Bürgerkrieg ist gut fürs Geschäft: Das „Permanente Tribunal der Völker“ bezichtigt Coca-Cola, Nestlé und Chiquita massiver Menschenrechtsverletzungen
Seit Jahrzehnten ist Kolumbien Schauplatz einer der weltweit blutigsten politischen Auseinandersetzungen und steht an der Spitze internationaler Gewaltstatistiken. Leidtragende sind vor allem die Zivilisten. Jedes Jahr werden Hunderttausende Kleinbauern brutal enteignet und in die Slums der Großstädte vertrieben. Zehntausende Menschen werden entführt, verstümmelt oder erschossen. Doch es gibt auch Akteure, die sich in dem schier endlosen Kreislauf der Gewalt gut eingerichtet haben: transnationale Konzerne.
Wie sehr sie von der Gewalt profitieren und selbst für die Gewalt verantwortlich sind, hat jetzt die neu eröffnete kolumbianische Sektion des „Permanenten Tribunals der Völker“ untersucht. Das Berliner Videoprojekt kanalB hat eine ausführliche Berichterstattung dazu angelegt.
97 Prozent aller Menschenrechtsverletzungen bleiben in Kolumbien straflos. Weil staatliche Institutionen versagen oder untätig bleiben, soll nun das Permanente Tribunal der Völker als moralische Instanz der Wahrheit und Gerechtigkeit zu ihrem Recht verhelfen. Das Tribunal ist eine Einrichtung der „Lelio Basso Gesellschaft für die Rechte der Völker“ und wurde 1979 in Bologna gegründet. Der italienische Jurist und Soziologe Lelio Basso war Mitglied der Russel-Tribunale, die in den 60er Jahren der Weltöffentlichkeit die Kriegsverbrechen der US-Armee im Vietnamkrieg zu Bewusstsein brachten.
In dieser Tradition steht das „Permanente Tribual“, das sich zuvor schon in anderen Regionen der Welt für eine Anerkennung der Opfer und die Identifizierung der Täter eingesetzt hat. Das Tribunal tagt bereits zum zweiten Mal in Kolumbien. Zwischen 1989 und 1991 wurde u.a. in Bogotá die staatliche Gewalt von zwölf südamerikanischen Ländern aufgearbeitet. Diesmal wird ein hochrangiges siebenköpfiges Gremium aus Menschenrechtsexperten, Strafrechtlern und indigenen Vertretern bis 2008 in mehreren Einzelermittlungen insgesamt sechs Wirtschaftssektoren erkunden. Untersucht wird, in welcher Weise transnationale Konzerne in gravierende Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind.
Den Auftakt machte letzte Woche die Nahrungsmittelindustrie, exemplarisch vertreten von den drei Konzernen Coca-Cola, Nestlé und Chiquita. Die Vorwürfe reichen von der Ermordung von Gewerkschaftern über die systematische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und den kalkulierten Bruch des Arbeitsrechts bis zur Unterstützung paramilitärischer Gruppen mit Waffen.
Partnerschaftliches Engagement für die Gesellschaft bedeutet für uns, immer und überall ein offenes Ohr für die Menschen und ihre Bedürfnisse zu haben und dabei einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Fragen zu leisten.
(Aus der Selbstbeschreibung von Coca-Cola)
Man sieht es der Bilanz von Coca-Cola Kolumbien nicht an, dass rings im Land ein brutaler Krieg tobt. Das Tribunal legt dazu erstaunliche Zahlen vor:
Zwischen 1990 und 2001 hat dieser multinationale Konzern sein Vermögen verachtfacht, den Umsatz um das 26-fache vermehrt […] und in den 90er Jahren seine Rentabilität jährlich um 80 Prozent gesteigert.
Gleichzeitig wurden mehrere gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter ermordet (Sieben Morde bei Coca Cola). Mitglieder der Nahrungsmittelgewerkschaft Sinaltrainal und ihre Angehörigen sind bis heute das Ziel paramilitärischer Gewalt. Sie stehen auf den Todeslisten der Paramilitärs ganz oben: 80 Prozent aller weltweit verübten Morde an Gewerkschaftern werden in Kolumbien begangen, insgesamt waren es in den vergangenen 18 Jahren 4.000 gewerkschaftlich engagierte Arbeiterinnen und Arbeiter, die von Paramilitärs oder Armeeangehörigen ermordet wurden.
Die Gewalt gegen Gewerkschafter ist bekannt, doch Coca-Cola setzt sich in keiner Weise für seine Mitarbeiter ein. Im Gegenteil, es ist offensichtlich, dass der Konzern direkt von der Gewalt profitiert. Gerade Tarifverhandlungen sind eine besonders gefährliche Situation für Gewerkschafter, es häufen sich Morddrohungen und Morde. Auch der Coca-Cola Gewerkschafter Isidro Gil wurde 1996 als Verhandlungsführer ermordet. Vier Tage nach seinem Tod drangen die Paramilitärs erneut in das Werksgelände ein, versammelten alle Sinaltrainal-Mitglieder und zwangen sie zum Gewerkschaftsaustritt. Was tut der Konzern? Statt sich um Aufklärung und Schutz zu bemühen, überzieht Coca-Cola bis heute Sinaltrainal mit Verleumdungsklagen, Erpressungs- und Kriminalisierungsversuchen.
Tatsächlich hat die Gewerkschaft in den letzten Jahren sehr erfolgreich dafür gekämpft, weltweites Aufsehen für ihre Situation zu erregen. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Turin sah sich der Konzern sogar genötigt, einer unabhängigen Untersuchung über die Umstände des Todes von Isidro Gil zuzustimmen (Coca-Cola-Winterspiele mit Imageschaden). Doch kaum war die Olympiade beendet, zeigte sich, dass die neue Offenheit und Transparenz von Coca-Cola nicht mehr als ein taktisches Verhalten war. Plötzlich wird nur noch von einem Delegationsbesuch in Carepa gesprochen, nicht von einer Untersuchung. Und Sinaltrainal, zentrales Opfer der Gewalt, ist als Delegationsmitglied nicht erwünscht, wie ein Gewerkschaftsmitglied in einer Video-Botschaft für die Coca-Cola Boykott Kampagne berichtet.
Auch der Präsident von Sinaltrainal, Luis Javier Correa Suarez, hat den Mitgliedern des Tribunals einen Einblick in die psychische und physische Gewalt gegeben, der Gewerkschafter in Kolumbien ausgesetzt sind. Er arbeitet seit über 20 Jahren bei Coca-Cola:
An den Schwarzen Brettern des Unternehmens wurden Artikel ausgehängt, in denen stand wir [von Sinaltrainal] seien Guerilleros, weil wir die Reform des Arbeitsgesetzes ablehnten. Zudem hat das Unternehmen eine ziemlich schmutzige Kampagne gegen meine Person losgetreten, indem sie bekannt gaben: Jede Person, die im Unternehmen beschäftigt werden möchte, wird daraufhin untersucht, ob sie irgendeine Beziehung zu mir hat. Wenn das der Fall ist, wird sie nicht eingestellt. […] Auf die selbe Weise wird meine Familie bearbeitet: Sie schicken Zeitungen, Artikel und Videos, sie schicken Psychologen und versuchen auf jede Weise Druck auszuüben […]. Zudem erhalten sie Telefonanrufe und Morddrohungen. Das Unternehmen versucht die Arbeiter davon zu überzeugen, dass ich sie in eine totale Krise führe. […] 2003 zeigte mich der Geschäftsführer Carlos Gaia an, weil ich mich angeblich illegal mit anderen Gewerkschaftsmitglieder zusammenschließe, um Straftaten gegen das Unternehmen vorzubereiten. […] Das hat mein Leben gezeichnet, die beiden Attentate, die sie auf mich verübt haben, in erster Linie aber war es die Entführung von meinen Kindern, die versuchte Entführung von meiner Mutter und meiner Frau und eine Kampagne die letztlich dazu geführt hat, dass die Leute an den Orten, die mit vertraut sind, mich ansprechen und sagen: „Sich mit Dir zu treffen ist lebensgefährlich!“
Nestlé stellt sicher, dass in der gesamten Organisation entsprechend den höchsten Standards verantwortungsbewussten Verhaltens gehandelt wird […]
(Aus den Unternehmensgrundsätzen von Nestlé)
Auch Nestlé kann mit den Profiten seiner kolumbianischen Tochter sehr zufrieden sein. Zwischen 1990 und 2005 wurde die Produktivität um fast das Vierfache gesteigert: Pro Arbeiter wurden im vergangenen Jahr 427.000 Dollar erlöst, 1990 waren es nur 109.000 Dollar. Auch hier zeigte sich während des Tribunals, dass der satte Anstieg auch eine direkte Auswirkung des aggressiven Betriebsklimas und der paramilitäriaschen Gewalt ist. Bereits vergangenen Herbst hat das schweizer Netzwerk MultiWatch im Vorfeld des kolumbianischen Tribunals in einer Anhörung die Vorgänge rund um Nestlé beleuchtet. In ihrem Schlussdokument heißt es:
Was die dominante Position von Nestlé charakterisiert und erklärt ist auch seine Fähigkeit, aus der extremen politischen Situation des zerrütteten Landes Profit zu schlagen. […] Die Zeugen stellen die 10 Fälle der von vermeintlichen Paramilitärs zwischen 1986 und 2005 ermordeten Arbeiter vor, bei denen es sich im Allgemeinen um Gewerkschaftsführer handelte. Diese Attentate geschahen in der Regel in Momenten, in denen es Spannungen und Konflikte im Unternehmen Nestlé gab, in Zeiten in denen der Gesamtarbeitsvertrag in Frage gestellt wurde oder in einigen Fällen unmittelbar vor einem Streik. Wenn auch Nestlé nicht direkt verantwortlich gemacht werden kann, so ist doch festzuhalten, dass die angewandten Einschüchterungs- und Erpressungsmethoden eine indirekte Verantwortung mit sich bringen.
Die genannten „Einschüchterungs- und Erpressungsversuche“ beziehen sich unter anderem auf einen dramatischen Fall am Standort Cicolac in Valledupar. Dort waren 2002 die Verhandlungen zu einem Gesamtarbeitsvertrag ergebnislos verlaufen, ein Streik wurde beschlossen. Nach massiven Morddrohungen wurde der Streik jedoch abgebrochen. Dennoch entließ Nestlé daraufhin neun Gewerkschaftsvertreter. Das war jedoch erst der Beginn einer allgemeinen Entlassungswelle, bei der die Arbeiterinnen und Arbeiter gezwungen wurden, der Auflösung ihrer Arbeitsverträge zuzustimmen. Am 16. September 2003 wurden sie auf einen Schlag entlassen und durch Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ersetzt. Diese arbeiten zum halben Tariflohn, ohne jegliche soziale Absicherung und gewerkschaftliche Rechte. Zu Beginn der 90er gab es noch keine Leiharbeiterinnen in den Fabriken, heute sind es bei Nestlé fast 900, Tendenz steigend.
Die Ermordungen gehen unterdessen weiter. Jüngstes Oper ist der Nestlé-Gewerkschafter Luciano Romero. Nachdem er zwischenzeitlich aufgrund massiver Todesdrohungen einige Jahre im spanischen Exil verbracht hatte, wurde er nach seiner Rückkehr am 11. September 2005 entführt, gefoltert und umgebracht.
Sozial- und Umweltverantwortung wird bei Chiquita groß geschrieben. Alle Aktivitäten des Unternehmens orientieren sich an den vier Grundwerten: Integrität, Respekt, Chancen und Verantwortung.
(Aus der Selbstdarstellung von Chiquita Brands International)
Der Konzern ging vor zwanzig Jahren aus der berüchtigten United Fruit Company hervor. 2004 hat der Konzern zugegeben, eine „terroristische“ Gruppe finanziert zu haben. Die Indizien, die dem Tribunal vorgelegt wurden, machen deutlich, dass es sich um rechtsgerichtete paramilitärische Todesschwadronen handelte. Selbst die Staatsanwaltschaft hat in einer ihrer wenigen Ermittlungen bestätigt, dass „im Hafen von Carepa 3.000 Gewehre AK 47 und 5 Millionen Patronen des Kalibers 5,62mm auf nationales Territorium gelangten […] Entladen wurde das Kriegsmaterial in den Lagerhallen der Panadex S.A..“ Dabei handelt es sich um eine Tochterfirma von Chiquita, und dort bleiben die Waffen auch nicht lange. Sie werden auf 14 Lastwagen verladen und die Ermittler kamen zu dem Schluss, „dass der verantwortliche Panadex-Repräsentant die Weiterleitung der Waffen an paramilitärische Verbände organisiert hat.“ Mittlerweile hat sich Chiquita seine kolumbianische Konzernteile verkauft und bezieht die Südfrüchte aus seinen ehemaligen Besitzungen nun als Zwischenhändler.
Es ist im Verlauf des Tribunals offensichtlich geworden, dass in Kolumbien Gewinne- und Produktivitätssteigerung nur zum Teil das Ergebnis effizienterer Betriebsabläufe oder der Automatisierung sind. Es ist vor allem das Resultat einer Shareholder-orientierten Firmenpolitik, die buchstäblich über Leichen geht. Wo keine Gewerkschaftsarbeit möglich ist, gehen Profite rauf und Löhne runter. Libardo Sarmiento Anzola, Mitglied des Tribunals und Herausgeber der kolumbianischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, erläutert:
Die Maßnahmen, die Coca-Cola während des letzten Jahrzehnts zu diesem Zwecke durchführte, implizieren eine Reduzierung der Lohnkosten des Unternehmens um bis zu 60% dadurch, dass Leiharbeiterinnen und Scheinselbstständige beschäftigt werden. Insgesamt wurde das Lohnvolumen der Arbeiterinnen um 250% abgesenkt. Im Fall von Nestlé fiel das Lohnvolumen der Arbeiterinnen von 1998 bis 2005 um 59%. Die Arbeiterinnen werden gezwungen, aus der Gewerkschaft auszutreten, sehr prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, oder das Unternehmen zu verlassen. In anderen Fällen wird systematisch auf die Paramilitärs zurückgegriffen, die durch Drohungen, Entführungen und Mord dafür sorgen, dass die fatalen Vorstellungen der transnationalen Unternehmen und des kolumbianischen Staates akzeptiert werden.
Zudem wirft das Tribunal den Regierungsorganen „absolute Parteilichkeit“ vor und eine Gesetzeslage, die Gewerkschaftsfreiheit einschränkt und das Arbeitsrecht aushöhlt. Angesichts der bedrückenden Anzahl von Ermordungen, Morddrohungen, gewalttätigen Übergriffen kommt der freundliche Umgang bundesdeutscher Regierungsvertreter mit dem kolumbianischen Präsidenten Uribe einer Verhöhnung der Opfer gleich. Mit keinem Wort ging Bundeskanzler Schröder beim letzten Besuch Uribes im Februar 2004 in Berlin auf die dramatischen Menschenrechtsverletzungen und die Beteiligung staatlicher Organe am Terror ein. Vielmehr wurde das „freundschaftliche Gespräch“ betont und der Staatsgast bestärkt, seinen fragwürdigen Weg zum Frieden fortzusetzen. Das sieht unter anderem vor, den Paramilitärs Straffreiheit zu gewähren, wenn sie die Waffen abgeben. Gerhard Schröder damals: „Wir sehen mit großem Respekt die Anstrengungen, die der Präsident in der Bekämpfung des Terrorismus gemacht hat, und zwar nicht nur in der Bekämpfung des Terrorismus mit den Mitteln der Sicherheitspolitik, sondern auch durch Integrationsangebote.“
Offenkundig gibt es in der EU und seiner Mitgliedsländer bislang keinen politischen Willen, Kolumbien und die Konzerne zur Aufarbeitung und Bestrafung der Menschenrechtsverletzungen zu drängen. Es bleibt weiterhin zivilgesellschaftlichen Akteuren aus den sozialen Bewegungen überlassen, für Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu sorgen. Um den Druck auf die Konzerne zu verstärken, wird nun auch in Europa ein „Tribunal der Völker gegen die transnationalen Konzerne Europas und gegen ihr Herrschaftssystem in Lateinamerika und der Karibik“ veranstaltet. Die erste Etappe findet im Mai parallel zum EU-Gipfeltreffen mit den Staatschefs aus Südamerika und der Karibik in Wien statt.