IM GESPRäCH: Silvia Huber über die westliche Medienmacht im Osten und das Interesse der EU an starken Konzernen
FREITAG: Sie haben erstmals für Mittel- und Osteuropa länderübergreifend die Mediensysteme erforscht. Was war Ihre Intention für diese Netzwerkanalyse?
SILVIA HUBER: Der Raum Mittel- und Osteuropa ist besonders spannend, weil sich dort in den letzten 15 Jahren die kapitalistische Marktwirtschaft so entwickelt hat, dass man die transnationalen Mediennetzwerke wahrscheinlich am schönsten sieht.
Wir haben die wichtigsten Medien in den einzelnen Ländern erhoben und analysiert, wer an den Unternehmen beteiligt ist und sind so oft in die sechste oder siebte Ebene der verschachtelten Besitzstrukturen vorgedrungen. Man kann sich dann anschauen, mit wie vielen anderen Unternehmen sind diese Netzwerke verbunden? In einem Analysemodus zeigte sich, dass das führende Unternehmen ein amerikanisches Investmentunternehmen war, Capital Research Management. Das ist ein Indiz, dass mitunter die Netzwerkkontakte gar nicht mehr von Medienunternehmen organisiert werden, sondern von Investmentunternehmen.
Wo sehen Sie eine potenzielle Gefahr?
Mein Blick kommt von der Seite der Rezipienten: Wenn ich in Mittel- und Osteuropa lebe, welche Medien erreichen mich und welche Mediennetzwerke stehen dahinter? Und von der anderen Seite gefragt: Wenn ich in den zehn untersuchten Ländern Themen lancieren möchte, welche Medien muss ich ansprechen? Ergebnis ist: Es braucht mehr als ein Medienunternehmen, um sämtliche Mittel- und Osteuropäer zu erreichen. Aber grundsätzlich wird das Mediensystem von kommerziell denkenden Unternehmen dominiert. Und hier sehe ich eine strukturelle Gefahr. Die Politologin Christiane Leidinger spricht ja von einer „strukturellen Unwahrscheinlichkeit kritischer Medienberichte“: dass Medien, die hauptsächlich kommerziellen Interessen dienen, natürlich auch nur bestimmte Inhalte bringen und auch nur in bestimmter Form. Neben der Besitzebene haben wir auch untersucht, wie viele Kontakte die Medienunternehmen untereinander haben: Die Netzwerkanalyse geht davon aus, dass es bei Beteiligungen auch zu Absprachen kommt und peu à peu zu einer Vereinheitlichung der Interessen kommerzieller Medien.
Haben Sie Beispiele für die Nutzung der Medienmacht für Meinungsmache, etwa bei der Berichterstattung über die EU-Beitrittsverhandlungen?
Die Studie analysiert keine Inhalte, aber es geht in der Einordnung der Ergebnisse schon um die Frage: Wer hat potenzielle Macht? Es gibt vereinzelte Berichte über tatsächliche Einflussnahme, zum Beispiel den Konflikt zwischen der WAZ und der rumänischen Tageszeitung Romania Libera. Vor allem aber gibt es eben diese strukturelle Unwahrscheinlichkeit kritischer Berichterstattung: ein Unternehmen wird keine Kampagne gegen politische Institutionen starten, die seine eigenen Interessen befördern.
In den EU-Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten scheint das Thema Medienkonzentration keine Rolle gespielt zu haben, obwohl die Sicherung der Meinungsvielfalt oft beschworen wird.
Der erklärte politische Wille und der tatsächliche politische Wille klaffen hier auseinander. Die Wettbewerbspolitik der EU ist widersprüchlich: Zum einen geht es angeblich darum, die Vielfalt zu stärken und viele kleine Akteure zuzulassen, zum andern aber will man gegenüber den USA die europäischen Medienkonzerne stärken. Ziel ist es deshalb, große Medienunternehmen zu etablieren, die international konkurrenzfähig sind.
Welche Resonanz erwarten Sie auf Ihre Studie?
Eigentlich ist die Studie dazu geschrieben, Bewusstsein zu schaffen und den Regulierenden und der Politik ein bisschen Wind ins Gesicht zu blasen. In Wahrheit wird es aber wahrscheinlich so sein, dass eher die Konzerne das eine oder andere Ergebnis aufnehmen und schauen, ob sie eine gute Strategie daraus entwickeln können. Das heißt, man arbeitet wahrscheinlich denen in den Händen, über die man eigentlich geforscht hat.
Das Gespräch führte Jörn Hagenloch
Dr. Silvia Huber ist Leiterin des Internationalen Journalismus Zentrums der Donau-Universität Krems und Projektleiterin der Studie Medienmärkte in Mittel- und Osteuropa, deren Ergebnisse Anfang 2006 im LIT-Verlag veröffentlicht werden.