ES RECHNET SICH: Die Fußball-WM und der Standortfaktor Ehrenamt
Der Fußball-Weltverband Fifa schwimmt in Geld und 2006 wird im ganz großen Stil verdient. Die vertraglich garantierten Gesamteinnahmen betragen 1,6 Milliarden Euro, dazu rechnet die Fifa mit zusätzlichen Marketing-Zuflüssen von rund 600 Millionen Euro. Dem gegenüber schätzt der Verband seine Kosten auf 560 Millionen Euro. Es winkt also ein gigantischer Gewinn von über 1,6 Milliarden. Darin enthalten ist auch ein Steuergeschenk von rund 250 Millionen Euro, denn der deutsche Staat wird für die WM keine Steuerforderungen erheben.
Und um die Gastfreundschaft gegenüber der Fifa noch zu steigern, arbeiten 15.000 ehrenamtliche WM-Helfer – das bedeutet längst mehr als die traditionelle Fanbetreuung vor Ort. Einsatzgebiete können sich beim WM-Marketing ebenso ergeben wie in der PR-Abteilung oder dem technischen Service bei Telekommunikationsproblemen. Der deutsche Chef-Organisator Franz Beckenbauer zeigt sich begeistert von der Hilfsbereitschaft der Volunteers: „Man muss sich das einmal vorstellen: Da stellen sich 15.000 Menschen aus allen Bevölkerungsschichten vier bis fünf Wochen zur Verfügung, und das Einzige, was sie kriegen, sind Klamotten und Essen. Und viele nehmen dafür sogar ihren Jahresurlaub.“ Bei 15.000 kommt einiges an Arbeitsstunden zusammen. Doch nicht nur Kosten werden eingespart, es wird auch gleich noch der Ruf des Standorts Deutschland aufpoliert. Schließlich sind Enthusiasmus und Einsatzbereitschaft der Freiwilligen unschlagbar. Das hat auch DFB-Präsident Theo Zwanziger verstanden, die Volunteers würden letztlich das Image der WM mehr prägen als der Fußballbund mit seinen 260 hauptamtlichen Kräften.
Dahinter steckt noch mehr. Die „Volunteers“ sind strategischer Bestandteil der WM-Konzeption, es verbinden sich die Interessen der Organisatoren mit den Wünschen der deutschen Politik. Schließlich wird hierzulande seit einiger Zeit nach einem nationalen Modell für die globalisierte Ökonomie gesucht. Die Lösung hat verschiedene Namen, einmal spricht man von „Bürgergesellschaft“, „aktivierendem Staat“ oder „aktiver Bürgergesellschaft“.
Das neoliberale Mantra tönt dabei immer gleich: Es ist kein Geld vorhanden, darum müssen die öffentlichen Haushalte entlastet werden, besonders von sozialen Kosten – und der Bürger muss die Lücke mit ehrenamtlichem Engagement stopfen. Tatsächlich entzieht sich die Wirtschaft trotz erzielter Rekordgewinne immer erfolgreicher der Finanzierung öffentlichen Haushalte. Auch für die öffentliche Hand ist dann das persönliche Engagement der Bürger gefragt: Das Ehrenamt wird zum Standortfaktor.
Um den gewünschten Bewusstseinswandel herbeizuführen, wird seit einiger Zeit auf vielen Ebenen die Trommel gerührt. So suchte schon unter Rot-Grün die Enquête-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements nach konkreten politischen Strategien und Maßnahmen zur Förderung des „gemeinwohlorientierten Ehrenamtes“. Auch die üblichen Verdächtigen wie die Bertelsmann Stiftung widmen dieser Frage viel Zeit und Geld. Ein konkretes Ergebnis war die Imagekampagne „Du bist Deutschland“, die demnächst ihre Fortsetzung finden wird. Es gibt auch handfeste Erfolge: In vielen Städten wurden bereits Freiwilligenagenturen eingerichtet und im September startet das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement seine zweite Projektwoche.
Auch im Vorfeld der WM wurde mit der deutschlandweiten „Ehrenamtstour 2006“ das mentale Feld beackert, gemeinsam veranstaltet von der Fifa und dem deutschen WM-Organisationskomitee. Die offizielle Fifa-Website formuliert es so: „Durch den engagierten Einsatz der Volunteers soll aber auch die gesellschaftliche Bedeutung und die Leistungsfähigkeit des Ehrenamts in Deutschland betont und gefördert werden“.
Schließlich werden die WM-Organisatoren nicht müde, auf die unersetzliche Hilfe durch die Freiwilligen hinzuweisen. So betont beispielsweise Franz Beckenbauer: „Die freiwilligen Helfer sind für uns ein ganz wichtiger Bestandteil. Ohne ihr ehrenamtliches Engagement wäre es überhaupt nicht möglich, die WM zu organisieren.“ Der dreisten Lüge wird öffentlich merkwürdigerweise nicht widersprochen. In der verschleierten Ökonomie dieser Fußball-Weltmeisterschaft spiegelt sich das gegenwärtige Gesellschaftsdrama.