeigte sich dann, warum Computer- und Videospiele bei Lehrern keine guten Karten haben. Nicht zuletzt die Gewaltdebatte, die ein ZDF-Politmagazin pünktlich zu Messe anheizte, spielt eine wichtige Rolle. Aber auch das Angebot von geeigneten Spielen für den Unterricht ist gering.
Manch einer nennt ihn den Ronald Barnabas Schill der Jugendgewaltforschung. Der alarmistische Geist des Leiters des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer, schien über der Messehalle 5 der Games Convention zu schweben. Hier teilt sich mit dem Bereich „Art“ die Abteilung „Family“ die Halle – es geht um Lernsoftware, Medienpädagogik und Jugendschutz.
Kurz vor dem Beginn der Messe in Leipzig brachte das ZDF-Politmagazin Frontal 21 einen Beitrag Computerspiele: Töten am Bildschirm. In ihm wird durchweg positiv über die umstrittene Studie des KFN ( Killerspiele in der Diskussion) zu Medienkonsum und Jugendgewalt berichtet. Pfeiffer darf am Ende dann noch die Wissenschaftler des Forschungsschwerpunkts Wirkung Virtueller Welten der Fachhochschule Köln unterstellen, dass sie quasi im Auftrag von Spielherstellern arbeiten würden: „Die haben ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Wenn sie ihr Geld von denen beziehen, die ein Interesse daran haben, dass solche Art von Computerspielen verharmlost werden. Also von daher kann sie niemand wissenschaftlich ernst nehmen. Das bedauerliche ist aber, dass Schulen und Eltern das nicht wissen“, sagte Pfeiffer im ZDF.
Tatsächlich wird das erst vergangenen Winter gegründete Institut zur Förderung von Medienkompetenz – Spielraum von Nintendo und dem größten Spielhersteller der Welt, Electronic Arts, gesponsert. Tanja Witting, die Koordinatorin des „Spielraums“ betont aber, dass die Forschung zum Thema an der Fachhochschule Köln aus anderen Töpfen bezahlt und komplett unabhängig sei. Pfeiffers Ausführungen will sie nicht kommentieren; sie sagt nur, dass man sich beim ZDF beschweren werde. Ohne Drittmittel der Spieleindustrie, ergänzt sie, wäre es für die Mitarbeiter in ihrem Institut gar nicht möglich, durch die Lande zu reisen. Dabei ginge es primär um Aufklärungsarbeit darüber, wie Jugendliche Computerspiele nutzen – die Vermittlung von Medienkompetenz wäre in manchen Bundesländern noch nicht einmal zwingender Bestandteil der Lehrerausbildung.
Kein Wunder, dass am Donnerstag wenig Lehrkräfte den Weg zu dem Lehrertag mit Vorträgen und Workshops zu finden scheinen. Dabei ist in den umliegenden Bundesländern ein Besuch des Bildungsforums der Messe als Fortbildungsmaßnahme anerkannt. Vor anfangs spärlich besetzen Reihen beginnt Tanja Witting dann einen Vortrag über „Chancen und Risiken von Computerspielen aus pädagogischer Sicht“. Sie spricht vom „Knackpunkt Generationenverständnis“ und geht indirekt auf besagten ZDF-Beitrag ein, der zahlreiche Metzelszenen aus Computerspielen zeigt: Wenn man selbst noch nie so ein Spiel ausprobiert habe, würde man bei der reinen Betrachtung von Standbilder oder Filmausschnitten aus den Computerspielen die Interpretationsmuster, die man vom Fernsehen kennt, anwenden, meint Witting. Doch das Spielerlebnis funktioniere gänzlich anders: Die Spieler folgen einem Regelwerk – ähnlich der Vorgaben bei „Mensch-ärgere-dich-nicht“ wird nicht gefragt, warum diese oder jene Aufgabe erfüllt werden müsse – man lässt sich auf ein Szenario ein.
Problematisch sei allerdings, fährt Witting fort, dass im Gegensatz zu Brettspielen statt abstrakten Spielfiguren oft menschenähnliche Figuren „geschlagen“ werden müssten. Neben den stereotypen Darstellungen der Geschlechter in Spielen sei auch zu kritisieren, dass als einzige Konfliktlösungsstrategie der Kampf angeboten werde. Welche Konsequenz sei daraus zu ziehen, wenn das Erlebnis der digitale Spiele sich so von der reinen Betrachtung unterscheide, fragte ein Lehrer aus Oberhausen, der neben der Forscherin auf dem Podium sitzt. Er antwortete gleich selbst: „Dann müssen wir die auch spielen“. Erst dann könne man verstehen, warum sie die Jugendlichen so fasziniert.
Entgegen der Bundeswehr, die sich mitten im Messetrubel als Abenteuerorganisation präsentiert, haben sich Institutionen wie die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK oder die Gesellschaft für Urheberrechtsverletzung GVU lieber in der Halle 5 niedergelassen. Deren eine Hälfte steht leer und ist abgetrennt, aber auch die Stände im gangbaren Teil sind vergleichsweise verwaist – kein Gedränge, kein Lärmpegel an der Schmerzgrenze. Während in der einen Ecke alte Konsolen, Computerkunst und Machinima präsentiert werden, bieten auf dem Rest der Fläche diverse Softwarehersteller ihre Vokabeltrainer sowie zahlreiche Lernprogramme für Kinder feil. Die erinnern meist mehr an klassisches Lernspielzeug und haben wenig mit den opulenten Titeln der Unterhaltungsindustrie zu tun. Doch Lernspiele für über 10-12 Jährige findet man eigentliche keine. Nichts zu sehen, von den „Serious Games“ und „Educational Gaming“ mit denen sich in den angelsächsischen Ländern zahlreiche Forscher und Pädagogen beschäftigen.
Nur am Stand der Bundeszentrale für politische Bildung wird ein „ernstes Spiel“ gezeigt: „Im Zentrum der Macht“ ist der dritte Teil der viel gelobten Genius-Reihe von Cornelsen, einem bekannten Schulbuchverlag. Wie in den anderen Teilen geht es um eine Stadtaufbauspiel á la Sim City mit einer bestimmten thematischen Komponente. Im dem für Herbst geplanten Titel muss man sich als Lokalpolitiker in seiner Partei nach oben arbeiten – für Bauvorhaben müssen Mehrheiten gefunden werden und es gilt, Wahlen durch entsprechenden Versprechen zu meistern.
Neben dem schwachen Angebot an geeigneten Titel für ältere Schüler, bringt Margit Fischbach einen weiteren Aspekt ein, warum Computerspiele an Bildungsstätten wenig als Lernmedium genutzt werden. Sie hat vor zehn Jahren die Zentralstelle für Unterrichtsmedien ( ZUM) ins Leben gerufen, die mittlerweile mit einem umfassenden Angebot ihrem Namen gerecht wird. Es sind nicht nur die oft alten Lehrer, die selber noch nicht am Rechner oder Konsole gespielt haben oder eine schlechte Rechnerausstattung der Schule – vielmehr, so die Oberstudienrätin, sei es schlicht eine Zeitfrage: Für ein Computerspiel brauche man eine Menge Zeit, die habe man im Unterricht nicht.