"Google won't be evil!"
Ein offener Brief der Google-Gründer Brin und Page irritiert nicht nur die Börsenwelt
Gerüchte gab es seit geraumer Zeit, nun ist es offiziell. Google, derzeit unumstrittener Platzhirsch unter den Suchmaschinen, ist auf dem Weg an die Börse. Die Suchmaschinenfirma hat bei der US-Börsenaufsicht SEC offiziell einen entsprechenden Antrag gestellt und darin erstmalig ihre Geschäftszahlen offen gelegt. Der offene Brief, der von den beiden Google-Gründern Larry Page und Sergey Brin verfasst und dem offiziellen Antrag beigefügt wurde, klingt wie eine Mischung aus Entschuldigung für den Börsengang und dem hippokratischen Versprechen: "Google won't be evil!" - Google wird niemals böse sein (2). Nicht nur die Börsenwelt ist irritiert.
Geld spielt für Google (fast) keine Rolle
Finanzielle Sorgen zwingen Google nicht an die Börse. "Google hat so viel Geld auf der Bank, die brauchen keinen Börsengang", meint etwa Andy Bechtolsheim, zusammen mit so illustren Personen wie Arnold Schwarzenegger, Tiger Woods oder Henry Kissinger einer der Ersten, die bereits 1999 in die damals junge Firma investierten. Das Google-Management sieht das ähnlich. "Ein Börsengang bedeutet viel Formular-Kram, und dafür bin ich zu faul", antwortete Google-Mitbegründer Sergey Brin kürzlich noch kokett auf Fragen nach dem Börsengang. Dass er und Google-Mitbegründer Larry Page sich nun doch aufs Börsenglatteis wagen, hat mehrere Gründe. Schuld ist zunächst ein US-Gesetz aus dem Jahre 1934.
Ein Gesetz von 1934 und die Folgen für Google
Als zunächst noch relativ kleines, privates Unternehmen hat sich die Suchmaschinenfirma immer geweigert, dezidierte Geschäftsberichte zu veröffentlichen. Man war rechtlich nicht zur Offenlegung der Bilanzen verpflichtet und wollte sich zudem auch nicht freiwillig in die Karten gucken lassen. Diese Geheimhaltungspolitik hat, wie Brin und Page in ihrem offenen Brief unumwunden zugeben, dem Unternehmen gerade in seiner Wachstumsphase erhebliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz eingebracht
Mittlerweile hat sich für Google die Rechtslage allerdings geändert. Schuld sind das rapide Wachstum der Suchmaschinenfirma und ein Gesetz aus dem Jahre 1934. Dieses Gesetz, der Securities and Exchange Act of 1934, schreibt ausdrücklich vor, dass auch ein Privatunternehmen wie jedes börsennotierte Unternehmen seine Bilanzen unter der Voraussetzung offen legen muss, dass das fragliche Unternehmen mehr als 500 Anteilseigner hat und sein Vermögenswert größer als zehn Millionen Dollar ist. Beide Voraussetzungen werden von Google mehr als erfüllt. Das Unternehmen war deshalb gezwungen, seine Bilanzen zu veröffentlichen. Die gesetzliche Frist zur Offenlegung lief am 29.4., also exakt an dem Tag aus, an dem Google seinen Antrag bei der Börsenaufsicht stellte.
Die Konkurrenz schläft nicht
Dass Google das Kapital eigentlich nicht braucht, das die Firma durch den Börsengang einnehmen wird, dürfte angesichts glänzender Geschäftszahlen offenkundig sein. Insider meinen daher, dass es vor allem Googles bisherige Kapitalgeber und Anteilseigner sind, die das Management der Firma jetzt an die Börse treiben.
Google ist zwar derzeitiger Marktführer im Bereich der Suchmaschinen bzw. der Suchmaschinenwerbung. Doch die Konkurrenz schläft keineswegs. Yahoo beispielsweise hat sich durch den Kauf der Firmen Overture und Inktomi längst die nötigen Technologien gesichert, um Google Paroli bieten zu können. In den Startlöchern stehen auch Internetbuchhändler Amazon mit der eigenen Suchmaschine A9 (Amazon mit eigener Suchmaschine) sowie Softwareriese Microsoft, der emsig an seiner eigenen Suchtechnologie arbeitet. Sowohl Yahoo als auch Amazon und MSN setzen mit ihrer Suchtechnologie derzeit auf Personalisierung und geografisch relevante Suchergebnisse. Microsoft steht zudem mit dem Windows-XP-Nachfolger Longhorn derzeit Gewehr bei Fuß. Gerüchten zufolge wird der Softwarekonzern seine Suchtechnologie fest in das neue Betriebssystem integrieren und versuchen, Google damit vom Suchmaschinenthron zu stoßen. Längst macht das Wort vom "Krieg der Suchmaschinen" seine Runde (Krieg der Suchmaschinen?).
Dass Googles Kapitalgeber deshalb nicht mehr länger abwarten, sondern jetzt das große Geschäft machen wollen, liegt auf der Hand. Der Niedergang der Firma Netscape hat deutlich gemacht, wie schnell aus dem Produkt eines Marktführers ein Nischenprodukt werden kann.
Wer profitiert von Googles Börsengang?
Für das Google-Management dürfte der Börsengang zu früh kommen. Das Geschäft mit der bezahlten AdWords-Werbung ist noch jung und verzeichnet derzeit hohe Wachstumsraten. Ein späterer Börsengang wäre für das Google-Management deshalb womöglich lukrativer. Doch haben sich die Kapitalgeber anscheinend durchgesetzt. Zu den beiden größten gehören die Firmen Kleiner Perkins sowie Sequoia Capital. Beide Firmen investierten 1999 zusammen ca. 25 Millionen Dollar in die damals junge Suchmaschinenfirma. Ihnen gehören etwa 25 Prozent der Suchmaschinenfirma, während die Google-Gründer Brin und Page ungefähr 40 Prozent und Google-Chef Eric Schmidt schätzungsweise 15 Prozent an Google halten.
Wenn Google an der Börse tatsächlich einen Wert von ca. 20 bis 25 Milliarden Dollar erreicht, könnten die Firmen Kleiner Perkins und Sequoia Capital Milliardenbeträge einfahren - Summen, die man später, wenn Microsoft z. B. seinen Windows-XP-Nachfolger auf den Markt wirft, möglicherweise nicht mehr in dieser Höhe aufs Firmenkonto packen könnte.
Making the world a better place
Auch Larry Page und Sergey Brin werden beim Börsengang ihrer Firma über Nacht zu Milliardären. Dass es ihnen um den schnöden Mammon gehen könnte, weisen die beiden Google-Gründer allerdings weit von sich. "Google ist kein gewöhnliches Unternehmen. Und wir beabsichtigen auch nicht, eines zu werden", erklären sie in ihrem offenen Brief, den sie ihrem Antrag beigeheftet haben - und die New Yorker Börsenwelt zeigt sich irritiert.
Liest sich dieses Schreiben doch sowohl rhetorisch als auch inhaltlich völlig anders als gewohnt. Fernab von allen sonst in solchen offiziellen Schreiben üblichen Textbausteinen und juristischen Phrasen erklären Page und Brin selbstbewusst und in zum Teil blumigen Worten ihre Unternehmensphilosophie, ihre Ziele für die kommenden Jahre sowie die Gründe, die das Unternehmen nunmehr an die Börse führen - letztere jedoch ein wenig knapp: Man verweist lediglich auf die gesetzliche Pflicht zur Offenlegung der Bilanzen und verspricht sich eine stärkere Kapitaldecke. Ansonsten liest sich das Schreiben wie eine fortlaufende Entschuldigung dafür, dass man überhaupt an die Börse gehe.
Google sei gerade als privates Unternehmen so erfolgreich geworden, weil es eben keinem Aufsichtsrat, keiner Aktionärsversammlung und keiner Börsenaufsicht gegenüber zu irgendeiner Rechenschaft verpflichtet gewesen sei. Dank geduldiger Risikokapitalgeber habe man nie dem raschen Profit hinterher hecheln müssen, sondern ökonomisch auch Durststrecken in Kauf genommen und dabei stets ein ideelles Ziel vor Augen gehabt habe: jedem Surfer zu jedem Thema ohne Verzögerung relevante und objektive Informationen zu liefern. Daran werde sich auch zukünftig nichts ändern, versprechen die beiden Google-Gründer mehrfach.
Unser Ziel ist es, Dienste zu entwickeln, die das Leben so vieler Menschen wie möglich verbessern (.) Wir streben danach, aus Google eine Institution zu machen, die die Welt zu einem besseren Ort macht.
Google werde niemals böse sein.
Sonntagsrede oder Selbstverpflichtung?
Solche Worte mischen American-Dream- mit Dot-Com-Gründerromantik und scheinen sich ihre Schwarz-Weiß-Bilder aus der populistischen Rhetorik von Reagan bis Bush zu holen. Dementsprechend groß ist die Häme, die ein Teil der Medien über den offenen Brief der beiden "Hippy-Kapitalisten" ausgießt.
Mit Spyware die Welt verbessern, fragt sich und seine Leser etwa das britische Internetmagazin The Register und spielt auf Googles geplanten GMail-Dienst an, der bei Datenschützern auf der ganzen Welt derzeit für Aufregung sorgt (Bei jeder Mail wird mitgelesen). Die Weltverbesserungsideologie der beiden Google-Gründer stößt auch etlichen Wallstreet-Profis reichlich sauer auf. Die einen befürchten, dass dieser Brief die sowieso schon ausufernde Google-Börsen-Hysterie noch weiter anfachen könnte. Andere meinen, das Google-Schreiben enthalte kaum sachliche Informationen, sondern sei ein unzulässiger Werbebrief und damit ein Fall für die Börsenaufsicht. Im Übrigen scheint das Wallstreet-Establishment zumindest hinter vorgehaltener Hand davon auszugehen, dass den Google-Gründern der naive Idealismus durch die harte Börsenrealität sowieso bald ausgetrieben würde.
A- und B-Aktien
Das fürchten offenbar auch Brin und Page und haben deshalb vorgesorgt. Die Google-Aktien werden entsprechend dem Stimmrecht, das sie ihrem Besitzer verleihen, in zwei Klassen unterteilt. Aktien der Klasse A haben nur eine Stimme, Papiere der Klasse B dagegen zehn Stimmen. Von den 234 Millionen B-Aktien besitzt das Google-Management derzeit 150 Millionen Stück, so dass sichergestellt ist, dass dem Triumvirat aus Brin, Page und Firmenchef Schmidt die Unternehmenspolitik nicht aus den Händen gleitet (16).
"Wir glauben, dass eine gut funktionierende Gesellschaft freien und ungefilterten Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen haben sollte", begründen Page und Brin dieses Konstrukt in ihrem offenen Brief. Dafür stehe Google der ganzen Welt gegenüber in der Pflicht. Das Zweiklassenwahlrecht sorge dafür, dass Google diese Verantwortung ohne Einfluss von außen auch weiterhin wahrnehmen könne.
Wer kontrolliert Google?
Dass die Google-Gründer den zu erwartenden ökonomischen Druck der Wallstreet minimieren und das größtmögliche Maß an unternehmerischer Entscheidungsfreiheit behalten wollen, mag durchaus verständlich, manchem gar sympathisch sein. Was aufhorchen lässt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Google-Gründer in ihrem offenen Brief zu Anwälten und Garanten eines freien und ungefilterten Zugangs zu den Informationen des WWW machen.
Google ist und bleibt ein kommerzielles Unternehmen, das sich primär über Werbung finanziert. Dabei haben die GMail-Pläne gezeigt, dass sich das Google-Management großzügig über Datenschutzbedenken hinwegsetzen kann, wenn es für die Firma ökonomisch sinnvoll erscheint. Page und Brin fordern in ihrem offenen Brief gern und oft die uneingeschränkte redaktionelle Unabhängigkeit ihrer Suchmaschine. Wer aber legt die internen Regeln fest, nach denen der Quasi-Suchmaschinenmonopolist Quellen aus dem Internet bewertet, filtert oder gar zensiert? Wer kennt und kontrolliert die Googleschen Betriebsgeheimnisse? Wer kontrolliert denn eigentlich wirklich Google? (Alfred Krüger)