Schwierige Rückkehr aus dem Krieg gegen die Apartheid

Kapstädter Friedenszentrum konfrontiert Besucher mit der Realität in den Townships

Rundfahrten durch die Townships von Kapstadt gehören heute zum festen Touristenprogramm. Kontakt mit den Bewohnern: Fehlanzeige. Das „Direct Action Center for Peace and Memory“ fordert stattdessen Begegnung.

„Einige von euch werden sich heute das erste Mal in ihrem Leben als Weiße fühlen“, beginnt Yazir die Runde. Dabei habe ich mich ohnehin nie weißer gefühlt als in Südafrika. Wir sitzen zu fünft in einem kleinen Büroraum von WECAT (Western Cape Action Tours) im sechsten Stock eines 70er-Jahre-Bürokastens in Kapstadt. Vor uns liegt eine Tour in die Capeflats, eine Fahrt der Erinnerung an die Kämpfe gegen die Apartheid. „Keine Fotos aus dem Bus heraus! Fragt die Menschen immer vorher, ob es okay ist, ein Foto zu machen.“ Was selbstverständlich sein sollte, zeigt uns, dass viele Touristen das koloniale Gehabe nicht abgelegt haben. Denn es ist angesagt in Kapstadt, sich die Capeflats anzuschauen, die Armensiedlungen der Schwarzen – aus dem sicheren Bus heraus werden Fotos geschossen.

Schmerzhafte Geschichte zum Anfassen

Auch wir werden später auf Hotelbusse treffen, gefüllt mit Touristen, denen gesagt wurde, es sei sicherer, nicht auszusteigen. Mit diesen Touren hat WECAT nichts gemein. „Bei uns geht es auch nicht um die rosaroten Geschichten, wie toll sich unsere Stadt entwickelt hat seit dem Ende der Apartheid. Unsere Grundlage ist die Begegnung. In dem Moment, wenn Besucher zu uns kommen, sind sie Teil dessen, eine schmerzhafte Geschichte zu bearbeiten. Wir sind eine Alternative zur Alternative.“

Yazir Henri ist einer der Gründer des Projekts. 1997 gründeten ehemalige Kämpfer von Umkontho We Sizwe, dem militärischen Arm des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), das Direct Action Center. WECAT ist die Abteilung, die die Touren organisiert. Wer kommt, das sind Touristen aus Europa, aber auch Südafrikaner. „Die Gemeinsamkeit liegt darin, dass Menschen kommen, die wirklich etwas wissen wollen, die Verantwortung übernehmen, die sich eine bessere Welt wünschen.“

Bis zum ersten Halt fahren wir nur ein kurzes Stück: Der District Six liegt im Herzen Kapstadts. 60000 Menschen wurden 1960 von hier in die umliegenden Townships vertrieben, weil die Machthaber eine „White area“ schaffen wollten. Das gelang ihnen nie, ein großer Teil des Geländes lag all die Jahre brach, nachdem die Bulldozer Häuser und Straßen zerstört hatten. Seit zwei Jahren baut die Regierung hier neue Häuser. Ihre bunten Mauern heben sich von der tristen Umgebung ab. Die ersten ehemaligen Bewohner sind bereits eingezogen. „Wenn ihr das nächste Mal kommt, werden hier vielleicht wieder Kinder auf den Straßen spielen“, sagt Malibongwe, unser Begleiter. Besonders hoffnungsvoll klingt er nicht.

Viele der jüngeren Generation wollen nicht zurück, während die Alten, die vertrieben wurden, wieder mit Blick auf den Tafelberg leben wollen. Wir nehmen die Autobahn, die noch immer das weiße und das schwarze Kapstadt trennt. In Athlone halten wir an einer Mauer, auf der schwach lesbar die gemalten Worte „Remember the Trojan Horse Massacre“ zu erkennen sind. Stundenlang fuhr hier im Juni 1985 ein Lkw die Straßen auf und ab. Irgendwann warf jemand einen Stein. Das war das Signal: Schwer bewaffnete Polizisten sprangen aus dem Laderaum. Sie erschossen drei Jugendliche bei dieser „Anti-Terror-Aktion“. Hier gibt es keine offiziellen Denkmäler, nur diesen Spruch an der Wand. So ist es mit allen Ereignissen, von denen hier berichtet wird.

Es sind Geschichten über Jugendliche, die ihren Kampf für Freiheit mit dem Leben bezahlen mussten. Wie die sieben aus dem Township Gugulethu, unserem nächsten Halt. Wir werden misstrauisch von den Umstehenden beäugt. Erst einige Worte unseres Begleiters entspannen die Lage. Was er gesagt hat, wissen wir nicht. Stattdessen erfahren wir, was an dieser unscheinbaren Straßenkreuzung vor 20 Jahren geschah: Die „Gugulethu 7“ wie sie später genannt wurden, gerieten hier in einen Hinterhalt und wurden im Rahmen einer „Anti-Terror-Aktion“ erschossen. Sie waren wütend, sie wollten etwas gegen das System unternehmen. Ihr Ziel war eine Polizeistation. Was sie nicht wussten: Der einzige Erwachsene in der Gruppe war ein Mitarbeiter der Geheimpolizei. Sie tappten in die Falle, wurden umzingelt und von 25 Polizisten erschossen. Heute erinnert nur ein kleines rotes Band an das furchtbare Geschehen von 1985. Die Mütter der Ermordeten haben ein offizielles, staatliches Denkmal abgelehnt, denn in einem ersten Prozess wurden die Täter freigesprochen. Später in der Wahrheitskommission, die von der neuen südafrikanischen Regierung eingerichtet wurde, um die Verbrechen der Vergangenheit aufzuarbeiten, baten nur zwei der beteiligten Polizisten um Vergebung. Eine der Mütter sagte bei einem Treffen mit dem schwarzen Spitzel: „Ich möchte vergeben, weil ich die Last loswerden möchte, die wir in uns tragen. Verantworten musst du dich vor Gott.“
Unser Begleiter Malibongwe bittet uns, im Gedenken an die Getöteten eine Minute zu schweigen. Vergeben kann er nicht, sagt er später. Für ihn war die Arbeit der Wahrheitskommission eine Farce – denn die Täter laufen noch immer ungeschoren herum, während sich das Leben der meisten Menschen in den Townships nicht verbessert hat. Mit jedem Erzählen wird auch die eigene Geschichte verarbeitet. Wie in Langa, dem ältesten Township, wo unser Begleiter an uns die rassistischen Gesetze der Apartheid demonstriert. „Krauses Haar, das einen Bleistift hält, bedeutet „Schwarz“, ansonsten wurdest du als „Farbiger“ eingestuft.“ Auch das ist Südafrika heute – ohne die rassistischen Bestimmungen aus der Apartheid kann die Vergangenheit nicht erklärt werden. Deshalb ist es auch keine Tour der interessanten oder lustigen Anekdoten, es ist spürbare Geschichte und es ist eine Auseinandersetzung mit dem Südafrika von heute.

Keine Qualifikation außer Wut

„Es ist die Geschichte des Widerstands, aber diese Geschichte geht weiter, die Menschen in den Cape-flats sind sozial und ökonomisch ausgegrenzt“, erklärt Yazir. „Wir sind in den Krieg gezogen, als wir Kinder waren. Die meisten unserer Mitglieder haben nie die Highschool besucht, sie sind nicht qualifiziert zum Beispiel für die New Economy, sie sind qualifiziert für den Krieg, weil es da keine Qualifikation braucht, außer Wut“, erzählt Yazir Henri. „Wir sprechen darüber, dominiert und entmenschlicht gewesen und darüber nicht zerstört worden zu sein. Es geht darum, die Verantwortung für das eigene Leben wieder zu übernehmen.“

Das Zentrum bietet ehemaligen Widerstandskämpfern ein Forum, mit dem Trauma des Krieges umzugehen. „Dabei geht es nicht im klassischen Sinne um Therapie. Wir sind keine Opfer und wollen auch nicht so behandelt werden, wir wollten das selbst in die Hand nehmen. Es geht auch darum, die soziale und ökonomische Grundlage des eigenen Lebens wieder in den Griff zu bekommen.“ Theoretisch gab es Unterstützung von der neuen südafrikanischen Regierung, praktisch hat es so einfach nicht funktioniert, weil viele Menschen keine klassische Erziehung hatten. Erst die jüngere Generation hat Chancen auf eine bessere Bildung, auch wenn die Schulen in den schwarzen Teilen der Stadt schlechter ausgestattet sind. „In den Capeflats liegt die Lebenserwartung teilweise bei Mitte 30, hier müssen wir intervenieren, auch wenn es schwer ist, aus dem Krieg in ein normales Leben zurückzukehren.“

Die Tour endet in Crossroads. Kleine feste Häuser stehen hier neben selbst gezimmerten Hütten. Der Müll wird nicht abgeholt. Plastiktüten und Papier fliegen über die noch nicht bebauten Flächen. Kinder spielen auf der Straße, täglich konfrontiert mit Armut und Gewalt. Wir dagegen werden zurück gebracht in das andere normale Leben – die überwiegend weiße Innenstadt Kapstadts, die noch immer durch Autobahn, Eisenbahnschienen und hohe Zäune getrennt ist von den Townships.

Zum Thema: www.dacpm.org.za