„Die Überflüssigen“ wollen durch spektakuläre Auftritte auf ihre soziale Ausgrenzung hinweisen.
Sie stören. Sie wollen all die stören, die es sich auf Kosten anderer gut gehen lassen: die Wohlhabenden, die so genannten Reformer, die Schreibtischtäter. Sie tragen weiße Masken und knallig rote Kapuzenpullover. „Die Überflüssigen“ tauchen seit über einem Jahr in Luxusrestaurants, bei Preisverleihungen oder in deutschen Amtsstuben auf. Ihre provokativen Aktionen sind kurz, meist sind sie wieder weg, bevor die Polizei eintrifft.
Mitte Mai statteten die Überflüssigen der AWO in Wuppertal einen unerwarteten Besuch ab. Die Gruppe schüttete aus Protest gegen die Forderung der Sozialverbände AWO, DRK und Diakonie, den Sockelbetrag von Hartz IV zu kürzen, einen Haufen Müll am Eingang der Wohlfahrtsorganisation auf. Dann zündete sie ein Tischfeuerwerk und eine Konfettikanone und setzte sich nach einigen Redebeiträgen wieder ab. Auch die erste Aktion der Überflüssigen richtete sich gegen die AWO. Im Oktober 2004 besetzten sie kurzzeitig die Berliner Landeszentrale des Verbands. Das war der Startschuss einer Aktionsgruppe, die bundesweit immer mehr Zulauf findet. Ihr Motto ist schlicht: „Kapitalismus ist überflüssig. Alles für alle.“
Die Aktionen erinnern an die Spaßguerilla der sechziger Jahre, es sind kurzlebige, meist unterhaltsame Happenings mit dem politischen Anspruch, auf soziale Ausgrenzung hinzuweisen. Besonders in der Erwerbslosenbewegung treffen sie auf Sympathien und Mitstreiter. Im Dezember 2004 kam es zum ersten viel beachteten Auftritt: Etwa 50 Personen mit weißen Masken und roten Kapuzenpullovern gingen in das Nobelrestaurant Borchardt in Berlin-Mitte. Den anwesenden Gästen, die zum Teil gerade bei der Vorspeise des Abendmenüs saßen, rief einer der Aktivisten zu: „Wir müssen jetzt zusammenrücken, arm und reich.“ Dabei blieb er im Ton so freundlich, dass einige Gäste amüsiert lächelten. „Wir bilden Bedarfsgemeinschaften mit denen, die sich ein Menü für 85 Euro leisten können“, erklärte Monika Meier*, und setzte sich mit an einen Tisch zu Ruccolasalat und Weißwein. Da griffen die Kellner ein und setzten die ungebetenen Gäste vor die Tür. Die verschwanden im Dunkel des Abends, noch bevor die Polizei den Ort erreichte.
Als Ende vergangenen Jahres die Überflüssigen bei einer Preisverleihung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auf die Bühne traten, buhten Zuschauer entrüstet. Das Mikrophon wurde sofort abgeschaltet, die Überflüssigen warfen Konfetti in den Saal. „Masken ab! Ihr seid feige“, tönte es der Gruppe entgegen. „Mit diesen Masken verspielen die sich doch jede kleine Sympathie“, sagte eine Zuschauerin, nachdem die Sicherheitsleute alle Störer aus dem Saal gezerrt hatten. Doch die Masken sind für die Überflüssigen ein politisches Symbol. „Wir greifen die Barbarei des Kapitalismus an, in der Menschen nicht als Menschen, sondern als gesichtsloser auszubeutender Rohstoff vorkommen“, erklärt die Aktivistin Anke Müller*.
Die Überflüssigen sind keine Massenbewegung, aber sie treffen den Nerv von vielen. Die mal mehr mal weniger ordnungswidrigen Protestformen erregen Aufmerksamkeit und haben sich mittlerweile über die Bundesrepublik ausgeweitet. Im niedersächsischen Lüchow räumten Überflüssige kurzerhand das Büro eines Sozialamtsmitarbeiters, der für Zwangsumzüge von Hartz IV-Empfängern verantwortlich war. In mehreren Lidl-Filialen protestierten sie gegen die dortigen Arbeitsbedingungen. Auch in ländlicheren Gegenden wie im brandenburgischen Jüterbog hegt man Sympathien für die Überraschungsauftritte. Aber „Aneignungsaktionen“ wie die im Luxusrestaurant seien vor Ort kaum durchzuführen, sagt Michael Maurer vom Bündnis gegen Sozialabbau. Denn dort könne man nicht einfach in der Anonymität der Großstadt verschwinden. So haben die Jüterboger eine behutsamere Form des Widerstands gefunden. „Arbeitslosigkeit sichtbar machen“ gaben sie sich als Motto. „Am ersten Tag sind zwei Leute im Dress der Überflüssigen durch die Stadt gelaufen. Am nächsten Tag vier. So ging es bis zum Ende der Woche weiter.“ Seitdem sind sie ortsbekannt.
Zustimmung gab es von denen, die selbst von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Anfang November gingen die Überflüssigen ins örtliche Arbeitsamt, als das monatliche Geld ausgezahlt wurde und rund hundert Menschen in der Warteschlange standen. Die Aktivisten verteilten Brote und Spielzeug für die Kinder und erklärten ihren Protest. „Für diese Aktion gab es großen Beifall“, so Maurer. Mit dem Arbeitsamtsleiter haben sie vorher gesprochen. Auf dem Dorf kenne man sich schließlich. Daher verzichtete der darauf, die Polizei zu rufen.
Als der Politikwissenschaftler Johannes Agnoli vor einigen Jahren in einem Interview erklärte, ein außerparlamentarischer Widerstand müsse auf die überflüssige Bevölkerung setzen, gab es die Aktionstruppe noch nicht. Aber vielleicht beschreibt Agnoli ihr politisches Anliegen dennoch am besten: „Die überflüssige Bevölkerung, das sind nicht nur einige Milliarden der Weltbevölkerung, das sind auch die Arbeitslosen im eigenen Land. Auf diese Überflüssigen müssen wir setzen, wenn wir etwas radikal verändern wollen.“
* Namen geändert