In Kolumbien leiden die Menschen unter einem jahrzehntelangen Krieg zwischen Paramilitärs, Guerilla und Armee. Um ein Zeichen gegen die schier endlose Gewalt zu setzen, haben sich die Bewohner von San José de Apartadó vor neun Jahren zur Friedensgemeinde erklärt. Doch die Neutralität schützt sie nicht vor Überfällen. Erst vor wenigen Tagen wurde ein weiteres Massaker angedroht. Ein Beitrag von Bärbel Schönafinger, Jörn Hagenloch und Markus Plate.
O-Ton Gemeindesprecher (Telefon)
Ohne Zweifel lebt die Gemeinde momentan in großer Angst aufgrund der Bedrohung, vor allem wegen des angekündigten Massakers. In San José haben Leute mitbekommen, wie Polizisten und Armeeangehörige über dieses Massaker an uns redeten und sie haben diese Information sofort an unsere Gemeinde weitergegeben. Es wurde gesagt, dass die Vorbereitungen dafür fast abgeschlossen seien und dass sie es so aussehen lassen wollten, als ob die Guerilla das Massaker begangen hätte.
Sprecher
So beschreibt ein Sprecher der Friedensgemeinde in eindinglichen Worten die Situation per Telefon. Seit über 40 Jahren wütet in Kolumbien ein bewaffneter Konflikt, bei dem es auch um Landbesitz und die Kontrolle von Territorien geht. Leidtragende sind die Bauern, die vor den Kampfhandlungen fliehen müssen und so oftmals ihr Land verlieren. Die Bewohner von San José de Apartadó entschieden sich vor neun Jahren, der Gewalt ihren Pazifismus entgegenzu-setzen. Das Konzept der Friedensgemeinde stammte von Erzbischof Isaias Duarte Cancino, der inzwischen selbst ermordet wurde. Ein Gemeindeführer beschreibt die Idee:
O-Ton Gemeindesprecher
Die Friedensgemeinde hat viele Aspekte, z.B. nimmt man in keiner Weise am bewaffneten Konflikt teil. Weder direkt noch indirekt. Man führt für niemanden Aufträge aus, gibt keine Informationen weiter und gehört in keiner Weise zum Konflikt. Der zweite Punkt ist, in Solidarität zu leben. Eine Gruppe von Menschen zu sein, die sich zusammentut in Solidarität miteinander, um von dieser Basis aus Strukturen und Alternativen zu entwickeln und gemeinsam aufzubauen.
Sprecher
Doch der Preis der Neutralität ist hoch. Bis heute wurden 165 Mitglieder der Friedensgemeinde ermordet. Nach Schätzungen von Menschenrechtsgruppen gehen 80 Prozent dieser Morde auf das Konto der Paramilitärs und der kolumbianischen Armee. Der Staat betrachte sie als Feinde, beklagen die Gemeindemitglieder.
O-Ton Frau im Zuckerrohr
Der Staat hat uns Bauern nie Schutz oder sonst etwas geboten. Er möchte nur die Zivilbevölkerung vernichten. Wir sehen dass es darum geht sich das Land anzueignen. Worum es ihnen immer geht ist: den Bauern umbringen, damit sie sich unsere Länder aneignen können. Und wir als Bauern bitten nur darum, dass sie uns respektieren und arbeiten lassen.
Sprecher
San José de Apartadó liegt in der strategisch und ökonomisch wichtigen Region Urabá im nordwestlichen Provinz Antioquia. Die fruchtbaren Böden und Rohstoffvorkommen wecken Begehrlichkeiten. Nach Informationen der Missionszentrale der Franziskaner haben sich Paramilitärs in Kolumbien bereits über vier Millionen Hektar Land gewaltsam angeeignet. Mehr als drei Millionen Menschen wurden in die Slums der Großstädte vertrieben. Dieser düsteren Zukunft wollen die Menschen in San José de Apartadó entkommen.
O-Ton Gemeindesprecher
Solange der Konflikt in Kolumbien besteht, werden wir nicht aufhören eine Friedensgemeinde zu sein und von den verschiedenen bewaffneten Akteuren Respekt einzufordern. Wir verlangen nicht, dass sie uns irgendetwas geben, auch nicht der Staat. Aber schon damit ist man für den Staat ein Guerillero.
Sprecher
Die Gewalt wird auch dem Präsidenten Ã?lvaro Uribe Vélez angelastet. In seine Amtszeit als Gouverneur von Antioquia fällt die Ausrufung der Friedensgemeinde. Er selbst steht in dem Ruf, den Aufbau der Paramilitärs politisch unterstützt zu haben. Im Februar 2005 wurden in San José de Apartadó acht Menschen brutal ermordet, darunter drei Kinder. Daraufhin äußerte sich der Präsident vor der Presse und spitzte den Konflikt weiter zu:
O-Ton �lvaro Uribe Vélez
In dieser Gemeinde San José de Apartadó gibt es brave Leute. Aber manche ihrer Anführer, Schirmherren und Verteidiger werden ernsthaft beschuldigt, und zwar durch Personen die in der Gegend gelebt haben, Helfer der Guerillagruppe FARC zu sein und die Gemeinde zu benutzen, um diese terroristische Organisation zu schützen.
Sprecher
Augenzeugen zufolge waren die Täter des Massakers von 2005 Angehörige der kolumbianischen Armee. Doch auch die aktuelle Androhung von Gewalt lässt die Menschen nicht an ihrem Weg zweifeln, wie ein Gemeindevertreter am neunten Jahrestag der Gründung der Friedensgemeinde bekräftigte. Sie haben keine andere Wahl:
O-Ton Gemeindesprecher
Wenn sie uns umbringen wollen, weil wir etwas Alternatives aufbauen, und wir nicht einverstanden sind mit den Verfolgungen, die der Staat verübt, – wenn sie uns deswegen umbringen wollen, dann müssen sie es eben tun. Denn wir, die Sprecher und die Friedensgemeinde denken nicht daran aufzugeben.