Im Township Langa bei Kapstadt triumphiert noch die soziale Apartheid
In Südafrika gibt es am 14. April die dritten Wahlen zur Nationalversammlung seit dem Zusammenbruch des Apartheid-Regimes. Präsident Thabo Mbeki hat als Nachfolger Nelsons Mandelas in den vergangenen Jahren alles getan, den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) in der politischen Mitte zu verankern. Dies geschah gegen den Widerstand der großen Gewerkschaften Südafrikas, die ihm vorwerfen, mit seiner Politik vieles von dem schuldig geblieben zu sein, was die Bewegung einst zugunsten der schwarzen Mehrheit bewirken wollte.
Auf der Stadtautobahn von Kapstadt gibt es stadtauswärts nur eine Abfahrt nach Langa. Ein anderer Zubringer existiert nicht, noch immer wird die Stadt von einer Infrastruktur der Apartheid geprägt. Autobahnen, Bahntrassen und Zäune trennen die vier Millionen Einwohner als Klassen voneinander – etwa 80.000 davon leben in der Innenstadt, der Rest verteilt sich auf die Townships.
Direkt hinter zwei Kühltürmen, die weithin sichtbar die Grenze zwischen dem schwarzen und dem weißen Biotop der Metropole markieren, beginnt Langa, übersetzt „die Sonne“. Dieser älteste Township Kapstadts entstand zwischen 1921 und 1927 und wurde seinerzeit für etwa 80.000 Industriearbeiter gebaut, heute wohnen hier 250.000 Menschen, Tendenz steigend. An der Ortseinfahrt bestimmen in Langa Steinhäuser das Bild, klein, oft farbig, mit Vorgarten und Zaun. Etwas weiter oben an der Hauptstraße steht das Community Center Guga s´Thebe, ein mit Mosaiken verziertes Haus, in dem verschiedene soziale Projekte arbeiten, deren Angebot bis zu Schauspielkursen reicht.
Dem ANC Zeit lassen
Gertrude Ngxizele sitzt in einem der Räume und näht. Eine kleine, energische Frau. „Die Menschen hier sind extrem ungeduldig, sie wollen alles viel zu schnell. Ich bin nicht enttäuscht von der Regierung und wähle deshalb am 14. April wieder den ANC“ Dieser Meinung schließt sich Dumile an, der groß und gelassen an der Bürotür lehnt. „Sehen Sie, dass Apartheidsystem hat in den vielen Jahrzehnten, die es existierte, so viel Schaden angerichtet, wie soll da eine neue Regierung in nur zehn Jahren für alles aufkommen?“ Auch wenn im Western Cape, der Provinz rund um Kapstadt, die nationalkonservative New National Party (NNP) noch immer eine wichtige Rolle spielt, die Mehrheit in dieser Region steht zum ANC.
Dafür nicht
In Langas Mitte warten am Busbahnhof unzählige Minibusse auf Mitfahrer. Wer sich glücklich schätzen kann und einen Job in der Stadt hat, muss täglich eine lange und teure Tour hinter sich bringen. So zahlt eine Haushaltshilfe für den Weg zur Arbeit und zurück 20 Rand, während sie pro Tag lediglich 100 (ca. 15 Euro) verdient. Doch niemand kann sich diesen Konditionen entziehen, die Erwerbslosigkeit im Township liegt offiziell bei 40 Prozent. In Rufweite des Busbahnhofs liegt die Zimasa Primary School. Ein Stein auf dem Hof erinnert an den Neubau des Komplexes 1996. Im Schatten der Gebäude sitzen mehrere Frauen und verkaufen Mittagessen an die Schüler. Es gibt Suppe und Brot mit Marmelade. „Wählen?“ sagt eine von ihnen, „ich wüsste nicht wen, alles ist nur schlechter geworden. Niemand findet mehr Arbeit. Dafür haben wir nicht gekämpft.“
In den Klassenräumen müssen oft bis zu 50 Kinder unterrichtet werden. „Wir versuchen vor allem Lebensorientierung zu geben, eine fast unmögliche Mission“, glaubt die Lehrerin Pam Basse. „Unsere Kinder wachsen zwischen Armut und Gewalt auf. Schießereien und Vergewaltigungen gehören dazu. Ich erinnere mich an eine zehnjährige Schülerin, deren Vater ermordet wurde, auch ihr Onkel wurde erschossen, dann ist sie eines Tages selbst in eine Schießerei geraten. Sie blieb unverletzt – wer sollte sie nach solchen Erfahrungen noch auffangen?“
Vor einigen Tagen hat es in Joe Slovo, einem Bezirk des Townships, gebrannt. Zehn Menschen kamen in den schnell um sich greifenden Flammen ums Leben, über tausend Hütten sind komplett zerstört worden. Präsident Thabo Mbeki hat den betroffenen Familien sofort jeweils 500 Rand (ca. 80 Euro) versprochen. Doch Material zum Wiederaufbau gibt es nicht, denn die Regierung sähe es lieber, die Betroffenen würden umziehen. Nur wohin? Rund 1,5 Millionen Ein-Familien-Häuser wurden zwar seit 1994 dank staatlicher Investitionen gebaut, trotzdem wachsen die Squatter Camps. In diesen „informellen Siedlungen“ stehen die Hütten aus Holz, Plastikplanen und Wellpappe eng verschachtelt. Oft teilen sich bis zu 15 Personen einen 15 Quadratmeter großen Raum, der eng, staubig und nachts verdammt kalt ist. Auf kleinen Höfen in den Camps backen Frauen Brot am offenen Feuer oder waschen ihre Kleider wie seit Urzeiten.
Hier wohnt auch Veronique Ngobo. Die 23-Jährige war vor zehn Jahren das erste Mal schwanger. Selbst noch ein Kind, verließ sie die Schule und lebte mit ihrer Tochter bei der Familie. Der Vater wollte ihr nicht helfen und tauchte in der Drogenszene unter. Die junge Mutter war und blieb überfordert. Veronique ist HIV positiv, doch Medikamente kann sie nicht bezahlen. „Ich ernähre mich gesund und vermeide es dadurch, krank zu werden“, lächelt sie. Ihre zehnjährige Tochter Nezisa hat sie seit Tagen nicht mehr gesehen. „Sie lebt bei Freunden und manchmal auf der Straße, sie hat sich von mir abgewandt, obwohl sie weiß, wie gefährlich es da draußen sein kann … “ Trotz ihrer Krankheit und der Angst um die Tochter, hat Veronique die Hoffnung nicht aufgegeben: „Ich versuche weiter, ein eigenes Haus zu bekommen, in dem ich mit meinem Kind leben kann. Dann will ich auch wieder in die Schule gehen.“ Dass ihre Tochter erneut mit ihr leben wird, ist Teil dieser Zukunftserwartung. Arbeitslosigkeit, Armut, AIDS – die drei großen A Südafrikas bestimmen auch den Wahlkampf. Zwar gehen die Prognosen davon aus, dass mindestens sechs von zehn Südafrikanern den ANC wählen.
Aber die Regierung steht unter erheblichem Druck, denn bis 2014 will sie die Armut halbiert haben. Sie verspricht mehr Häuser, für jeden Zugang zu Wasser und Strom, bessere Gesundheitsversorgung und mehr Schulen. 48 Prozent des Staatsbudgets werden für Bildung, Gesundheit und Soziales ausgegeben. Dank dieser Politik verfügen 80 Prozent der Haushalte inzwischen über Zugang zu sauberem Wasser, werden 70 Prozent mit Strom versorgt statt der 30 Prozent vor zehn Jahren, als der ANC antrat. Nirgendwo sonst gibt es das in Afrika. Bei alldem konnte die Ausbreitung von AIDS bis heute nicht eingedämmt werden. Zwischenzeitlich sind 40 Prozent der Todesfälle von Erwachsenen in Südafrika auf die Immunschwäche zurückzuführen, was auch wirtschaftlich empfindliche Konsequenzen heraufbeschwört: Einer Weltbankstudie zufolge wird dadurch möglicherweise das Bruttosozialprodukt in den nächsten Jahren um bis zu 17 Prozent sinken.
Einen Augenblick lang
Dennoch feiert Südafrika in diesen Tagen seine politische Freiheit. Am 21. März, dem Tag der Menschenrechte, strömen Tausende ins Atlone Stadium, dem einzigen in den Townships von Kapstadt. Draußen gibt es einen grellen Karneval, drinnen Musik und Reden, mit denen der Kämpfe zur Befreiung gedacht wird. Western Cape Premier Marthinus von Schalkwyk (New National Party) meint in seiner Rede, zu viele Menschen glaubten, Tage wie diese seien nur eine gute Entschuldigung, um Ferien zu haben. „Sie liegen falsch, die Koalition aus ANC und unserer Partei weiß, was Menschenrechte und Freiheit bedeuten – die Freiheit eines Kindes, ohne schmerzenden Hunger zu spielen und zu lernen. Die Freiheit der Mutter, über die Straße zu gehen, ohne Angst vor einer Vergewaltigung.“ Der Applaus für diese Worte täuscht für einen Augenblick darüber hinweg, dass diese Ängste noch immer berechtigt sind.