Der „Bertelsmann Transformation Index“ analysiert die Reformbereitschaft von 119 Entwicklungs- und Schwellenländern und sagt, wo es langgeht
Die Welt verändert sich und die Bertelsmann Stiftung kennt die Richtung: „Marktwirtschaftliche Demokratie“ heißt die geostrategische Zauberformel, unter der sich künftig die Weltgemeinschaft zusammenfinden soll. Schon seit vielen Jahren arbeitet die Gütersloher Stiftung daran, gesellschaftliche Reformen durchzusetzen. Mit Erfolg: Aus ihren Denkstuben stammen wesentliche Ideen der Agenda 2010. Aber der „Ruck“ muss durch die ganze Welt gehen. So nimmt der Bertelsmann Transformation Index die ärmsten Länder ins Visier, überprüft ihre Veränderungsbereitschaft und gibt Ratschläge für die zukünftige Politik.
Die Bertelsmann Stiftung versteht sich als führender deutscher Think Tank für den Umbau von Staat und Gesellschaft. Als Hauptaktionär besitzt sie 57,6% der Bertelsmann AG und verfügt über eine gut gefüllte Kampfkasse gegen den regionalen, nationalen und globalen „Reformstau“. Allein 2004 standen für die operative Arbeit ca. 70 Millionen Euro zur Verfügung. So wird der öffentliche Diskurs mit Studien wie Die Bundesländer im Standortwettbewerb, Wirtschafts- und Sozialstandort Deutschland, Agenda moderne Regulierung, Internationaler Reformmonitor: Sozial-, Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik oder Internationales Standort-Ranking befeuert.
Es wird verglichen, bewertet, gemessen und alles mit jedem in ein Konkurrenzverhältnis gesetzt. Doch anders als bei wissenschaftlichen Studien ist die Erhebung der Daten nur ein erster Schritt. Die zentrale Funktion ist die Ableitung von konkreten politischen Handlungsanweisungen. Diese Verbindung wurde auch im neu veröffentlichten „Bertelsmann Transformations Index“ (BTI) eingeführt, der jetzt nach 2003 zum zweiten Mal aufgelegt wurde. Im Gegensatz zur ersten Ausgabe belässt man es nicht mehr bei Länder-Ranking und umfangreichen Einzelanalysen, sondern spricht strategische Empfehlungen aus, um den Reformprozessen auf die Sprünge zu helfen. Unter „Reform“ versteht die Studie dabei den Übergang aller Länder zur marktwirtschaftlichen Demokratie:
Das Projekt orientiert sich am Leitbild einer marktwirtschaftlichen Demokratie. Die Bertelsmann Stiftung ist der Überzeugung, dass sich im Wettbewerb der Ordnungssysteme die repräsentative Demokratie und die sozial verankerte Marktwirtschaft als Organisationsformen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bewährt haben.
(Aus dem Selbstverständnis des BTI)
Das Projekt wird mit erheblichem finanziellen und personellen Aufwand betrieben. Immerhin waren nach Angaben von Bertelsmann 250 Experten an der Erstellung der Studien beteiligt, allein das federführende BTI-Board umfasst 26 teilweise renommierte Wissenschaftler. Zudem wurde ein Aktionspool von „Transformation Thinkers“ aus der Taufe gehoben. Er richtet sich gezielt an den „Führungsnachwuchs aus Entwicklungs- und Transformationsländern aller Weltregionen“, die in einem einwöchigen Training mit „Problemlösungsansätzen und strategischem Denken“ vertraut gemacht werden. Darüber hinaus wurde ein Netzwerk von „Politikern und Wissenschaftlern, Praktikern der Außenunterstützung von Transformationsprozessen und Vertretern der Zivilgesellschaft“ eingerichtet, die sich jährlich austauschen.
„Den Wandel gestalten“
Verständlich wird dieser Kraftakt vor dem Hintergrund, dass sich 15 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die Welt immer noch in ungeordneten Verhältnissen befindet. Darum soll der weltweite „friedlichen Wandel zu Demokratie und Marktwirtschaft“ unterstützt werden, um ein homogenes globales System hervorzubringen. In diesem Prozess versteht sich die Bertelsmann Stiftung als wichtiger Akteur auf nationalem und internationalem Parkett und als wirkungsvoller Politikberater, dem auch im Kanzleramt die Türen offen stehen. Stolz zählt das Vorwort des BTI seine Leserschaft auf: Weltbank, Bundesregierung, Universitätsseminare, Regierungsbüros und Reaktionsstuben. Sie alle arbeiten mit den Informationen für die globale Reformgemeinde und das große Interesse hat die Herausgeber dazu bewogen, die Reformbereitschaft künftig alle zwei Jahre zu überprüfen.
Der BTI dient als Instrument, neue weltwirtschaftliche und geopolitische Strukturen zu fordern und den politischen Eliten Strategien zur Umsetzung zu vermitteln. Wobei gleichzeitig einer einseitigen wirtschaftlichen Ausrichtung eine Absage erteilt wird und gesellschaftliche Entwicklungen in die Analyse einbezogen werden. Dafür nimmt der Index 119 Entwicklungs- und Schwellenländer unter die Lupe und bewertet sie nach ihrer marktwirtschaftlichen und demokratischen Ausrichtung. So werden weltweit Reformländer und Reformeliten identifiziert und „eine gezielte Ausrichtung von Außenunterstützung und Entwicklungspolitik nahelegt und erleichtert“, wie der Leiter der Studie, Prof. Dr. Werner Weidenfeld, im Vorwort schreibt.
Der neoliberal ausgerichtete Wissenschaftler und hochkarätige Politikberater verbindet als Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung und Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität Auftraggeber und wissenschaftliche Durchführung gleich in Personalunion. Eine ungute Vermischung, die die wissenschaftliche Objektivität in Frage stellt, zumal die Bertelsmann Stiftung Initiator und tragende finanzielle Säule des Universitätsinstitutes ist.
Erzwungener Dialog
Auf die selbst gestellte Frage, „wie sich die Außenunterstützung des Systemwandels optimieren“ lässt, gibt das Projekt klare Antworten. Die Informationen haben durchaus ernstzunehmende Konsequenzen für die bewerteten Länder. Der BTI verlangt unmissverständlich: „Regierungen und maßgebliche Akteure müssen […] mit externen Unterstützern produktiv zusammenarbeiten.“ Wie das konkret umgesetzt werden soll, weiß die Bertelsmann Stiftung auch ganz genau:
Gestützt auf die Systematik und die Erkenntnisse des BTI werden für ausgewählte Länder oder Regionen Kernaufgaben und politische Prioritäten definiert sowie Lösungsansätze und Strategien formuliert, die im Strategiedialog mit einzelnen Staaten erarbeitet und umgesetzt werden sollen. Die Länderexpertisen enthalten Wegweiser für eine Transformationspolitik. (…)
„Task Forces“, bestehend aus Wissenschaftlern, Praktikern und politischen Akteuren, entwickeln hierfür strategische Empfehlungen zur Bewältigung struktureller Herausforderungen. Sie definieren mittelfristige Ziele für eine Transformationspolitik im Kontext der gegebenen Rahmenbedingungen. Anschließend werden die Konstellationen, Risiken und Ressourcen ausgewertet und schrittweise Schwerpunkte und Prioritäten einer konsistenten Transformationspolitik erarbeitet. Die Ergebnisse werden in den politischen Prozess eingespeist und in der Folgezeit entsprechend weiterentwickelt. Neben der Erarbeitung von Strategieempfehlungen steht die Beratung von relevanten Transformationsakteuren sowie Außenunterstützungsorganisationen zu den ausgewählten Prozessen im Mittelpunkt.
„Außenunterstützung“: die argentinische Erfahrung
Die Einflussnahme von dritter Seite ist für Entwicklungs- und Transformationsländer keine Neuigkeit. Aufgrund ihrer schwachen Stellung sind sie z. B. in finanziellen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Fragen auf Partner angewiesen. Sie haben keine Wahl und befinden sie sich in einem permanenten Gesprächsprozess mit den unterschiedlichsten privatwirtschaftlichen, staatlichen und institutionellen Akteuren. Dabei ziehen sie meist den Kürzeren.
Was „Außenunterstützung“ heißen kann, musste auch Argentinien 2001 sehr schmerzhaft erfahren, als ein Staatsbankrott das Land über Nacht in Elend und Chaos stürzte. Ursache der Tragödie war nicht zuletzt die „Außenunterstützung“ durch die neoliberalen Rezepte des Internationalen Währungsfonds (IWF). Doch davon liest man im BTI keine Silbe. Vielmehr wurde schon im ersten Bericht 2003 mit Sätze wie „Die Zeiten der ‚Bequemlichkeit des fremden Geldes‘ sind endgültig vorüber“ suggeriert, dass die Probleme hausgemacht seinen.
Der damalige Rat von Bertelsmann: „Soll das Land nicht ein „Schwellenland auf Dauer“ bleiben oder gar in die Vierte Welt abrutschen, bedarf es reformbereiter Eliten.“ Also sollte es wieder einmal eine Reform richten, wo doch gerade die neoliberale Reformbereitschaft der 80er und 90er Jahre direkt in die Katastrophe geführt hatte. Auch im aktuellen Länderbericht wird die Rolle des IWF bei den früheren Reformen konsequent ausgeblendet.
Mit dem BTI greift die Bertelsmann Stiftung in innere Staatsangelegenheiten ein, ohne dass sie ein politisches Mandat dazu berechtigen würde. Was da genau passiert, wenn hinter verschlossenen Türen die selbsternannten Experten mit Regierungsvertretern verhandeln, bleibt oft unklar und schafft genau eines der gravierenden Probleme, die eigentlich abgebaut werden sollen: das Demokratiedefizit.